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Interview Wer kauft heute noch Bücher? Ein Gespräch mit Nina Hugendubel über den Buchhandel der Zukunft

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Hugendubel am Marienplatz, München
Hugendubel am Marienplatz, München

Foto: imago images / Astrid Schmidhuber

München, März 2019. Die Sonne strahlt, als ich Nina Hugendubel zum Gespräch in der neu gestalteten Hugendubel-Filiale am Münchner Stachus treffe. Der neue Laden wirkt kühl, Regale sind Geschichte. Dennoch, die Stimmung ist gut, es riecht nach Aufbruch und einer neuen Art der Kundenansprache. Grund genug, genauer nachzufragen, was den Buchhandel der Zukunft ausmachen wird - oder auch nicht.

Es ist verrückt, Sie gibt es wirklich! Wissen das die Hugendubel-Kunden?
Einige Kunden kennen uns sicher, aber viele wiederum auch nicht. Vielleicht denken sie, es sei ein Kunstname, oder eine Familie, die es nicht mehr gibt. Ich erlebe immer mal wieder Kunden, die uns kennenlernen und dann ganz erstaunt sind, dass es uns wirklich gibt – und dass wir das Unternehmen auch führen.

Wollen Sie diese familiäre Tradition nicht mehr herausstellen?
Ein wenig tun wir das, aber nicht so, dass es aufdringlich wirken könnte. Bei Kundenbefragungen kam heraus, dass die Kenntnis über eine reale Familie im Hintergrund von den Kunden eher keine hohe Bedeutung zugemessen wurde.

Zur Abgrenzung von Amazon, könnte das aber doch den Ausschlag geben, bei Ihnen zu kaufen?
Vielleicht sollten wir das mehr betonen, weil wir damit auch die Verantwortung unterstreichen, die wir für das Unternehmen übernehmen.

Was macht einen familiär geführten Betrieb aus?
Wir denken mittel- bis langfristig. Wir sind nicht getrieben von Quartalszahlen, sondern wir treffen Entscheidungen, deren Ergebnisse manchmal länger brauchen, aber umso nachhaltiger wirken.

"Es lehrte uns Demut"



Wie steht es um die Zahlen? Kann man mit Büchern Geld verdienen?
Ja, man kann mit Büchern Geld verdienen auch wenn die Margen traditionell nicht groß sind.

Reicht es, für schlechte Zeiten Geld zurückzulegen?
Es liegt nicht in der Tradition unserer Familie, viel Kapital zurückzulegen. Wir haben immer alles reinvestiert. Es gibt so viel zu tun und wir würden gerne noch mehr gleichzeitig machen.

2014 sah es schlecht aus für Ihr Unternehmen. Warum?
Unsere Zahlen waren in Ordnung. Doch durch die Insolvenz unseres damaligen Partners Weltbild ergaben sich für unsere gemeinsame Finanzholding ein paar Schwierigkeiten.

Wieso macht man so etwas?
Zur Zeit der Gründung 2006/ 2007 war das eine gute Idee. Weltbild brachte das Kapital zur Finanzierung der Übernahme zweier Filialisten ein und wir unsere Filialen. Die Dachgesellschaft sorgte für bessere Finanzierungsverträge, doch als der fünfzig prozentige Teilhaber Weltbild Insolvenz anmeldete, wurde es für die anderen Gesellschaften auch eng. Da wir aber bereits ein Jahr zuvor begonnen hatten, die Trennung zu strukturieren, lief der ganze Prozess dann auch in der Not etwas leichter als wenn es uns unvorbereitet getroffen hätte.

Was haben Sie dadurch gelernt?
Es war eine wertvolle Erfahrung den Gedanken denken zu müssen, dass es die Firma unverschuldeterweise nicht mehr geben könnte.

Es schützt einen vor unternehmerischer Selbstgefälligkeit?
Ja, wahrscheinlich. Wir sind zwar bescheiden erzogen, aber es lehrte uns noch mehr Demut.

Wie beschreiben Sie Ihre eigene Stelle im Unternehmen?
Zusammen mit meinem Bruder, bilde ich den strategischen Kopf des Unternehmens.

Welchen Stellenwert haben Bücher für Sie seit Ihrer Kindheit?
Sie sind natürlich wahnsinnig wichtig, aber eben auch selbstverständlich. Ich lese leider weniger als früher, weil es einfach so viel zu tun gibt. Daher verlagert sich mein Lesen größtenteils in die Ferien. Für mich ist das Buch in seiner physischen Form immer noch ein Erlebnis. Ich mag echte Bücher. In meinem Regal stehen Bücher, die ich noch lesen will, oder Bücher, die mich so beeindruckt haben, und einen Meilenstein in meinem Leserinnenleben darstellen.

Bezahlen Sie für Bücher?
Wir bezahlen für alle Bücher, die in unseren Läden stehen.

Damit haben Sie eine größere Büchersammlung als Karl Lagerfeld!
Das stimmt wohl. Wir haben in der Filiale am Stachus 35.000 Titel, bei unserem Lagerbestand kommt da also einiges zusammen.

Was bedeutet es, heutzutage Bücher zu verkaufen?
Bücher sind nach wie vor wahnsinnig wichtig für die Gesellschaft. Bücher können sehr viel, wenn man sich auf sie einlassen kann. Wir wollen möglichst viele Menschen mit Büchern in Berührung bringen. Das funktioniert nur, wenn man offline wie online, Bücher so spannend inszeniert, dass die Menschen sie unbedingt lesen wollen.

Was lesen Sie gerne?
Ganz klassisch Romane, oder auch Krimis. Weniger Sachbücher. Manche Biographien beeindrucken mich auch.

Wo lesen Sie gerne?
An jedem möglichen Ort.

Ist bei Familie Hugendubel Netflix tabu?
Nein, natürlich nicht. Man darf sich dem nicht versperren. Ich verbiete meinen Kindern auch nicht die Handys. Mir ist bewusst, dass das der Lauf der Dinge ist. Daraus muss man wiederum seine Schlüsse für unser Geschäft ziehen.

„Ich durfte mich frei entwickeln“


Merken Sie an sich selbst eine Verkürzung der Aufmerksamkeitsspanne?
Neben dem Handy ringen einem so viele andere Dinge im Alltag die Aufmerksamkeit ab. Im Winterurlaub konnte ich nach einer Operation am Arm nicht Skifahren, und hatte so eine Zwangspause. Bemerkenswert war, wie schnell man wieder die Aufmerksamkeit auf das Lesen lenken kann.

Haben Sie die Firma freiwillig übernommen?
Ich durfte mich frei entwickeln und es war nicht geplant, in den Betrieb einzusteigen. Ich absolvierte viele Praktika und war dann zwei Jahre bei Time Warner in New York. In der Holtzbrink-Verlagsgruppe wollte ich meinen Weg gehen. Mit Anfang Sechzig kam mein Vater auf mich und meinen Bruder zu und fragte uns, ob wir Lust hätten, seine Nachfolge zu übernehmen. Er ließ uns aber eine wirkliche Entscheidungsmöglichkeit. Ich wollte dann die Chance nicht verpassen und es war rückblickend die beste Entscheidung.

Die ganze Branche ächzt. Allerorten ist Verdruss zu spüren. Wie motivieren Sie die Mannschaft und sich?
Die beste Motivation für unser Team sind Projekte wie die neue Filiale hier am Stachus. Die Mitarbeiter dürfen mitbestimmen und wir gestalten den Weg gemeinsam. Denn fast alle Menschen assoziieren mit Lesen und Büchern etwas Positives. Wir haben ein so ein schönes, spannendes Produkt, damit kann man etwas bewegen. Und alle Menschen, die bei uns arbeiten, lieben Bücher. Wir müssen das Personal nicht für Bücher begeistern, sondern für die Veränderungen motivieren.

„Wir halten das Buch in den Innenstädten“



Ruinieren die Ketten die kleinen Händler?
Nein. Denn nicht jeder Kunde mag große Buchhandlungen und damit findet sich immer das Publikum für die jeweilige Buchhandelsformen. Es gibt ja auch kleine Buchläden, die es schaffen, sich zu spezialisieren und damit Erfolg haben. Auch bei uns arbeiten „richtige“ Buchhändler. Wir halten das Buch in den Innenstädten. Ohne uns würde das Buch aus den 1A-Lagen verschwinden.

Welches Sortiment leisten Sie sich wider besseres Wissen?
Klassiker verkaufen sich weniger oft, als die Bestseller, dennoch gehören sie dazu. In den großen Häusern gehören Fachbücher dazu. Dennoch haben wir beim Umbau der Filiale am Stachus festgestellt, dass manche Bücher sich in zwei Jahren kein einziges Mal verkauft haben. Es ist immer eine Mischung aus Sortimentskompetenz und wirtschaftlicher Orientierung.

Suhrkamp imaginiert sich den literarisch interessierten Zahnarzt aus Flensburg. Wie sieht ihr prototypischer Kunde aus?
Den gibt es nicht. Ich bin immer wieder erstaunt, welchen Querschnitt von lesenden Menschen wir vereinen.

„Mitarbeiter werden immer wichtiger für den stationären Handel“


Sie haben zurzeit 1700 Mitarbeiter. Wie viele werden es in zehn Jahren noch sein?
Zehn Jahre sind so eine lange Zeit. Mitarbeiter werden immer wichtiger für den stationären Handel, da sie genau den Unterscheid zum Onlinehandel ausmachen.

Buchhändler heißen bei Ihnen nun Lesensberater. Klingt etwas debil?
Die Herausforderung für den lesenden Menschen besteht darin, sich in der Unendlichkeit verfügbarer Titel zurechtzufinden. Wir wollen Orientierung bieten und den Leser zum richtigen Buch bringen.

Benötigt die Kundschaft Hilfe bei den e-Readern?
Ja, und wir sehen uns da als Full-Service-Dienstleister. Gerade ältere Herrschaften nutzen die Filiale und bringen uns Vertrauen entgegen. Und gerade diese Kundschaft nutzen wider Erwarten eReader, weil zum Beispiel die Schriftgröße anpassbar ist.

Wie läuft Ihr e-Reader-System?
Wirklich gut! Das Investieren in das tolino-System war eine richtige Entscheidung. Bei den Marktanteilen sind wir auf Augenhöhe mit Amazon in Deutschland – das gibt es nirgendwo sonst. Das begründet den Erfolg der Allianz mit unseren Mitbewerbern. Wir stemmen uns gemeinsam gegen Amazon.

Man hört, der Versand in Ihrem Online-Shop klappt nicht so gut.
Es scheint das Gefühl für die Kunden zu entstehen, die Büchersendung dauert länger, weil sie nicht nachverfolgbar ist. Wir überlegen immer wieder gänzlich auf Paket-Dienstleister umzustellen, aber probeweise hatten wir da bisher keine überzeugenden Ergebnisse.

Wollen Sie da Ihre Performance steigern?
Ja und wir wollen unsere Kunden in den Filialen auch für unseren Onlineshop begeistern.

Wenn ein Buch nicht direkt verfügbar ist in der Filiale, sind Kunden gerne erzürnt und verweisen auf Amazon. Wie motivieren Sie da die Mitarbeiter?
Der Einzelhandel ist ein anspruchsvolles Geschäft; man braucht hier ein „dickes Fell“. Denn oft trifft der Unmut den Lesensberater nur durch Zufall.

Mit eFree können Kunden in Ihrem W-Lan kostenfrei in allen Büchern lesen. Wird es da Limitierungsbedarf geben?
Schon jetzt können die Kunden bei uns so lange in einem physischen Buch lesen wie sie wollen. Daher wollten wir nun die Möglichkeit auch für die eReader-Ausgaben schaffen. Es ändert sich daher in unserer Philosophie nichts. Wir freuen uns, wenn die Menschen sich bei uns mit Büchern wohlfühlen. Wenn sie dann eines Tages eines kaufen, dann wahrscheinlicher bei uns.

Sie haben am Stachus nun einen Raum der Stille - kann das im Alltag gutgehen?
Die Sorge, dass sich dort jemand häuslich niederlässt, ist sicher nicht gegeben. Es ist von sich aus kein Raum zum dauerhaften Verweilen. Er bietet vielmehr die Chance, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

„Die Bücher sollen eine neutralere Bühne bekommen“

Die neue Einrichtung wirkt recht kühl und äußerst sachlich. Warum?
So soll es nicht wirken. Wir haben an die Gestaltung von Museen gedacht und wollten den Büchern eine neutralere Bühne geben. Dieses hier ist ein mutiges Pilotprojekt gewesen und nun geht es um die Feinjustierung. Nun geht es darum, an einigen Stellen mit anderen Böden zu arbeiten, Farben zu ergänzen und zu schauen, was wir noch besser machen können.

Werden alle Filialen nach diesem Muster umgebaut?
Es gibt noch keinen Rolloutplan für die Umgestaltung sämtlicher Filialen. Aber eine weitere Filiale in München und eine Filiale in Berlin werden in der neuen Gestaltung unter Berücksichtigung aller bisherigen Erkenntnisse der Stachus-Filiale eröffnet. Das Welten-Konzept, können wir jetzt schon sagen, funktioniert.

Was für Welten sind das?
Die Gestaltung der Welten resultiert aus einer umfangreichen Kundenbefragung. Unsere Kunden denken nicht in Kategorien wie Sachbuch, Krimi oder Belletristik. Wir haben die Lesebedürfnisse der Kundschaft identifiziert und die Filiale intuitiver gestaltet. Zum Beispiel in der Welt abtauchen findet der Kunde alles rund um Krimis, Romane und Fantasy. Anfangs gab es schon Kritik, aber die Menschen gewöhnen sich nun an das Konzept und finden die Welten richtig gut.

Sie haben eine Showküche installiert - ein Leben ohne Herrn Lafer scheint unmöglich?
Wir wollen durch interaktive Aktionen die Bücher zum Leben erwecken. Es kommt bei den Kunden sehr gut an, wenn ein Koch hier in unserer Showküche nach seinem neuen Kochbuch kocht, oder eine Yogalehrerin, die auch Bücher herausgibt, vor Ladenöffnung eine Yoga-Session veranstaltet.Es gilt, Bücher zu emotionalisieren.

„Social Media ist die neue Mundpropgaganda“

Was bedeutet Social Media für Sie?
Es ist sehr wichtig für uns, Social-Media-Kanäle zu bespielen. Das ist die neue Mundpropaganda. Wir haben eine Instagram-Bühne und einen großen Manga-Comic-Bereich. Der Jugendbereich ist bewusst im Erdgeschoss und abgegrenzt vom Kinderbereich. Wir wollen den jungen Menschen den Weg zum Buch ebnen.

Sollen Ihre Kinder später das Unternehmen übernehmen?
Unsere Kinder sind neun und elf. Daher ist es viel zu früh. Sie sollen ihre Talente entdecken und sollen sich, wie mein Bruder und ich, dann frei entscheiden können, ob sie in das Unternehmen einsteigen wollen.

Wie ist das für Ihre Kinder in ein Geschäft zu gehen, auf dem ihr Name steht?
Als sie lesen konnten, bemerkten sie, dass der Name am Eingang mit meinem übereinstimmt. Aber in ihrem Alltag spielt das keine Rolle.

Hugendubel in zehn Jahren - wie wird das aussehen?
Wir haben gelernt, in viel kürzeren Zyklen zu denken. Früher bauten wir Filialen für zehn Jahre. Das hat sich überholt. Wir müssen aufmerksam sein und beobachten, wie der Zeitgeist sich entwickelt. Die Rahmenbedingungen werden bleiben. Menschen werden in unsere Filialen kommen und von Menschen bedient werden.

Nina Hugendubel, geboren 1970, absolvierte eine Buchhandelslehre, studierte unter anderem Politik, VWL und Philosophie. Nach verschiedenen Stationen weltweit, war sie bei der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrink tätig. 2001 begann sie als Marketingleiterin bei Hugendubel, und wurde 2003 Teil der Geschäftsführung des Unternehmens. Seit dem Tod ihres Vaters 2005, leitet sie mit ihrem Bruder Maximilian das Unternehmen als geschäftsführende Gesellschafterin. Sie ist die Ur-Ur-Enkelin des Unternehmensgründers. Sie ist verheiratet und Mutter zweier Kinder.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
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