König der Lüfte

Interview Jürgen Raps war Chefpilot bei Lufthansa und hat alles erreicht, was man im Cockpit erreichen kann. Dann war mit Sechzig Schluss. Ein Ende?

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Cockpit eines Airbus A380
Cockpit eines Airbus A380

Foto: Pierre Verdy/AFP/Getty Images

Was bedeutete Macht für Sie?
Über das Thema habe ich nie nachgedacht. Macht heißt in erster Linie Verantwortung und der sorgsame und verantwortungsvolle Umgang damit.

Ich empfinde Kapitäne nicht immer nur als enthusiastische Flieger, sondern auch als machtbewusste Führungskräfte. Ist das unabdingbar?
Natürlich muss ein Kapitän Führungskraft sein, denn letztendlich führt er, zwar auf bestimmte Zeit, aber immer wieder, ein mittelständisches Unternehmen. Wenn man es so sehen will, dann hat ein Kapitän Macht über Flugzeug, Besatzung, Passagiere, Prozesse usw. Aber letztendlich kommen wir wieder zurück zum verantwortungsvollen Umgang mit Verantwortung.

Sie waren in einer der höchsten fliegerischen Positionen bei Lufthansa. Wie verlief das Verlassen Ihres Büros?
Es verlief relativ emotionslos. Ich wollte meinem Nachfolger ein ordentliches und aufgeräumtes Büro hinterlassen und habe alle Sachen, die er nach meiner Einschätzung nicht gebrauchen konnte, an einem Wochenende, als im Bürobereich gähnende Leere herrschte, weggeräumt.

Der Ausweis trägt nun ein "R": retired

Wie verlief die Abgabe Ihres gelben Lufthansa-Ausweises, der in der Branche für mehr steht, als für eine bloße Karte?
Ich habe immer noch einen gelben Ausweis, nur hat er jetzt ein "R" drauf für „Rentner“ oder „retired“. Das ist halb so schlimm.

Beschreiben Sie mir bitte den ersten Morgen nachdem Sie von Ihrem letzten Flug zurückkamen.
Aufstehen, Frühstück. Kein Zeitdruck, keine Hektik, ich bin Herr meines Terminkalenders, der an diesem Tag leer ist. Paradiesische Zustände.

Zur Person

Jürgen Raps, Jahrgang 1951, begann seine Ausbildung zum Verkehrspiloten 1970 bei der Deutschen Lufthansa. Er durchlief viele fliegerische Führungspositionen im Konzern. Zuletzt war er Mitglied des Vorstands der Lufthansa Passenger Airline und Chefpilot. Als einer der ersten vier Piloten weltweit, erlangte er im März 2007 die typengebundene Lizenz für den Airbus A380. Die Cockpitvideos von "Pilotseye" erreichen Millionen flugbegeisterter Zuschauer. JR, wie Raps gerne abgekürzt wird, wurde auch bei seinem letzten Umlauf im Jahr 2011 von dem Drehteam auf dem Flug von Frankfurt nach San Francisco und zurück begleitet. Inzwischen lebt er in Phoenix, Arizona. Dort sitzt auch die US-Dependence der Lufthansa Verkehrsfliegerschule, die Raps zeitweise auch selbst leitete. Seit 2012 ist Raps Honorarprofessor der Hochschule Bremen

Wie fühlte sich die Stille an?
Die habe ich nie gehabt.

Hatten Sie Reflexe aus der Routine, die Sie ablegen mussten?
Nein.

Gerhard Schröder sagte über das Ende seiner Amtszeit, er brauchte Beschäftigung, um nicht in ein Loch zu fallen. Hatten Sie diese Sorge und hatten Sie die Beschäftigung?
Die Sorge hatte ich nie und Beschäftigung genug. Auch jetzt noch.

Was machen Sie heute?
Ich genieße meine Freiheiten und die Tatsache, dass ich meinen Terminkalender selbst bestimme und nicht irgendwelche Zwänge. Ich bin immer noch tätig im Consulting-Bereich, im Alternative Fuel Business, sowie der einen oder anderen Vorlesung, Betreuung von Abschlussarbeiten oder mal einen Vortrag. Das reicht.

"Das ist Teil des Lebens"

Sie sind ausgewandert. War Deutschland für Sie zu klein?
Das hat mit der Größe nichts zu tun. Ich habe rund vierzig Jahre aus dem Koffer gelebt, meine Frau hat viele, viele Jahre in den USA gearbeitet. Auch ich habe beruflich und privat viel Zeit dort verbracht. Als wir uns überlegten, wo wir unseren Ruhestand verbringen, fiel die Wahl sehr schnell auf Arizona. Immer gutes Wetter, entspannter Lebensrhythmus und viel Landschaft mit viel Platz. Aber auch in Phoenix selbst ist es eng.

Ein anderer scheidender Kollege (Norbert Wölfle) sagte auf seinem letzten Flug, wenn nun der Nachbar fragte, woher er komme, könne er nicht mehr Hongkong, sondern nur noch „vom Supermarkt“ sagen. Es betrübte ihn doch sehr. Wie war das für Sie?
Damit hatte ich nie ein Problem. Das ist Teil des Lebens.

Der ehemalige Aerologic-Chefpilot, Joe Moser, wurde, so wie Sie, auf seinem letzten Umlauf vom Drehteam der Produktionsfirma „PilotsEye“ begleitet. Als seine Erste Offizierin fragte, was sie gegen seine Traurigkeit tun könnte, sagte er: „Die Uhr fünf Jahre zurückdrehen“. Wollten Sie das auch?
Nein, denn es hilft nicht weiter. Face the facts.

Gab es für Sie die Sinnfrage des Lebens?
Komischerweise taucht diese Frage erst in jüngster Zeit auf. Hängt dann doch wahrscheinlich mit dem Alter zusammen.

Der Job, der nicht nur ein Job ist

Warum hängen Piloten so sehr an ihrem Job?
Weil der Job einfach (Entschuldigung) geil ist.

Piloten der Interflug begingen teilweise Selbstmord, als sie nach der Wiedervereinigung nicht mehr kommerziell fliegen durften. Können Sie das nachvollziehen?
Es fällt mir schwer, zu glauben, dass dies der alleinige Grund war.

Wie sehr helfen bei der Umstellung Frau und Familie?
Wenn notwendig, kann diese Hilfe sehr wichtig sein. Es war aber, glaube ich, bei mir kaum nötig. Ich hatte ja bewusst entschieden, wann und dass ich aufhöre. Das erleichtert vieles.

Ich habe in einem Video gesehen, dass Sie sich einen Bart stehen ließen. Hat es auch ganz praktische Vorteile, nicht mehr repräsentieren zu müssen?
Allerdings. Aber das hat nichts mit dem "Goatie" zu tun. Ich brauche keine Anzüge mehr, keine feinen Klamotten, keine Krawatte. Herrlich!

"Als Fluggast bin ich sehr kritisch"

Wenn Sie heute als Fluggast mitfliegen, wie ist das?
Ich sitze entspannt in meinem Sitz, bekomme aber alles mit und bin total alert. Und sehr kritisch.

Gab es schon den Punkt, an dem Sie von jüngeren Kollegen nicht mehr erkannt wurden? Wie war das?
Ja, das gab es. Das ist aber ganz normal.

Die Kollegen nutzen heute vielfach Instagram und andere soziale Medien, um ihre Arbeit darzustellen. Wie finden Sie das?
Kann dem nichts abgewinnen. Was soll das?

Verschleiert diese sehr sonnige Darstellung auch Schattenseiten des Pilotendaseins?
Mit Sicherheit. Die Medaille hat immer zwei Seiten.

Die Kollegen bekommen in den Sozialen Medien sehr viel Zuspruch. Muss man gerade jungen Kollegen klarmachen, dass dies nicht ihrer Person, sondern vielmehr ihrer Funktion geschuldet ist?
Das kann nicht schaden.

Lizenz zum Fliegen

Ist daher die Angst fluguntauglich zu werden so groß, weil damit ein Bedeutungsverlust der eigenen Person zwingend einhergeht?
Nein, sondern weil die Berufsaussichten als arbeitsloser Pilot sehr dezimiert sind. Bei Licht betrachtet, hat man ja nur eine Lizenz zum Fliegen, die beim Grounding nichts mehr nützt.

2015 führte der Erste Offizier einer Germanwings-Maschine einen Absturz in den französischen Alpen herbei. Er hätte, wie sich danach herausstellte, aus medizinischen Gründen nicht mehr fliegen sollen, alle Insassen starben bei dem Absturz. Was fühlten Sie damals?
Ich konnte das zunächst nicht glauben. Und hätte das im Lufthansa-Umfeld nicht für möglich gehalten. Natürlich war ich schockiert.

Sie gehören noch zu den „goldenen“ Jahrgängen mit einer sehr guten Entlohnung. Wie wird die inzwischen sinkende Honorierung in der Branche das Bewerberangebot ändern?
Meine Lehrgangskollegen und ich haben sich damals nicht aus finanziellen Gründen für diesen Beruf entschieden. Meine Erfahrungen und Kontakte sagen mir, dass das heute immer noch mehrheitlich der Fall ist.

Was fliegen Sie heute selbst?
Nichts.

Sie waren an der Einführung des A380 bei der Lufthansa federführend beteiligt. Wie sehr reizt es Sie, mal wieder ein großes Verkehrsflugzeug zu fliegen?
Einen Trainings- oder Promotionflug würde ich gerne nochmal machen. Aber Entzugserscheinungen habe ich keine. Und damit auch keine Simulatorsession nötig. Ich hatte eine klasse Zeit, aber sie ist eben Historie. Wie bei einem Buch, in dem wieder ein Kapitel zugeklappt ist.

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