Lebenszeitliche Kostbarkeit

Interview Andreas Altmann schreibt Bücher mit eigenem Charakter. Wenn ein Mensch ohne Herkunft von Heimat schreibt, wird es atemberaubend

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Andreas Altmann
Andreas Altmann

Foto: Imago / Viadata

Wenn sich zwei Heimatlose unterhalten, kann dabei viel Heimatliches herauskommen. Denn das Gefühl, was einem wirkliche Heimat ist, kann nur der entwickeln, der sie sich suchen musste.

Brauchen wir eine Gebrauchsanweisung für Heimat?
Haha, natürlich nicht. Ich habe mich längst von dem pompösen Wahn befreit, dass irgendeines meiner Bücher zum Überleben Deutschlands beiträgt. Ich bin auch außerstande, irgendjemandem – schwer moralisch erregt – „den Spiegel vorzuhalten“. Dennoch, dieses Buch (wie alle anderen zuvor) musste sein, aus den zwei niedrigsten Motiven, die einen Schreiber antreiben können: Ich will noch mehr Geld verdienen und noch berühmter werden!

Wie kam es zur Buchidee?
Dank meiner supergescheiten Lektorin beim Piper Verlag kam das Buch in die Welt. Sie hatte die Idee – und ich zierte mich. Wie soll einer, der – von seinem Alten an diesem Tagen schon wieder blutig geschlagen – freudestrahlend und tränennass seine Heimat, die bigotte Scheißheimat, verließ, für ewig verließ, ja, wie soll so einer zum grandiosen Thema Heimat was Kluges sagen können? Irgendwann erkannte ich jedoch, dass die Argumente der Lektorin intelligenter klangen als meine. Und legte los.

"Die Leser schenken mir Unglaubliches: ihre Lebenszeit"

Braucht es Heimat zum Leben können?
Gewiss, aber in meinem Buch kommen viele „Heimaten“ vor. Eine reicht nicht – mir nicht, und, so ist zu vermuten, anderen auch nicht. Klar: Auf meine „Urheimat“ kann ich verzichten, ich schäme mich, sie laut als meinen Geburtsort anzugeben, denn sie ist ein Geburtsfehler.

Du hast auch die Gebrauchsanweisung für das Leben geschrieben. Worin unterscheiden sich die beiden Bücher?
Die Frage lass weg, die Antwort wäre uferlos.

Wieso ist dein Buch keine lokale Heimatschnulze?
Weil ich grundsätzlich vorher nachdenke, bevor ich mich hinsetze und den Mac einschalte. Zudem haben wir derlei Schnulzen schon zuhauf. Zuallerletzt: Die LeserInnen schenken mir ihr Geld (das Buch kostet,) und sie schenken mir die unglaublichste Kostbarkeit: ihre Lebenszeit. Also muss ich etwas bieten, damit sie weder das eine noch das andere bereuen und das Buch nicht zornglühend in den Ofen feuern.

Wo ist der Unterschied zwischen Heimat und Zuhause?
Das musst du den fragen, der dort wohnt, wo er nicht wohnen will und jeden Tag spürt, dass hier nicht seine Heimat ist.

Viel Scheiße erlebt, viel Heimat in sich selbst entdeckt

Wann bist du das erste Mal in deine Heimat zurückgekommen?
Als ich „Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend“ veröffentlicht hatte und von mehreren TV-Sendern dorthin begleitet wurde: um ausführlich über das Kaff ablästern zu dürfen. Leider wurde mir der Wunsch nicht erfüllt, drei riesige Lockheed C-130 Hercules-Flugzeuge mit Stinkbomben vollzuladen, um damit diesen steingewordenen Ausbund von Heuchelei, Pfaffengewalt, Lehrersadisten und Altnazis einzuäschern.

Warum willst du in deine Herkunftsheimat auf keinen Fall zurück?
Das weiß jeder, nachdem er das gerade erwähnte Buch gelesen hat. Uff, ich mag da sein, wo es schön aussieht, wo Hirne sich durchlüften lassen, wo Internationalität umgeht, wo Ironie und Selbstironie gefragt sind, wo die Prügelstrafe längst abgeschafft wurde, wo Eros sein darf, ohne dafür im christlichen Höllenschlund zu landen, haha, deshalb bin ich nach Wohnorten auf drei Kontinenten in Paris gelandet. Weiß einer einen herrlicheren Landeplatz auf Erden?

Was kann Heimat leisten und was muss Heimat leisten können?
Das weiß ich nicht, mir fällt zu der Frage nur ein Satz aus dem Zen-Buddhismus ein: „Wie viel Zen gibt es auf der Spitze eines Berges? So viel, wie du mitbringst.“

"Ich will als Weltmann enden"

Können Menschen mehr Heimat sein als ein Ort?
Mehr? Weiß ich nicht, aber klar, auch sie gehören auf die Landkarte der Heimaten.

Du lebst seit Jahren in Paris. Warum?
Siehe weiter oben, zudem bin ich ein schönheitshungriges Tier.

Ist Paris deine Heimat geworden?
Von vorn bis hinten. Aber die Allein-Heimat, die kenne ich nicht, im neuen Buch rede und lobpreise ich auch andere Orte (und Landschaften) auf Mutter Erde. Aber fürs Tag-für-Tag-Leben ist Paris nicht zu toppen.

Muss jemand mit einer Heimat gleichzeitig lokalpatriotisch sein können?
Ich bin kein Lokalpatriot. Mein hehrstes Ziel ist es, als Weltmann zu enden.

Haben Menschen ohne intaktes Elternhaus ein Mehrbedürfnis nach Heimat?
Ich bin kein Vorgartenzwerg-Psychologe, sprich, ich habe nicht auf jede Frage eine Meinung. Ich halte es aus, dass ich etwas nicht weiß. Wie jetzt, zum Beispiel.

"Ich halte den Alltag für eine Zumutung"

Giovanni di Lorenzo betont, dass er in der deutschen Sprache seine Heimat gefunden habe. Das gilt auch für dich?
Wir alle haben den Satz von Camus gestohlen, der seine herrliche Sprache als seine Heimat bezeichnete. Wenn Lorenzo und ich das auch behaupten, dann müssen wir uns bescheiden hinter Albert anstellen.

Ist dein Reisen in die Welt eine Verleugnung von Herkunft oder ein Verweigern der genuinen Heimat?
Weder noch. Ich reise aus zwei ganz schlichten Gründen: Den Alltag halte ich für eine Zumutung und ich bin notorisch neugierig. Die einen befriedigen ihre Neugier in einem Labor, die anderen in grandiosen Bibliotheken und wieder andere, ich auch, rennen um den Globus.

Ist Ankommen an einem Ort ein Fehler?
Haha, ich hoffe immer, dass ich ankomme. Denn der Satz „Der Weg ist das Ziel“, dieser esoterisch-eselige Kalenderspruch, der soll in den Büchern des weltberühmtesten Eso-Esels, Paulo Coelho, stehen. In anderen Büchern hat er nichts verloren. Zurück zu deiner Frage. Du meinst wohl: dort Wurzeln schlagen und dort verschimmeln. Das wäre tatsächlich ein Fehler. Ich will nicht verranzen, ich will mit Würde jung bleiben.

"Das Leben ist so unverschämt kurz"

Wann bist du in der Welt des Reisens mal dir selbst verloren gegangen?
Die Frage kommt auf den Müll, haha.

Kann nur der, der wegging, wissen, was es überhaupt heißen kann, Heim(at)weh zu haben?
Gewiss, dem geht es wie einem, der jahrelang im Zuchthaus saß und nie eine Frau berühren durfte: DER weiß, was es heißt, wieder den Duft einer weiblichen Haut einzuatmen. So ist das wohl mit der Heimat. Wobei Frauen natürlich wunderbar Heimat sein können. Behauptet ein heterosexueller Mann. Bei einem Schwulen, sag ich jetzt einfach, löst derlei Gefühle ein anderer Schwuler aus, in den er verliebt ist. Auch gut. Wenn nur Sehnsucht und Einverständnis vorhanden sind. Aber ja, nur Mangel macht scharf. Satt sein, schau dich um, macht träge.

Was bedeutet Heimweh für dich?
Dass ich wieder auf meinem unverlausten Futon liegen und nachmittags auf der Terrasse meines Cafés sitzen, rauchen und lesen darf.

Als professioneller Reisender: Was begleitet dich auf Reisen immer? Und, haben diese Gegenstände etwas mit Heimat zu tun?
Der eine so furchterregende Gedanke: Wie unverschämt kurz das Leben ist! Und als zweites, wenn es ein Ding sein soll: mein MacBook.

Sind Rituale auch Heimat? Und wenn ja, hast du welche?
Dass jedes Mal die Vöglein zwitschern, wenn ich die Fenster öffne.

Café als Orte zum einsamen Denken ohne einsam zu sein

Ich sehe dich oft in Lederjacke. Ein Journalist analysierte mal bei Thomas Glavinic, dass dies sein Schutzwall zur Welt sei. Bist du heimatlich in der Lederjacke?
Da haben wir den Vorgartenzwerg-Psychologen, haha, Himmel, was für ein bombastisches Geschwafel, also: Ich trage im Winter Lederjacken, weil sie praktisch sind (die vielen Taschen), belastbar (man sieht den Schmutz nicht gleich) und weil sie nicht stündlich frisch gebügelt werden müssen. Sommers trage ich Sakkos, nie eine Lederjacke. Ein weich fließendes Sakko sieht elegant aus, trägt sich leicht, die wenigen Taschen sind ein Skandal, das schon.

Welches Café ist für dich Heimat?
Jedes auf Erden, in dem kein Musikantenstadl aus Lautsprechern faucht, sondern im Hintergrund dezentes, zivilisiertes Geplauder rauscht, in dem es Tische gibt, auf denen ein Stift und ein Laptop Platz haben, ein Ort, wo man denken und zuhören und reden kann und, aber ja – wo eine sanfte Anmutung zum Lesen einlädt. Wie sagte es Alfred Polgar über Literaten in Kaffeehäusern: „Das sind Leute, die allein sein wollen, doch dazu Gesellschaft brauchen.“

Andreas Altmann: Gebrauchsanweisung für Heimat, Piper Verlag 2021, 15€

Andreas Altmann schreibt seit Jahrzehnten Bestseller. Nach einer "Scheißjugend" und vielen Versuchen, Leben der Regel nach zu leben, fand er mit Ende Dreißig endlich zu dem, was er mit Leidenschaft kann: das schreiben eigenen Stils. Er begann als Reisereporter für GEO und erlebt die Welt mit den Augen eines örtlich Rastlosen. Immer auf der Suche nach Neuem und nach dem wahren Leben. Seit langer Zeit lebt er in Paris.

www.andreas-altmann.com

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