Kann Erfolg umziehen?

Michel Friedman am BE Was in Frankfurt ausverkauft ist, muss in Berlin noch lange nicht laufen

Auf Twitter verlautbart das Berliner Ensemble (BE) an Nikolaus, dass noch einige Karten für Friedman im Gespräch freigeworden seien. Die in Berlin neue Gesprächsreihe des Frankfurter Rechtsanwalts und Philosophen Prof. Dr. Dr. Michel Friedman ist mit Sack und Pack umgezogen. Sie lief seit 2011 unter der Intendanz Oliver Reeses hypererfolgreich am Frankfurter Schauspiel und hat dem Haus „splendide Einnahmen“ beschert, so Reese bei der letzten Frankfurter Veranstaltung im Mai 2017.

Reeses Intendanz endete, wie allseits bekannt ist, in Frankfurt und er wechselte, jetzt schließt sich der Kreis, ans Berliner Ensemble, Claus Peymann in die Rente schickend. Nicht nur, dass Reese einige der begabtesten und begehrtesten Schauspieler(innen) mitnahm (z.B. Constanze Becker, Nico Holonics, Wolfgang Michael oder Sascha Nathan), nein, auch seinen verehrten Gastgeber philosophischer Talks, Friedman, raffte er in die Umzugskisten – samt weinrotem Halbrundsofa.

Das kulturelle Angebot in Berlin ist nicht übertreffbar, die Auswahl mannigfaltig. Für das oft provinziell wirkende Frankfurt war die Gesprächsreihe ein nicht nur titulierter Zuschauermagnet, es war ein Hype, der sich über Jahre aufrechterhielt. Wenn am zehnten jedes Monats die Tickets um Mitternacht online kamen, waren sie morgens um Acht bereits ausverkauft. Kein Scherz, keine Pointe, diese Veranstaltungen waren immer restlos voll, leere Plätze nur mit plötzlichem Unglück der Kartenbesitzer zu erklären.

Nichts ist neu, aber bleibt alles gut?

Alfred Biolek hatte diese Art der Talkshow ohne Kamera bereits in den Siebzigern im Kölner Senftöpfen erfolgreich etabliert. Doch auch er war nicht der Erfinder: In Tel Aviv, so erklärte er es in seiner Autobiographie (Mein Leben, Kiepenheuer & Witsch, 2006), gab es diese Veranstaltung unter dem Titel Mi sche ba, ba zu Deutsch Wer kommt, kommt. So hieß sie dann auch bei Biolek und war äußerst begehrt. Warum er im Fernsehen so gehemmt sei, aber im Senftöpfchen nicht, wurde der Schauspieler Dietmar Schönherr aus dem Publikum gefragt. „Weil der Biolek uns nicht entlassen kann,“ dröhnte Schönherr zurück. Fernab von Quote und medialer Verbreitung ist eine Entfaltung ungeahnter Qualität möglich.

Ganz im Gegensatz zu diesen Freakshows im linearen Fernsehen, die als Talkshows deklariert werden, und doch mehr Laientheater mit wehleidigem Wanderensemble sind. Nach Martin Heidegger kann man dabei zusehen, wie das Nichts nichtet. Der Gehalt im linearen Fernsehen fehlt, die Selbstüberzeugung ist dagegen noch überbordend vorhanden. Man braucht uns! Doch was wirklich gebraucht wird, legt, wie immer, der Markt fest. Und dieser Zuschauermarkt strömt gierig in öffentliche Gesprächsveranstaltungen.

Michel Friedman – mehr als ein Skandal

Michel Friedman ist kein unbeschriebenes Blatt. Die meisten Menschen kennen ihn natürlich als Moderator, als Ehemann von Bärbel Schäfer und, leider zu oft noch, als koksenden Freier. Die erste Geste, die einem begegnet, wenn man von ihm spricht, ist leider oft noch eine stilisierte schnupfende Wischgeste an der Nase des Gegenübers. Dieser Crash seiner Vita ist erschöpfend diskutiert worden, die Häme reicht bis ins Jenseits. Friedman trat ruhiger, studierte Philosophie und promovierte darin.

Die 2011 mit Jürgen Trittin zum Thema KRIEG startende Gesprächsreihe folgte klaren, aber nicht konformen Regeln: es gab keine Begrüßung des Gastes oder des Publikums, Friedman startete direkt mit einer Frage an den Gast und der Zuschauerraum war komplett dunkel. Es sollte keine Interaktion mit den Gästen entstehen, keine Minikommunikation zum Erheischen von Zustimmung gewähren. Die meisten Gesprächsreihen kamen ohne Zwischenapplaus aus, ohne jedwede Interaktion der Diskutanten mit dem Publikum. Eine reine Fokussierung zweier Menschen die sich monothematisch 90 Minuten intensiv und in keiner Form übergriffig unterhielten. Auch etwas, dass viele Menschen Friedman nicht zutrauen. Die Interaktion ohne Angrabbeln und reingrätschen. Diese von ihm oft genutzte Art und Weise der Gesprächsführung hat er indes nicht verlernt, aber nur auf WeltN24 in seiner Sendung Studio Friedman aufrechterhalten.

Leise Töne, leise Gäste

Er kann eben auch die leisen Töne, er kann Zugewandtheit und schafft es, belesene, kluge und wahrhaft interessierte Fragen zu stellen. Diese stellte er über sechs Jahre an Menschen, die sich mit der jeweiligen Fragestellung auch wirklich auskannten. Wirklichen Intellektuellen wie Winfried Menninghaus (SCHÖNHEIT!), Hartmut Rosa (ZEIT!), oder Jutta Limbach (FREIHEIT!). Er lud Gäste ein, die in einer normalen Talkshow von Vornherein absagen, gar nicht gefragt oder völlig unter den rhetorischen MMA-Kämpfern der Talkshows untergehen würden.

Die Unberechenbarkeit eines Verlaufes fernab von Sendeplänen ist dabei ein nicht zu unterschätzender Reiz. Als Friedman Wolfgang Huber zum Thema „TOD!“ zu Gast hatte, verlängerte sich die Sendung ungeplant um zwanzig Minuten. Friedman hadert mit der Endlichkeit, sorgt sich vor dem Tod, seinem Tod. Das Besondere daran war, dass keiner der Zuschauer begann zu murren. Alle erlebten diesen Moment öffentlicher Intimität zweier Menschen und respektierten ihn.

Alles neu macht das BE

In Berlin ist der Ort neu, das Setting fast unverändert. Zwei Menschen, ein rotes Sofa, ein nicht ganz so dunkler Zuschauerraum, ein Titel in VERSALIEN und Ausrufezeichen! - aber deutlich populärere Gäste. In seinem Gespräch an Nikolaus wirkte Friedman wider Erwarten sehr müde, die eh schon großen Augenlieder hingen tief. Der zurzeit allgemein beachtete Schriftsteller Robert Menasse gehört nicht zu der Kategorie stiller Denker, die sonst die halbrunde weinrote Couch links außen besetzen. Er kann und will die Bühne alleine füllen und er tut es an diesem Abend auch; mit klugen Sätzen, bedingend durch seinen Roman Die Hauptstadt (Suhrkamp, 2017) über Brüssel und die Europäische Union. Die großen Fragen von Zuwanderung, Demokratie sind unumgänglich. Menasse antwortet, ohne das Friedman fragt. Dieser kann da nur selten gegen den sich in Rage argumentierenden Menasse einschreiten, quasi einen deutschsprachigen Eribon, der auch gerne in fast-forward-Monologe kippt. Menasse möchte rauchen, das Publikum negiert giftig im Chor. Menasse ist agitiert, er kaut unverhohlen Fingernägel. Ein Nagelstück beißt er ab, es fällt auf seinen schwarzen Dichterpulli. Seinen Gastgeber entnervt er zunehmend, so dass dieser ihm irgendwann außerordentlich scharf in den Monolog fällt. Da blitzt er wieder durch, der „alte" Friedman.

Wider Erwarten ist die Veranstaltung fast voll, das Publikum -gefühlt- älter als in Frankfurt, hat aber eine ähnliche Abonnentenattitüde vorgerückten Alters aus abbezahlten Altbauwohnungen mit 10er Postleitzahl. Nun sind die Termine für das erste Halbjahr veröffentlicht: Mit Sigmar Gabriel spricht er über Auschwitz (ohne Ausrufezeichen, hierzu hatte Oliver Reese mit ihm in Frankfurt gesprochen), mit Julian Nida-Rümelin (Schröders „Kulturpudel“) über Demokratie und mit Juli Zeh über Heimat (dieses war sein finales Thema in Frankfurt mit Carolin Emcke).

Ob er mit dieser Gästeauswahl an die validen Erfolge aus Frankfurt anknüpfen kann, ist fraglich. Denn wer braucht schon Mainstream.

www.berliner-ensemble.de/friedman

Jan C. Behmann ist freier Autor & Literaturkritiker aus Frankfurt am Main. Er beschäftigt sich seit zehn Jahren mit dem Wirken Michel Friedmans.

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