Nächster Halt: Pleite

Bücher Buchhandlungen sind dem Untergang geweiht, raunt die Branche. Die Umsätze brechen ein, nur Beststeller als Geschenke sind der letzte Anker. Das muss Gründe haben

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Ce n'est pas une  librairie.
Ce n'est pas une librairie.

Foto: Daniel Garcia/AFP/Getty Images

Auf Menschen zu hören, ihrem Rat bedingungslos zu folgen liegt nicht in meiner erzieherischen DNA. Unsere Familie ist eine Abfolge von abgegrenzten Persönlichkeiten, die sich ungern reinreden lassen. Doch Reinreden gehört für Buchhändler wiederum zur ihrer DNA. Sie sollen beraten, empfehlen und so schlussendlich immer meinen.

Der digitale Journalist Mario Sixtus ist gerne in großen Städten, aber außerordentlich ungerne in kleinen Orten. So geht es mir mit Buchhandlungen. Umso kleiner sie sind, desto bedrängter, beobachteter fühle ich mich. Das ist natürlich ganz mein Problem, aber genauso subjektiv ist die Meinung derer, die Buchhandlungen ihres Überlebens willen immer wieder über den Klee loben. Sie seien notwendig, um einen Überblick zu verschaffen, den Lesern den rechten Weg zu zeigen und Hilfestellungen zu geben. So ähnlich sieht Klaus Kleber auch seinen Auftrag mit dem heute-journal. Menschen wie Harald Schmidt würden lachen, es eher als Realsatire titulieren. Recht haben sie, denke ich.

Ich versuche es dennoch immer wieder. Bin verzaubert von Buchläden ohne Menschen. Ich dekliniere also Gedankenspiele durch, in denen die Welt mal ohne Menschen wäre, wie Thomas Glavinic in seinem Roman Die Arbeit der Nacht.

Dann erstrahlen für mich auch kleinere Buchhandlungen in neuem Glanz, in genussvollem Raum. Um aber nicht zum Einbrecher werden zu müssen, wird es nur mit Menschen gehen. Dabei hält sich meine größer/kleiner-Erkenntnis. Bei den großen Ketten kann man eher in der Anonymität der suchenden Wahlfreiheit verharren, ohne sich den Buchhändler mit „Ich schaue nur!“ vom Leibe zu halten.

Doch eigentlich müssten sie sich den Kunden auf den Schoß werfen und sie am Gehen hindern. Denn Buchhandlungen geht es schlecht. Richtig schlecht. Jährlich verzeichnet der in Frankfurt ansässige Börsenverein des Deutschen Buchhandels 100 Mitglieder, die dichtmachen, die Bücher strecken.

Zurzeit sind es noch circa 5000 Buchhandlungen in Deutschland. In Relation zu fast 83 Millionen Einwohnern noch viel mehr als in den USA. Hier klagte Verlegerlegende Gerhard Steidl schon 2010 in einem Interview mit der FR, dass die Anzahl an unabhängigen Buchhandlungen in einem Land mit 200 Millionen Einwohner lächerlich gering sei. Und die Ketten die Preise ob fehlender Buchpreisbindung kurz nach Erscheinen in schwindelerregende Tiefen reißen. Warum? Weil sie es können.

Wer viel einkauft, der bekommt viel Rabatt. Das alte Spiel des Marktes. Anders die kleinen Buchhandlungen, die manche Segmente gar nicht bedienen können. Sie können sich die Vorhaltung schlicht nicht leisten. Und so beschränkt sich die Auswahl an Buchhandlungen, die eine anständige Abteilung für visuelle Bücher vorhalten können auf ein an zwei Händen abzählbares in Deutschland. Also muss es mit Beststellern, den Kartoffeln des deutschen Buchabsatzes, gehen.

Der Verlag Kiepenheuer & Witsch knallte den vierten Teil von Joachim Meyerhoffs Romanfolge Die Zweisamkeit der Einzelgänger mit einer Startauflage von 180.000 Exemplaren auf den Markt. Und so ist die Auslage von kleineren Buchhandlungen so wie die Geschäfteauswahl in Fußgängerzonen von Flensburg bis Rosenheim: Überall der gleiche Mist. Der Geschmack kann ob schmalen Budget nur in sehr engen Grenzen bedient werden. So sollen es dann Flagschiffe des Verkaufs wie eben Meyerhoffs Erzählungen seines kruden Privatlebens, Elena Ferrantes Freundinnen-Romane oder Daniel Kehlmanns historische Gluckerstory Tyll richten. Aus der Frenetik der Anpreisung ist die zunehmende Atemnot des Kontostands abzulesen. Was daneben boomt ist eher symptomatisch für die Gesellschaft: Selbstheilung durch Natur, alles rund um den Darm und warum die Ausländer an allem schuld seien.

Auch der selige Verlegerpapst Siegfried Unseld erkannte vor Jahrzehnten, dass der Buchmarkt ein Geschenkemarkt ist. Da gab es aber auch das Internet noch nicht. Wenn überhaupt noch finden die Versuche, Bücher zu verschenken, ihre Ausläufer heute in Bücherschränken, in denen man die brandneuen Exemplare geringer zwischenmenschlicher Hingabe ungeöffnet findet – gerne auch mit Widmung.

Ein Viertel der Deutschen würde keine Bücher mehr kaufen, verlautbarte die Frankfurter Neue Presse, die Verkäufe brächen ein, das Weihnachtsgeschäft hätte es nicht mehr rausgerissen. Ja, wie auch? Der Drops ist gelutscht, wir sind am Ende einer Phase des gelesenen Buches. Vielmehr noch: des gelesenen langen Einzeltextes. Die Reizanforderung hat sich geändert. Heutzutage fährt auch keiner mehr mit der Kutsche zur Arbeit. Wissensvermittlung, was Lesen im Sinne immer ist, und sei es auch nur Vermittlung von Rechtschreibung, ändert sich.

Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit, verlautbart Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender des Axel-Springer-Verlags, altklug. Und er hat recht. Er führt einen Verlag, der nicht in elegischer Klage verharrte, sondern sein Geschäftsmodell anpasste. Klar, kann man klagen, nur noch die Hälfte zu verdienen (so wie Diogenes-Chef Philipp Keel in der FAZ), bringt aber nichts. Die Konkurrenz echauffierte sich über Döpfners angebliches Riesengehalt nebst Schenkung von Unternehmensanteilen durch Friede Springer zu ihrem Siebzigsten. Ein Journalist, dem der Neid nicht den Blick vernebelte, schrieb folgerichtig: Jedes Gehalt wäre gerechtfertigt, da Döpfner als quasi einziger nicht in intellektuell-habituellem Selbstmitleid versank, sondern das Geschäft digital transformierte. Die Frage, ob das Geschäft dann intellektuellen Ansprüchen genügt, stellt sich nicht, denn – auch das eine Aussage Döpfners hinsichtlich Paywalls – mit Aufmerksamkeit kann man seine Miete nicht zahlen.

Szenenwechsel: Ein wunderschöner Platz in München, die Tram schlängelt sich gediegen an den Altbauten entlang, eine Kirche in frisch erstrahlendem Klinker ragt empor. Die ansässige Buchhandlung ist von der Fläche einer Zwei-Zimmer-Wohnung gleich, die Auswahl entsprechend: Ferrante, Meyerhoff, noch ein wenig Axel Hacke und paar goodseller von Diogenes als cremefarbene Tupfer. Der klassische Katalog an deutschsprachigen Werken. Der Kenner gähnt. Braucht man nicht lange schauen – und will man auch nicht. Denn die viel gelobte Zuwendung seitens der verhinderten Poeten in Rollkragenpullis mit simulierter 68er Attitüde ist schmal. Man sitzt auf Hockern hinter der Theke, schmatzt geräuschvoll nach Curry müffenden Nudelsalat und erörtert selbstgefällig die biologisch korrekte Ernährung, die zwar teuer sei, aber das gönne man sich. Zum Bezahlen der Postkarte, der einzigen individuellen Auswahl, der es Beachtung zu schenken lohnt, wird der Teller beschwerlich abgestellt, nur um dann nach dem Abkassieren schmatzend erneut zu schmausen. Die Abschiedsformel fällt entsprechend schmallippig aus. Man störte den netten Plausch für 1,20 € Umsatz.

Amazon hat mich noch nie so beschissen bedient. Aber dort rühmt sich auch keiner des Bedienen-Könnens und der intellektuellen Überlegenheit. Liebe Buchhändler, sorgt euch nicht, der Fortschritt wird es regeln. Und die Verkaufsfläche ist schnell vergeben. Denn weniger als Bücher fehlt es in Städten an Wohnraum. Den nehmen wir gern.

PS: Es soll der versauern, der keine ambivalenten Gefühle hat. Der grandiose, aktuelle Bild-Gesprächsband von Sepp Dreissinger Im Kaffeehaus ist so ein Fall. Ihn fand ich bei Hugendubel in München. Aber alleine, ohne Algorithmus und Verkäufer.

Jan C. Behmann ist freier Autor aus Frankfurt am Main.

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