"Solange das Herz schlägt"

Interview Der Schriftsteller Tobias Premper legt im Steidl Verlag wieder ein Konvolut seiner Notizen vor. Das kann grässlich öde sein. Fragen wir ihn aber selbst

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„Die Notizbücher sind wie ein Ausweis“
„Die Notizbücher sind wie ein Ausweis“

Foto: congerdesign auf Pixabay

Wenn man mit Tobias Premper zu tun hat, erlebt man flirrende Hysterie für die Sache, seine Kunst. Anders geht es mittlerweile aber auch gar nicht mehr. Bei der Vielzahl an Neuerscheinungen pro Jahr, muss ein Künstler sich behaupten, besonders wenn seine Kunst so ziseliert ist, wie die von Tobias Premper. Der Steidl Verlag ist bekannt dafür, auch Werke zu verlegen und in hingebungsvoller Ausstattung zu produzieren, die nicht per se Garant für einen Bestseller sind. Wahre Kunst bahnt sich meist den Weg über die kleine Auflage. In Prempers neuem Notizenkonvolut Aber nur dieses eine Mal treffen zarte Weltbetrachtung und herrliche Buchausstattung aufeinander. Grund genug mit Premper darüber zu sprechen, wie er zu diesen Notizen kam.

Jan C. Behmann: Tobias, du hast bei Steidl aktuell ein Buch mit deinen Notizen veröffentlicht. Eva Demski sagte mir mal, sie sei für die „kleine Form“ oft kritisiert worden. Du auch?
Tobias Premper: Für die Notizen nicht. Als mein Debüt bei Steidl erschienen ist, ebenfalls Notizen, gab es einige sehr schöne Artikel und Radiosendungen dazu. Als zweites Buch habe ich dann kurze Prosageschichten, also Miniaturen, veröffentlich, worauf es auch positive Rückmeldungen gab. Und auch mein Roman, das dritte Buch dann, setzt sich wie eine Collage aus vielen Kleinstgeschichten zusammen. Diese kleine Form ist für mich wie ein Kieselstein – in einen See geworfen, zieht er weite Kreise. Manchmal reichen mir ein erster und ein zweiter Satz vollkommen aus, um das zu sagen, was ich zu sagen habe. Ich wüsste auch nicht, was es daran zu kritisieren gäbe. Ich bin eben nicht so ein Zusülzer, Laberheino oder Schnulzenfuzzi.

Was bedeuten Notizen für dich?
Alles, die Sonne, alles. Sie sind auch immer die Grundlage für mein Sehen, Beobachten, Denken, für das Vordringen zu meinen Gefühlen. Wenn es mir gelingt, in einer ganz aufgeregten Ruhe zu sein, wenn mein Bewusstsein zugleich müde und zerstreut ist, aber auch offen und konzentriert zugleich, dann bin ich anwesend in der Welt, nehme mich in ihr wahr, nehme das Jetzt wahr. Immer wieder. Die Notizen sind ja immer wie Anfänge. Und sind Anfänge nicht das Allerschönste?

Die Notizen brechen zu einem Zeitpunkt ab, als dir das Leben dazwischenkam. Was ist passiert?
Das klingt natürlich unheimlich gut, ja. Aber was bedeutet das eigentlich, wenn du schreibst „als dir das Leben dazwischenkam“? Es war eher so: Die Notizen brechen ab, als ich aus einem Loch herausgekrabbelt bin, überhaupt so einigermaßen wieder auf den Beinen war und das Leben dann so dahin schliff. Es gibt natürlich verschiedene Möglichkeiten, einen Schnitt zu machen, das Buch also enden zu lassen und alle Seiten danach bleiben einfach weiß. Ich habe mich dann letztlich für einen Moment entschieden, an dem ich Hoffnung gespürt habe, dass es nach all den Katastrophen vorher weitergeht mit dem Leben, weitergeht für mich.

"Stifte? Wie´s kommt."

Welche Art von Notizbüchern und Stiften benutzt du?
Lange habe ich in etwa postkartengroße, in grünes Leinen gebundene Notizbücher geschrieben. Die hat der Ammann Verlag damals herausgegeben zur Pessoa-Gesamtausgabe. Sehr hübsch, praktisch, blanko Seiten, gut anzufassen. Dann habe ich kurz umgestellt auf so mini Claire-Fontaine-Journalistenblöcke, die für mich aber total unbrauchbar sind, und jetzt gerade kann ich wieder mit den grünen arbeiten, weil ich noch einen kleinen Vorrat ergattern konnte. Und Stifte, alles mögliche, Bleistifte, der Tombow Mono 100 Pencil (HB) oder der Typograph Graphite Pencil (2B) von Koh-I-Noor sind fantastisch. Am liebsten würde ich mit dem von Marc Newson entworfenen Montblanc M Füllfederhalter (Federgröße M) schreiben, kann ihn mir aber nicht leisten. Ich komme aber auch gut mit Kugelschreibern von Schneider, Paper Mate und Caran d’Ache klar. Schwarze, blaue, rote, grüne Tintenpaste, wie's kommt.

Peter Handke verbindet Notizen mit Zeichnungen. Du auch?
Nicht in den Notizbüchern. Dafür hab ich meine Boxenbücher. Das sind Loseblattsammlungen mit Bild-Text-Kombinationen. Davon gebe ich etwa einmal pro Jahr eine Edition in limitierter Auflage heraus, alles Originalmaterial, kopiert, gezeichnet, collagiert, fotografiert, eigene und gefundene Motive. Da sind macnhmal auch Skizzen drin. Im Herbst mach ich eine Ausstellung damit in der Buchhandlung Walther König in Köln. In den grünen Notizbüchern sind vorne und hinten auf den Vorsatzblättern auch Collagen mit Motiven von Alain Delon, Léa Seydoux oder Banana Split.

Wie sehen deine Notizseiten aus und wie voll schreibst du sie?
Voll, aber nicht zu voll. Von links nach rechts, von oben nach unten. Keine Mikroschrift, eher normale Schriftgröße. Nicht besonders dekorative Handschrift, aber lesbar. Auch mit wieder und wieder zerkritzelten und durchgestrichenen Texten. Das Leinen außen gebraucht mit Zornfurchen und Lachfalten.

Das Notizbuch im Cellokoffer

Wo und wann schreibst du die Notizen?
Ich habe mein Notizbuch immer mit dabei (Hosentasche, Cellokoffer, Wickeltasche), denn ich schreibe sowohl im Bauch des Wals (unterwegs) als auch am morgendlichen Küchentisch (zuhause). Das meiste davon direkt ins Notizbuch, selten auf einen Zettel, eine Serviette oder einen 200-Euro-Schein. Ich wollte es eigentlich niemandem sagen, aber in Wirklichkeit schreibe ich nur noch, wenn ich auf dem original Glenn-Gould-Stuhl sitze, den ich aus dem National Arts Centre in Ottawa gestohlen und durch eine Replik ersetzt habe. Und ja, ich summe selbstverständlich auch beim Schreiben.

Hast du Notizen weggelassen?
Ganz besonders vermurkste Notate, klar. Auch Dopplungen. Eigentlich alles, von dem ich dachte, dass es niemand braucht. Das ist etwa ein Drittel des Gesamtumfangs. Vielleicht mehr.

Was ist schwerer: ein Roman oder ein Konvolut aus Notizen zu schaffen?
Bei Notizen gibt es die alltägliche Schwelle der Versprachlichung, also immer wieder anzusetzen und eine Sprache für das zu finden, was sich vor meinen Augen oder in mir abspielt. Aber das ist im Gelingen dann auch ein schöner Lebensrhythmus: Wahrnhemen, Worte finden, weitermachen. Mich hat es sehr viel Kraft gekostet, einen Roman zu schreiben, auch körperlich, ich konnte nur im Stehen arbeiten und habe die Schlussfassung in meiner Küche auf dem Kühlschrank geschrieben. Danach ging es mir so, als würde ich niemanden und als würde mich niemand mehr kennen, als hätte ich in der Isolation gelebt. Ich denke aber, für mich wäre es am schwierigsten, mein Buch, egal welches, nicht zu schreiben. Oder aber ein Buch machen zu müssen, das ich nicht schreiben will.

Es geht nicht um verkaufte Auflage

Verkauft sich so ein Notiz-Werk?
Hui! Das kannst du so oder so sehen. Du kannst sagen, es ist wahnsinnig erfolgreich, ein paar hundert Stück zu verkaufen, und du kannst sagen, es ist ein Misserfolg, ein paar tausend Bücher zu verkaufen. Je nachdem, wie du da rangehst. Aber Steidl macht Bücher vor allem deshalb, weil er selber drauf abfährt. Aus dem gleichen Grund schreibe ich auch. Ich will ja niemandem was vormachen mit so einem In-Thema, Herkunftsgefasel oder Esoterikquatsch. Der Verlag und ich analysieren ja nicht vorher, wie etwas ankommt oder was als Lesestoff gefordert wird. Ich mache als Autor ein Angebot zum Lesen, Mitdenken, Mitfühlen, zum Mitgehen, dass mich ein Mensch da ein Stück begleitet auf den täglichen Wegen durch die Welt. Aber ich glaube natürlich, dass das sehr viel mehr Menschen annehmen sollten als bislang. Kannst du Isabelle Huppert, Barack Obama und Lionel Messi nicht mal fragen, ob sie mein Buch auf Instagram empfehlen?

Wie kamst du zu deinem Verleger Gerhard Steidl?
Ich habe 2009 nach einem Verlag für ein Foto-Text-Buch gesucht, und mir wurde von einem Bekannten empfohlen, mich auf keinen Fall damit an Gerhard Steidl zu wenden. Als ich Steidl dann nach wochenlangen Kontaktversuchen eines Morgens um 6 Uhr endlich ans Telefon bekommen habe, hat er mir gesagt (ich hatte ihm einen Dummy geschickt, schlimmer Anfängerfehler) auf welche Arten er das Projekt zum Kotzen findet. Da bin ich wie durch ein Wunder ganz ruhig geblieben und habe gar nichts gesagt. Wir haben dann nach und nach miteinander geredet, Briefe hin und her geschrieben und ich bin auch ein paar Mal nach Göttingen zu ihm in den Verlag gefahren.

Führst du die Notizen fort?
Die Notizen in diesem Buch brechen im Juni 2017 ab. Ich arbeite aber stetig weiter an den kleinen Formen wie Notizen oder Miniaturen. Zuletzt habe ich heute morgen die Erinnerung an eine Autofahrt notiert. Die führte mich entlang eines Neubaugebietes, das vorher eine Apfelbaumwiese war. Und dass da keine Menschen einziehen in diese leerstehenden Häuser, an einer Bundesstraße am Ortsausgang.

"Das Leben ist sinnlos"

Was enthalten die Notizen von dir als Privatperson?
Die Notizbücher sind wie ein Ausweis. Da steht drin, wer ich bin.

Haben sich die Notizen in ihrer Stilistik über die Jahre aus deiner Sicht verändert?
Nachdem ich 2004 aufgehört hatte, Gedichte zu schreiben und aus einem Romanprojekt nichts geworden ist, habe ich mit den Notizen angefangen. Das musste sich erst mal entwickeln. Ich habe noch mal ganz neu angefangen zu schreiben. Über die Jahre ist das dann zu einer Form geworden, mit der ich mich wohl fühle.

Ist ein Leben ohne Notizen sinnlos?
Pfff! Na gut: Das Leben ist so oder so sinnlos. Du suchst nach einem Grund, warum du auf der Welt bist, findest aber keinen. Du schreist und schreist und da ist nur Schweigen und dann kannst du nichts als wimmern. Also wenn du schon so fragst: Die Notizen kann ich dann in den Momenten machen, wenn ich wie Camus' Sisyphos den Stein auf den Berg gerollt habe und er wieder herunterrollt. In den kleinen Verschnaufpausen. Sinnlos heißt ja nicht wertlos. Die Notizen gehören allein mir. Solange das Herz schlägt.

Tobias Premper: Aber nur dieses eine Mal, Steidl Verlag, Göttingen 2020, 18€

Tobias Premper, 1974 geboren, ist Schriftsteller und Künstler. Seine Romane und Notizen erscheinen im renommierten Steidl Verlag, Göttingen. Darüber hinaus produziert er in Eigenregie avantgardistische Text-Bild-Kunst. Premper lebt im niedersächsischen Celle. tobiaspremper.com

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