Muss das sein?

Roman Burghart Klaußner spielt, spricht, singt. Mit großem Erfolg. Jetzt schreibt er – eine gute Idee?

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Burghart Klaußner beherrscht auch die Kunst des Schreibens
Burghart Klaußner beherrscht auch die Kunst des Schreibens

Foto: Andreas Rentz/Getty Images

Multitalente sind wie die gefühlte Temperatur, sie variieren in der Wahrnehmung massiv und sind kein geeichtes, weil nicht normierbares Verfahren. So bleibt die Kunst immer ein Bereich bar jede Messung, ohne Verifizierbarkeit. Auch Quantitäten sind nur Ausdruck von Stimmungen und Perioden, ohne Garant auf Wahrhaftigkeit. Eltern bestätigen dies ungesehen.

Burghart Klaußner. Dieser Schauspieler, welcher die Rolle des Generalstaatsanwaltes Hessens, Fritz Bauer, im Film "Der Staat gegen Fritz Bauer" (2015) so herausragend spielte. Er wurde frenetisch gefeiert, weil er die große Kunst beherrscht, eins mit der Rolle zu werden, ohne selbst zur Rolle zu werden. Die beiden anderen aktuellen Filme über Bauers Wirken unterstreichen seinen Kampf gegen die Nazis in der Republik Adenauers, aber sie kommen vom Ansatz nicht an die Strahlkraft heran.

Ulrich Noethen soll wirken wie Bauer, tut es aber im Vergleich mit Klaußner nicht, Gert Voss soll gar nicht wie Bauer aussehen und spielt in "Im Labyrinth des Schweigens" (2014) nur eine Nebenrolle (wenn auch in der Voss´schen Perfektion). Klaußner und Bauer, das wird eine künstlerische Beziehung auf Lebenszeit. Aktuell las Klaußner "Das Verschwinden des Josef Mengele" von Oliver Guez ein, jenes Autors, der auch "Der Staat gegen Fritz Bauer" schrieb und so die Bekannheitsrenaissance Bauers einleitete. Es folgte die öffentliche Installation eines großen Denkmals am Frankfurter Landgericht und auch das Wohnhaus Bauers in Frankfurt, verfügt nun über eine Gedenktafel. Das dies erst kurz vor seinem fünfzigsten Todestag 2018 geschah, spricht Bände.

Und er singt auch noch

Wenn Klaußner nicht spielt oder spricht, dann singt er. Französische Chansons. Der erste Gedanke vor dem Hören, ob vielleicht jetzt der Knick der Leistung beginnt? Aber nein, auch darin reüssiert Klaußner bravourös, wie auf Youtube mit zwei Klicks nachzuprüfen ist.

Harald Schmidts Verachtung gegen Menschen aus den Medien, die sich zum Schreiben aufschwingen ist deutlich zu spüren, wird er befragt, ob er selber nicht auch etwas schreiben wollen würde. Seine Thomas-Mann-Messlatte ist dabei unüberwindbar. Die Ankündigung, Klaußner lege nun sein Debüt als Schriftsteller vor, lässt dann innehalten. Soll man den Roman aufschlagen?

Es ist wirklich eine kritische Phase der Beurteilung einer Leistung für die es, wie schon erklärt, schlussendlich keinerlei Matrix gibt. Nun erschien pünktlich zur Buchmesse 2018 "Vor dem Anfang" bei Kiepenheuer & Witsch (KiWi). Da macht das Antreffen von Klaußner auf dem Stand von KiWi der letztjährigen Frankfurter Buchmesse vielleicht sogar noch mehr Sinn...

Der Krieg, der Krieg

Kann es gut sein? Die Ausstattung des Buches, ist es allemal. Mit großer Sorgfalt, gelacktem Teildruck und aufwendig geprägtem Hardcover kommt der kompakte, aber optisch anregend gesetzte Roman daher. Und er spielt in der Zeit, die Klaußner in vielen Rollen schon umspielte: den Wirren des Zweiten Weltkrieges, diesmal April 1945, kurz bevor in Berlin der letzte Akt losbricht. Er lässt zwei Soldaten in einer flüchtenden Zwangsgemeinschaft durch das umkämpfte Berlin straucheln. Ausgerechnet eine Geldkassette ihrer Einheit sollen sie ins Reichsluftfahrtministerum bringen. Immer auf der Flucht, immer in Gefahr. Bedroht durch andere und den jeweils anderen. Bedroht durch die ständige Chance auf Flucht, auf unerkanntes Untertauchen. Die Chance, den Krieg, der so kurz vor dem Ende steht, doch mit heiler Haut zu überleben. Es ist kalt, zugig, schmutzig und latent dem Ende geweiht.

Das in blau gehaltene Cover strahlt Kühle aus, Kühle die dieser Roman auch durchgehend atmet. Es wird einem nicht warm, egal wie warm es ist. Es ist eine Geschichte des Übergangs, des Latenten, des Unabwägbaren. Klaußner ist 1949 in Berlin geboren, er hatte Glück, kam nach dem Krieg und somit nach dem Anfang in die Szenerie, die er so lebendig beschreibt, zur Welt. Klaußner lässt das geographische Berlin kurz vor dem Ende des Nazi-Regimes auferstehen. Wie weit werden Strecken, wenn man sich des sicheren Überquerens einer Straße nicht sicher sein kann. Wie vage ist der Plan, wenn doch an jeder Ecke die Überführung als Deserteur droht.

In aller Kälte liegt die Wärme dieses Romans, der darin brilliert, dass Klaußner eine Zeit lebendig werden lässt, die er selbst nicht kennt. Und darin steckt die Wahrheit: Das, das ist Kunst. Klaußner beherrscht auch diese. - Chapeau!

Vor dem Anfang Burghart Klaußner, 176 S., Kiepenheuer & Witsch, 18,00 €

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