„Zum Self-Publishen gehört eine Menge Self“

Interview Michael Meisheit benötigt keinen Verlag mehr, um seine Romane erfolgreich an den Mann und die Frau zu bringen
Ausgabe 23/2017

Wer bei Amazon den Roman Die Sterne lügen nicht aufruft, tritt in ein eigenes Universum: Die meisten Käufer scheinen ihn auf dem E-Reader zu lesen, es gibt richtige Fans der Reihe, und man scheint sehr weit weg von der klassischen Belletristik.

der Freitag: Ihre Bücher sehen aus wie Groschenromane. Ihre Plots lesen sich wie Groschenromane. Schreiben Sie also Groschenromane?

Michael Meisheit: Groschenromane, Pulp Fiction, Trivialliteratur insgesamt hat immer ausgezeichnet, dass sie in einem festen Rahmen vor allem unterhalten will. Und ich will primär unterhalten, der Rahmen ist allerdings nicht besonders fest, denn ich bekomme als Self-Publisher keine Vorgaben. Mein erfolgreichster Einzelroman Nicht von dieser Welt – unter dem Pseudonym Vanessa Mansini veröffentlicht – ist auf der einen Seite eine klassische Liebesgeschichte, auf der anderen in Blogform geschrieben und hat als Love Interest einen Außerirdischen. Schreibe ich also Groschenromane?

Trotzdem: Wenn Sie einen dieser Romane an Hanser oder Suhrkamp schicken würden, wäre wahrscheinlich das Absageschreiben allgemein gehalten. Wie sehen Sie die Chance, in einem Verlag unterzukommen?

Für mich persönlich: Im Moment recht gut, ich bekomme auch Anfragen. Aber ich wollte das damals gar nicht, meine Entscheidung zu Self-Publishing war ganz bewusst. Einige von meinen Kollegen sind in beiden Vertriebsformen unterwegs, viele auch schon wieder nicht mehr, weil die Verlage zu anstrengend sind. Es passiert eine Art Paradigmenwechsel, insbesondere im Unterhaltungsgenre. Bevor Suhrkamp Self-Publisher aufnimmt, wird es wohl noch ein wenig dauern. Dennoch: Die Ergebnisse können sich inzwischen wirklich sehen lassen, wir haben hierzu auch immer wieder einen Stand auf den Buchmessen. Mit den zwanzig erfolgreichsten Autoren im Selfpublishing kommen wir auf über zehn Millionen verkaufte Bücher – und das ist dann schon eine Hausnummer.

Wie konvergent ist die Verlagsszene mit der Leserszene?

Offensichtlich gibt es da Unterschiede. Verlage wissen eben auch nicht immer ganz genau, was der Leser will, sonst hätte jemand längst die Lizenz zum Gelddrucken. Es ist auch nicht so viel anders, was Self-Publisher machen, aber wir können natürlich schon etwas mehr ausprobieren. Ich mache gerne einen Genremix, mit Außerirdischen oder Thrillerelementen. Verlage können vielleicht damit etwas weniger anfangen, weil sie es nicht gleich in ein Regal stecken können.

Zur Person

Michael Meisheit, 1972 geboren, studierte mit Schwerpunkt Drehbuch an der Filmakademie Baden-Württemberg. Seit 20 Jahren schreibt er für die Lindenstraße Drehbücher. 2012 entdeckte er das Self-Publishing. Meisheit lebt in Berlin

Foto: Stevem Mahner

Warum diese Verquickung mit Science-Fiction bei Ihnen? Weil die Leser aus der realen Welt flüchten wollen?

Weiß ich nicht. Da gehe ich wirklich danach, was mich interessiert zu erzählen. Bei mir bzw. meinem Pseudonym hat sich mehr und mehr gezeigt, dass es eben genau der Mix ist. Ich schreibe sehr alltagsbezogen, meine Figuren leben, wo ich auch lebe, die Kinder sind so alt wie meine Kinder ... Die recht authentischen Figuren will ich dann aber mit etwas konfrontieren, was bigger than life ist.

Ist das Leben nicht schon groß genug?

Nö, mir macht es halt Spaß, das Klassische: was wäre wenn? zu erzählen und sich möglichst ungewöhnliche Situationen auszudenken und durchzuspielen.

Die Verlage wollen also Schubladen. Sie als Selbstverleger nicht auch?

Wenn du Geld verdienen willst, muss dein Buch letztlich in eine Schublade passen. Und ich will Geld verdienen, will viele Leser erreichen. Was beim Self-Publishen wegfällt, ist das Nadelöhr der Buchhandelsvertreter, die eine zentrale Rolle spielen, denn sie entscheiden, welche Bücher erfolgreich werden können. Einige Self-Publisher sind sehr erfolgreich, bei sehr vielen gilt aber das Motto Trial and Error. Also mehr Error (lacht).

Sigrid Löffler sagte einst sinngemäß, dass Leserrezensionen zwar schön seien, aber eben denen von professionellen Rezensenten nicht gleichgestellt werden könnten. Gibt es hier eine Emanzipation der Leserschaft und Autoren?

Die Literaturkritik ist sicher immmer noch ein relativ geschlossener Verein. Ich würde aber sagen, dass es demokratischer wird; für Autoren, aber auch für Leser. Hat nicht sogar Jeff Bezos gesagt, für den Buchprozess brauche man zwei Leute: einen Autoren und einen Leser? Alles andere dazwischen ist austauschbar und nicht wichtig für den Prozess.

Siegfried Unseld dreht sich im Grab um! Apropos: Beim Lesen der Briefwechsel des Verlegers Unseld mit seinen Autoren war ich verwundert, wie gering die Tantiemen prozentual waren. Ist das jetzt die Rückeroberung des größeren Kuchenteils?

Ja, und deshalb ist Self-Publishing auch so erfolgreich. Die Verlage halten an den Preisen für E-Books fest, die ungefähr in der Höhe der gedruckten Taschenbuchausgaben liegen, obwohl das produktionstechnisch überhaupt nicht notwendig wäre. Ich bin froh, dass sie das tun, denn ich kann sie für drei bis fünf Euro weniger anbieten und habe mit meinen 70 Prozent, die ich von Amazon bekomme, wo ich meine Werke verkaufe, immer noch deutlich mehr als ein Verlagsautor mit seinen 5 – 10 Prozent.

Self-Publishern haftet der Ruf des Verlierers an. Es heißt, dass sie für ihre Werke keinen richtigen Verlag gefunden haben. Selbst manche Literaturblogger wollen nur verlegte Werke rezensieren.

Kommt drauf an, wie man seinen Blog gestaltet, was man selbst gerne liest, aber es könnte sich für manche Leute mit der Zeit als Fehler erweisen, nur auf die Verlage zu schielen. Es gibt mit Sicherheit jede Menge Schrott im Self-Publishing, aber das System reinigt sich ein Stück weit selbst.

Seit vier, fünf Jahren gibt es eine Professionalisierung der Publikationen, die locker mit Verlagspublikationen mithalten können. Die literarische Perle wird man natürlich eher selten finden, aber das ist auch schwierig. Zum Self-Publishen gehört halt auch eine Menge Self. Bei manchen Autorenpersönlichkeiten weiß ich, wenn ich die Menschen kennenlerne: Vergiss das mit dem Self-Publishen, du brauchst einen Verlag als deinen Dienstleister.

Gute Cover sind nicht leicht zu machen und bei Self-Publishern finde ich diese oft grässlich. Auch bei Ihren Büchern, wenn ich das sagen darf.

Die Cover gefallen mir schon auch, sind aber nicht die, die ich kaufen würde. Sie sind an der Zielgruppe ausgerichtet. Ich lese meine Sachen gerne, aber die Cover sind oft: hm. Sie sind eben ein Instrument mit einer bekannten, etablierten Bildsprache, die anzeigt, was der Leser zu erwarten hat. Wenn ich etwas zu schräge Cover habe, rächt sich das.

Kommen wir zum Prestige. Keiner setzt sich mit dem Groschenroman ins Schauspielhaus, mit Thomas Mann schon – warum?

Das ist aber auch wieder nur eine bestimmte Szene und bald sitzen eh alle nur noch mit dem E-Reader da und man weiß nicht, was sie lesen. Ich habe da keine Berührungsängste, wenn es gut gemachte Sachen sind.

Ist einfach zu viel Eitelkeit im Spiel?

Ja, ich glaube schon, die Abwehrreflexe betreffen allerdings weniger die Groschenromane – deren Verlage werden übrigens gerade durchs Self-Publishing abgelöst –, aber Werke wie von Dan Brown zum Beispiel. Das ist dann eben populäre Literatur.

Wären Sie denn nicht gerne auch so ein Schriftsteller samt Ruhm und Ehre?

Ich will natürlich etwas in dieser Welt hinterlassen – aber wie berühmt? Da gibt es keine Ziele. Ich muss keinen Literaturnobelpreis gewinnen oder eine Kritik im Feuilleton von mir lesen. Ich will viele Leser erreichen und möchte, dass diese Emotionen erleben.

Immerhin: „Nicht von dieser Welt“ bekam einen Preis, das E-Book landete auf Platz 1 der Kindle-Charts und verkaufte sich 30.000 Mal. Über 100.000 verkaufte Exemplare insgesamt: Sie haben also Geld verdient?

Ja, man verdient Geld damit.

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