„Meine Leber geradezu essbar, so rein“

Kolumnen Zweitverwertungen von Kolumnen in Buchform können zur gedehnten Ödnis werden. Aber für Andreas Maier gelten keine Regeln

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Der Weißwein hilft, will man sich dem Schriftsteller annähern
Der Weißwein hilft, will man sich dem Schriftsteller annähern

Foto: Remy Gabalda/AFP/GettyImages

Sich Andreas Maier überhaupt nähern zu können, bedarf der Taktik der ruhigen Hand. Des langen Atems, der Abstraktionsfähigkeit. Denn Maier ist ein abstraktes Kunstwerk aus und dennoch gleichzeitig in die Zeit gefallen. Anwesend und gleichzeitig wieder nicht. Wer ist dieser Mann, der aus der Wetterau kommt. Einem ländlichen Gebiet nördlich von Frankfurt.

Wer sich Maier nähern will, sollte Bernhard kennen. Thomas Bernhard, ohne -dt. 2002 verteidigte er seine Dissertation über den österreichischen Schriftsteller, der ihn prägte und dessen Gangart er bis heute bewundert. Die Schrift war lange vergriffen, doch da gibt es noch einen zweiten Bernhard-Aficionado, Raimund Fellinger. Er ist Cheflektor von Suhrkamp und zeichnet auch für das Werk Maiers inzwischen verantwortlich. Beide pflegen einen freundschaftlichen Umgang, Maier wohnte sogar eine Zeit lang im Haus von Fellingers verstorbener Schwiegermutter.

Nebenheimat Korrekturverlag

Inzwischen betreibt Fellinger in Kooperation mit einer österreichischen Druckerei den Korrektur Verlag, der unter anderem Bernhard-nahe Schriften herausgibt. Aktuell kamen die Briefe von Bernhards zeitweiser Lektorin Anneliese Botond heraus und auch die vergriffene Dissertation ist dort in voller Länge und von Fellinger lektoriert, wiedererschienen. Ohne Tamtam, aber mit großer Liebe zu inhaltsorientierter Gestaltung und druckaffiner Ausstattung.

Kann man sich einem echten Schriftsteller nähern? Bernhard konnte man es in einer Form, Handke kann man es auf wenigen, kontrollierten Ebenen, aber wie ist es mit Maier? Gilt die Formel so mehr Schriftsteller desto distanzierter? Die Frage ist eine Falsche, das Pferd ist anders aufzuzäumen. Die Frage des Subjekts löst die Gleichung: Kann der Schriftsteller sich jemandem nähern, lautet die Ausgangsthese.

Maier erleben, heißt Youtube schauen

Dazu muss man sich mit Maier und seiner Geschichte beschäftigen und neben seinem Werk auch seine anderweitigen Äußerungen zu Gemüte führen. Auf Youtube wird man schnell fündig: Dort gibt es sieben Folgen des „Blauen Montag“. Maier und sein Lektor Fellinger sitzen an diversen Orten zusammen, trinken gar nicht so wenig Schoppen oder Weißwein, und palavern. Palavern ist dabei nicht abfällig gemeint, es ist die eher von Zuneigung und leichter Selbstgefälligkeit geschwängerte Rede von zwei Menschen, die in ihren Universen drehen. Beide Universen sind sich aber näher als den vielen anderen. Maier ist ein absoluter Kopfmensch. Wenn er Fellinger für den Zuschauer seinen Weg zu Suhrkamp (neben der Eintracht die Institution, für die er „wir“ sagt) erzählt, wird klar, dass mit Maier Smalltalk zu keinem Ziel führt.

Ich-Aufladung

Diese Videos sind ein Kulturschatz. Sie sind aber nur für Kenner und wahre Profis der menschlichen Annäherung. Die geballte Ich-Aufladung dieser digitalen Minuten muss man aushalten, doch der wahrhaft Aushaltende wird beschenkt mit vielen emotionalen Einblicken in die Seele von Menschen abseits des Mittelpunkts der Party.

Vergleichen kann man es mit Fois Gras, der ungewürzten Version. Umso weniger gewürzt, desto echter im eigentlichen Geschmack, aber umso mehr Kenner muss man sein. Genuss mit Hürden. Das Werk kann durch die Art eines Menschen wie er sich gibt, viel verständlicher und erschließenswerter werden. Witze würden mit Allgemeinbildung viel lustiger, sagte Ulrich Wickert einmal. Und so ist es auch mit den Aussagen und Abschweifungen Maiers.

Er selbst bezeichnete sich in seiner Jugend als Solipsist (was laut Maier für ihn "die Vorstufe zur Öffnung zum Wort ´Gott´ war"). Solipsisten gehen davon aus, dass nur das Ich besteht und alles andere einer Imagination seiner selbst entspricht. Ungeachtet der Bewahrheitung dieser These, ist es die Haltung seiner selbst wegen beachtenswert.
2006 war Andreas Maier der Auserwählte. Er hielt die Frankfurter Poetikdozentur an der Goethe Universität Frankfurt am Main. Der Kern seiner 150-seitigen Vorlesungen ist, dass „Ich“ der Mittelteil des Wörtchens „Nichts“ ist. Maier ringt leise und vibrierend um die Erkenntnis der wirklichen Existenz seiner selbst. Dieses kleine Suhrkamp-Bändchen ist auch heute noch erhältlich, es ist neben den Videos die eigentliche DNA der Werkschaffung Andreas Maiers. Dass Maier nur ein Mensch ist, der einfach nur ist und nicht mehr merkt als der Durchschnitt, schließt sich durch den Beruf des Schriftstellers aus.

Kolumnen, die das Leben fassen

Wenn man ihm auf dem Titel seines neuen Buches so sieht, auch das ist ein Teil Maiers. Der Flaneur, der Raucher, der trinkende. Mit einem Pastis und Zigaretten auf der karierten Tischdecke, sitzt er in südlichen Gefilden und genießt. Warten und sitzen, das gehört auch zu Maier. Der Zögernde. Das schwarz-weiß-Foto aus früheren Zeiten spielt somit auch auf den Titel seines neuen Buches „Was wir waren“ an. Die Kolumnen entspringen der Wiener Zeitung „Volltext“ und sind von 2011 bis 2017 unter dem Titel „Neulich“ erschienen. Ob er nun neulich einen Roman beendete, oder zu zittern begann (der Liebe wegen?), es ist immer Maier und seine Haltung zur Welt, die sich in den kurzen und dennoch starken Texten wiederspiegelt.

Es sind Geschichten, aber meist ohne Handlung, so wie man sie versteht. Es sind Kolumnen auf der Schneide zwischen Geschichte und Irgendwas. Handlung spricht er seinen Büchern ab. Sie ist genau so selten, wie seine Kreativität – sagt er. Er habe sie nur alle sechs Wochen, dann aber rauschhaft. So rauschhaft, dass es mit körperlichen Einbußen einhergehe. Inzwischen wohnt er in Hamburg, direkt in der Nähe zum Dammtor. Der Liebe wegen. Maier nicht mehr im Apfelweinmilieu? Ja, er zog seiner Frau hinterher, die die erste Professur für katholische Theologie in Hamburg innehat. Man kann ihn sich gar nicht vorstellen, so in Hamburg, am Dammtor.

Aber vielleicht hat eben doch alles seine Zeit. Denn zum Interview, wenn überhaupt, will er sich in keiner Apfelweinkneipe treffen.

Was wir waren: Kolumnen, Andreas Maier, Suhrkamp Taschenbuch, Berlin 2018, 16,00€

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