Ohne mich!

Bundeswehr Ich hatte schon immer Todesangst vor der Wehrpflicht. Die Serie „Rekruten“ auf Youtube macht es nicht besser

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Ohne mich!

Foto: Adam Berry/AFP/Getty Images

Einen Schuldigen muss es immer geben. In diesem Falle heißt er Benjamin Knödler. Herr Knödler schrieb vor ein paar Tagen einen Artikel im Freitag (übrigens mit dem sehr süffigen Titel "Mit Schirm, Schmarrn und Kanone") über die Youtube-Serien der Bundeswehr. Nur wenige Leute könnte das weniger interessieren als mich, doch Knödler kann halt gut schreiben – und ich lesen. Eine verhängnisvolle Konstellation, denn es stellte sich heraus, dass der Artikel Lust auf mehr macht.

Es ist die berühmt-berüchtigte Schlüssellochperspektive, die dem ganzen einen Reiz gibt; und etwas Therapeutisches. Denn ich hatte in meiner Jugend vor wenigen Sachen mehr Angst, als das, was nach der Schule drohte: der Wehrdienst. Und mit Angst meine ich nicht dieses vernachlässigbare Getue im Social Media, sondern ich spreche von der echten Angst. Die Angst die Menschen lähmt, sie zum Schweigen bringt, sie erstarren lässt. Todesangst.

Nichts schlimmeres konnte ich mir vorstellen, als mit fremden, für meine Lebensart verrohten jungen Menschen in einen Raum, in eine Kaserne, in eine Kantine gepfercht zu werden. Aller Diversifikation zum Trotz, Gruppen funktionieren nur, wenn sie funktional agierend sind.
Fragen Sie mich (oder auch Freud) nicht woran es liegt, aber ich war noch nie gruppenkompatibel. Schon zu Schulzeiten war mir die Klassenfahrt eine unverständliche Folter, Gruppenduschen eine Ausgeburt der Hölle.

Apropos Gruppendusche: In der Grundschulzeit gab es bei uns Schwimmunterricht und es wurde darauf bestanden, dass wir ohne Badehose duschten. Sie können es sich schon gewiss denken, wer da nicht mitmachte. Es war ein heilloses Theater, da ich in der vierten Klasse nicht akzeptieren wollte, die Badehose auszuziehen, weil man angeblich sonst nicht richtig sauber wurde. So ein Schwachsinn! Hinzu kam, dass unser Lehrer mit uns zusammen duschte. Noch heute kommt mir dieses gemeinsame Duschen sehr suspekt vor. Mein Wille zur Desintegration war trotz allem ungebrochen. Es gab Gespräche mit meiner Mutter, dem Lehrer, dem Bademeister. Und Sie glauben es nicht: auf einmal war das mit dem Sauberwerden doch nicht so wichtig, und fortan durfte ich mit Badehose duschen. Ich kann Ihnen versichern, dass meine Reinlichkeit keinerlei bleibende Schäden erlitten hat.

Was man an diesem Beispiel aber sehen kann, dass das Stellen gegen angeblich althergebrachte Gruppenregeln zu Tumult führt. Und das sowohl bei der Führung als auch bei der Gruppe. Denn die Gruppe ist es, die den Hebel der Durchsetzung bildet; wird sie doch als erste bestraft, wenn sich der einzelne weigert. Fritz Bauer, ehemaliger Generalstaatsanwalt in Hessen sagte, dass es leider eine typisch deutsche Eigenschaft sei, den Gehorsam schlechthin für eine Tugend zu halten. Wir bräuchten die Zivilcourage, ´Nein´zu sagen. Es bedarf schon viel Rückgrat um diesem Druck, insbesondere in persistierender Dauer, standzuhalten. Und woher die Ressourcen für das Rückgrat nehmen, wenn nicht stählen, äh, stehlen?

Ich weiß noch bis heute mit welchem kritischem Blick mich die Internistin der Bundeswehr musterte als sie meine Blutdruckwerte erspähte, weswegen ich überhaupt bei ihr saß. Ich war ein Konsil bei ihr. Sie sollte entscheiden, ob ich aus internistischer Sicht dem Land dienen könne. Ob ich vorhätte, Sport zu machen, fragte sie mich. Sie glauben nicht, wie sehr und nachhaltig ich verneinte! Und abnehmen? Auf keinen Fall! Ich fühle mich wohl, presste ich im Überlebensmodus heraus. Genauso fühlte ich mich. Die Feldjäger hätten mich abholen müssen. Nichts hätte ich unversucht gelassen, dem Dienst an der Waffe zu entgehen. Soweit kam es dann aber nicht. Die Ärztin schüttelte entrüstet ob meines scheinbaren Fatalismus den Kopf. Der Brief kam, und niemals freute ich mich so sehr über Post vom Bund: T5, nicht wehrdienstfähig, wir wollen Sie nicht haben. Jubel, Geschrei, eine Welt in bunten Farben!

Die Bundeswehr hat inzwischen mit Personalknappheit zu kämpfen. Fachkräfte sind Mangelware und der Arbeitsmarkt leergefegt. Wer soll sie also verteidigen, unsere "Freiheit am Hindukusch" (Peter Struck), wenn keiner mehr nachkommt? In meiner zivilen Ausbildung an einer privaten Rettungsdienstschule nahmen auch gerne Soldaten teil. Sie stachen durch finanzielle Unabhängigkeit und Beamtenqualitäten hervor. Sorgen machten sie sich keine, zahlte ja alles die Bundeswehr und wenn es nicht klappt, irgendwo in der Truppe käme man immer unter (Schreibstube, olé!).

Nun versucht die Bundeswehr also per Youtube und Co. die jungen Leute (wer, frei nach Kant, das auch final sein mag) zu erreichen. Man will sich offen und zugänglich zeigen, geradezu lässig. Was man aber erkennt ist, es ist der alte Laden in neuer Aufnahme. Da herrschen sinnloser Drill, sinnentleerte Handlungen, die selbst in der Mannschaft keinem aufgebürdet werden sollten. Da wird beim Bockbau (zivil kann man von nichts lächerlicherem als Bettmachen sprechen) mit einer Akkuratesse kontrolliert, die Loriot eine Vorlage hätte sein können. Da wird ein (dann doch nur vermeintliches) Handy eines Rekruten vor versammelter Mannschaft zertrümmert (Darf der das? – Na klar darf der das!), und die Rekruten zeigen ihrerseits eine gewisse Verpeilung, wenn sie es nicht schaffen, an Türen zu klopfen, rote Linien nicht zu überschreiten oder auf ihr Hab und Gut aufzupassen. Da schaffen es welche nicht, sich ein paar Dienstgrade zu merken. Etwas Mitleid mit dem Arbeitgeber Bund hat man für kurze Momente dann doch.

Aber dennoch: Ganz im Ernst, wer will denn in Zeiten von Arbeitgebern wie Google und Co. heimatfern in einer Kaserne darben und um fünf Uhr aufstehen, ohne das es dazu eine wirklich, wirklich schlüssige Notwendigkeit gäbe? Wir waren doch sogar schon so weit, dass Mathias Döpfner, Chef des konservativen Axel Springer Verlags, öffentlich mit Hoodie und seinem damals "leitenden Hoodie" Kai Diekmann ins Silicon Valley flog. Wer will sich denn da noch für Bettmachen nach Maß anbrüllen lassen? Grotesk.

Dieser Tage entbrannte die Diskussion, doch wieder ein Pflichtjahr irgendeiner Couleur zu etablieren, um die jungen Leute die Arbeit am und für das Gemeinwesen näherzubringen. In der Leistungsgesellschaft doch wieder einen Funken Zusammenhalt zu entzünden. Auf die Wiedereinführung der Wehrpflicht wurde verhalten reagiert. Hatte sie doch zu Guttenberg 2011 fast über Nacht abgeschafft (was er nicht am vermeintlichen Kopierer schaffte, Hut ab wie er diese Abschaffung schaffte). Brauchen wir also wieder eine Pflichtzeit? Durch meine fühere ehrenamtliche Tätigkeit bei einer Hilfsorganisation sind mir Generationen von Zivis noch im echten Leben bekannt. Viele hat die Zeit geprägt, geformt und sozial verankert werden lassen. Unser Kollege Konstantin Nowotny hat hierzu einen Artikel über seine Erinnerung an den Zivildienst verfasst: "Sozialer Zusammenhalt ist nicht zu erzwingen".

Haben Sie den Film „NVA“ von Leander Haußmann gesehen? 2005 kam dieser in die Kinos, ich war in der Ausbildung in Bremen und nicht beim Bund und die Sonne stach gefühlt so herab wie in diesem Sommer. Natürlich ist dieser Film überzeichnet, er spielte in einem Land, das es nicht mehr gibt, dennoch waren viele Elemente wahrer als man es gerne hätte. Da zeigen die älteren Rekruten mittels eines Maßbandes, wie lange sie noch Dienst haben und wer auf Stube zu singen hat, bringen sie den „Schulterglatzen“ auch gleich bei.

Im realen Leben wird hoffentlich niemand in einen Spind gesperrt. Doch das Leben in einer verdichteten Gruppengemeinschaft hat unausräumbare Hürden und Abgründe: Da wird in einer „WG-Folge“ dann auch das ausgepackt, vor dem ich immer Angst hatte und noch heute Geld zahle, nicht in solche Bredouillen zu kommen: Keine Zeit alleine, „Scheißen im Akkord“ und ausführliche Auskunft, wer wie viel furzt und wer laut schnarcht. Da mag es nun Flachbildfernseher „auf Stube“ geben, doch genau diese Art verschwitzter Zwangsgemeinschaft ist mir zuwider und unverständlich in ihrem grundsätzlichen Vorhandensein. Anscheinend bin ich hier aber nicht alleine, denn die Bewerberschwemme scheint auszubleiben.

Bitte jetzt genau lesen: Verstehen Sie mich bitte nicht falsch! Die generelle Arbeit der Bundeswehr ist nicht Ziel meiner Kritik. Das wäre viel zu einfach, viel zu billig. Es geht mir um den Bund als Arbeitgeber, seine in unserer modernen Welt antiquiert wirkenden Marotten. Und die schnelle Behauptung, die zu erbringende Leistung sei ohne diese Marotten nicht möglich; so sei es nunmal. Da sind wir zu nah am "das haben wir schon immer so gemacht!".

Die Filme sind mit einer großen Qualität produziert und die Community wird hinreißend fürsorglich betreut. Es täuscht aber nicht darüber hinweg, dass bei aller Transparenz und Lifestyle-affinen Darstellung, dieses komplexe Konstrukt immer noch das ist, was ich fürchte: ein zu großes Gemeinschaftszimmer.

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