Morgens chinesisch, abends deutsch

Interview Thomas Derksen ist in China ein Internetstar. Seine Heimat hat er dabei nie vergessen

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Thomas Derksens Lebensmittelpunkt ist China
Thomas Derksens Lebensmittelpunkt ist China

Foto: Thomas Derksen, privat

Thomas „Afu“ Derksen steht im Stau, als er mir schreibt, ob wir uns noch eine Stunde zum Interview vertagen können. Das können wir natürlich, denn der Verkehr in der Millionenmetropole Shanghai, in der Derksen im einunddreißigsten Stock eines Hochhauses wohnt, ist nicht mit dem deutschen Verkehr vergleichbar.

Knapp 9000 Kilometer trennen uns. Derksen kam 2007 zum ersten Mal nach China, mit einer Schul-AG. Danach ließ ihn das Land nicht mehr los. Er studierte u.a. Chinesisch in Bochum und Shanghai. 2012 lernte eine seine heutige Frau Liping auf einer Party kennen. Mit seinen Videos über das Leben in China und die Verbindung der Kulturen, erreicht er knapp sieben Millionen Follower. Nun legt Derksen sein Debüt als Buchautor vor: Wie ein junger Mann aus dem Bergischen ins Reich der Mitte fiel – und dort offensichtlich seine zweite Heimat fand.

Zur Person

Thomas Derksen wurde 1988 in Gummersbach geboren. Nach Abitur und Lehre als Bankkaufmann, studierte er in Bochum und Shanghai Wirtschaft und Politik Ostasiens und Chinesisch. 2012 lernte er seine heutige Frau Liping kennen. Als Blogger und Youtuber lebt er heute mit seiner Frau in Shanghai.

Was ist Heimat für Sie?
Mein Herz teilt sich in zwei Hälften: Deutschland und China. Aber mein Lebensmittelpunkt ist China. Heimat hat für mich viel mit Familie zu tun und die ist mit meiner Frau nun eindeutig hier.

In welcher Sprache träumen Sie?
Es kommt drauf an, wo ich bin. Aber ich träume in letzter Zeit vermehrt in chinesisch, insbesondere Erlebnisse aus meinem Alltag in China.

Sprechen Sie mit Ihrer Frau Hochchinesisch?
Ja, das ist unsere Alltagssprache. Wenngleich meine Frau auch immer mehr Deutsch kann, da meine Eltern kein Englisch sprechen.

Wie ist es inzwischen mit Ihrer Sprachkenntnis?
Ich verstehe fast alles und selbst wenn mal eine Vokabel fehlt, frage ich einfach nach. Ich hatte mal einen Taxifahrer, der mir nicht glaubte, dass ich ihn bestellt hatte. Mein westliches Aussehen und meine Aussprache am Telefon, passten für ihn zuerst nicht überein.

Und lesen Sie auch chinesische Bücher oder Zeitungen?
Das ist für mich erstaunlicherweise eher anstrengend. Ich lese im Englischen leichter, aber dafür empfinde ich mein Hörverstehen im Chinesischen besser.

Können Sie chinesische Schriftzeichen flüssig schreiben?
Ich habe Tests während meines Studiums absolviert und konnte es sehr gut. Wie bei allen Menschen hier, verkümmert dieses Können, weil man fast alles per Handy tippt.

„In China werden Entwicklungsschritte übersprungen“

Wie empfinden Sie das Lebenstempo in China im Vergleich zu Deutschland?
Das Lebenstempo ist hier viel, viel schneller. Wenn ich mal einen Monat nicht hier bin, kann es sein, dass nebenan ein neues Haus steht. Das empfinde ich in Deutschland nicht so.

Leben wir in Deutschland antiquiert?
China ist in vielen Punkten noch Entwicklungsland. Aber in einigen ist es viel weiter als Europa. Hier werden oft Entwicklungsschritte übersprungen. Beispielsweise beim mobilen Bezahlen oder der Nutzung des Internets mittels Smartphones. Bargeld spielt hier kaum noch eine Rolle.

Wie viel Bargeld haben Sie grad in der Tasche?
Es sind umgerechnet circa fünfzehn Euro. Aber, ehrlich gesagt, sind die Banknoten schon einige Monate im Portemonnaie.

Gibt es noch eine Notwendigkeit, Bargeld mit sich zu führen?
Mir würde keine Situation einfallen. In Deutschland muss ich mich da immer umgewöhnen, mein Portemonnaie mitzunehmen. Im Gegenteil, hier gibt es Restaurants, die gar kein Bargeld mehr annehmen.

Welche Stellung haben Sie im Internet in China?
Ich habe in China meine Marktlücke als Mittler zwischen den Kulturen gefunden. Viele Leute denken an mich, wenn sie an Deutschland denken.

Wie sieht diese Lücke aus?
Von Beginn an legte ich Wert darauf, Deutscher zu sein und aus meiner Sicht zu berichten und die Videos zu gestalten. Der Zuspruch ist groß und meine Community interessiert sich sehr für Deutschland und fragt dezidiert nach.

„Das Leben im Ausland, hat mich sicher geformt“

Sie wirkten ziemlich unbedarft, als Sie 2012 Ihre Freundin kennenlernten. Hat China Sie reifen lassen?
Ja, das hoffe ich doch! Ich bin mittlerweile dreißig und habe sicher hier eine Entwicklung durchgemacht. Als Ausländer habe ich hier viel erlebt und bin viel gereist. Das Leben in einem anderen Land, einer anderen Kultur, hat mich sicher geformt.

Welchem familiären Druck sahen Sie sich in der Familie Ihrer heutigen Frau ausgesetzt?
In China heiratet man nicht nur eine Frau, sondern ihre ganze Familie. Die Schwiegereltern reden in allen Angelegenheiten mit. Das musste ich erst lernen, hatte aber eine verständnisvolle Schwiegermutter und eine für mich eintretende Freundin. Mein Schwiegervater stand der ganzen Sache kritisch gegenüber. Ich wusste nie recht, was er dachte. Er gestattete mir, bei ihnen im Gästezimmer zu wohnen. Glücklich war er aber mit der Situation nicht, dass seine Tochter unverheiratet mit ihrem ausländischen Freund unter seinem Dach lebte. Für einen traditionellen Chinesen war das schwierig.

Aber er zeigte auch seine wohlwollende Seite.
Ja, ein Kapitel im Buch heißt nach einem chinesischen Sprichwort: Messermund und Tofuherz. Das passt sehr gut zu ihm: Er hat eine Zunge wie ein Messer, aber sein Herz ist weich wie Tofu.

„Ich werde oft auf der Straße erkannt“

Wie ist die Beziehung zu Ihrem „Tigervater“ heute?
Ich versuche immer noch ihn zu verstehen. Aber meine Frau sagt, sie sei in der Rangfolge gesunken, denn wenn mein Schwiegervater anruft, will er mich sprechen, nicht sie. Wir verstehen uns also inzwischen ganz gut.

Haben Sie in China ein anderes Standing als Sie es hier hätten?
Ich falle hier natürlich mehr auf; auch weil ich chinesisch fließend spreche. Es reicht aber nicht, „nur“ Ausländer zu sein. Seit drei Jahren mache ich Social Media, das ist eine sehr lange Zeit. Da muss man mehr bieten, als einfach nur anders zu sein.

Ist es anstrengend sein Leben zu vermarkten?
Wir versuchen, sehr authentisch zu sein. Das klappt natürlich nicht immer. Bei der Auswahl der Projekte sind wir sehr selektiv. Wir haben keine vierundzwanzigstündige Überwachung. Ich werde aber hier in Shanghai oft erkannt, und das birgt natürlich besondere Situationen. Mit meiner Frau hatte ich mal auf der Straße eine Meinungsverschiedenheit. Da ist es dann komisch, wenn Fans auf einen zukommen.

Wie ist es, in einem Hochhaus zu leben?
Es ist anders als im Einfamilienhaus in Deutschland, natürlich. Der Ausblick ist sehr schön, wir haben insgesamt sechsunddreißig Stockwerke. Es kommt auf die Lebensumstände an.

Sehen Sie Natur, wenn Sie aus dem Fenster schauen?
Wir haben in Shanghai in den einzelnen Wohngebieten Parks und Grünflächen.

Wie ist es mit der Sicherheit?
Gefühlt finde ich es sicherer als in Berlin oder Köln. Wenn meine Frau nachts mit der Bahn nachhause kommt, mache ich mir in Shanghai keine Sorgen.

Es gibt angeblich Sozialkreditkonten, die Vergünstigungen im Alltag ermöglichen können?
Davon habe ich gehört, aber das sind Pilotprojekte, die noch in den Kinderschuhen stecken. Mir scheint, es ist eher wie die deutsche Schufa.

„Mieten ist leichter als kaufen“

Wie schwer ist es, eine Wohnung zu bekommen?
Als Mieter hat man es hier gut. Wir zahlen hier „nur“ etwa tausend Euro Miete, aber müssten sicher eine Million Euro für unsere Wohnung zahlen. Es sind keine Bewerbungen für die Wohnungen nötig. Hier zählt mehr, Eigentum zu besitzen. Daher ist es schwieriger, eine Wohnung zu kaufen, als sie zu mieten.

Wie nehmen Sie die ökologische Situation in Ihrer Umgebung war?
Es wird daran gearbeitet, dass es besser wird. Hier in Shanghai haben wir nur wenige Tage im Jahr mit sehr schlechter Luft.

Können wir das Thema Zensur ansprechen?
Meine Arbeit in den sozialen Medien dreht nicht an den großen Rädern, sondern es geht um Völkerverständigung. Es geht ums Reisen, Essen und Unterhaltung.

Gibt es Themen, von denen Sie selber genervt sind?
Mein einziger Anspruch ist, Themen zu machen, die ich selber gerne mag. Das macht die Authentizität aus, und somit den Erfolg.

„Es gibt kein nine-to-five“

Woraus besteht Ihr Arbeitsalltag?
Es gibt keinen nine-to-five Alltag mehr. Alle Videos plane, drehe und schneide ich alleine. Das ist mir wichtig und sehe es als künstlerische Leistung. Dazu kommen noch das Schreiben und das Besuchen von Veranstaltungen.

Wie kamen Sie zum Buchvertrag?
Meine Literaturagentin lebt in Peking und fand meine Videos gut. Sie ermutigte mich, ein Exposé zu schreiben und einige Verlage zeigten Interesse. Das Ergebnis liegt nun im Buchhandel.

Haben Sie Ihre Essgewohnheiten komplett geändert?
Nein, nicht komplett. Morgens ist mein Magen deutsch, abends chinesisch. Zum Frühstück brauche ich einfach immer noch meinen Kaffee und Brötchen.

„2007 und 2019 sind zwei Welten“

Wie sieht es mit Coffeestores in China aus?
China ist Starbucks größter Wachstumsmarkt. Die Chinesen haben Kaffee entdeckt und es ist ganz anders als 2007, als ich das erste Mal hier war.

2007 und 2019 im Vergleich: sind das zwei verschiedene Länder?
Ja, auf jeden Fall. Man bekommt inzwischen fast alle Produkte, die man im deutschen Supermarkt bekommt. Das war 2007 nicht so.

Hätten Sie Lust eine Durian-Pizza mit mir zu essen?
Ich bin sehr schmerzfrei und würde Sie natürlich dazu einladen.

Essen Sie denn diese stinkende Frucht inzwischen?
Nein, es gibt soviel leckere Speisen hier, dass ich mir Durian einfach erspare.

Info

Thomas Derksen: Und täglich grüßt der Tigervater, Heyne Verlag, München 2019, 14,99€

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