Es gab eine Zeit, in der war die Wupper kilometerlang schwarz gefärbt, als führte Charon persönlich seine Gäste vom einen zum anderen Ufer. Elberfelder Textilfabrikanten leiteten damals ausgewaschene Farben in die Lebensader des Bergischen Landes. Else Lasker-Schüler, 1869 im damals noch eigenständigen Elberfeld geboren, nannte ihren ersten Gedichtband Styx, in Anlehnung sowohl an den Unterweltfluss des Fährmanns Charon als auch an ihre Heimat mit dem todschwarzen Gewässer.
Elberfeld, heute der größte Stadtteil Wuppertals, war durch seine Webereien, Kontore, Konfektionsbetriebe und Manufakturen zu einer der weltweit wichtigsten Textilstädte emporgestiegen. Wenige hundert Meter vom Hauptbahnhof entfernt stehen in der Straße „H
traße „Hofaue“ imposante Geschäfts- und Wohnhäuser der einst überwiegend jüdischen Händler. Bald soll das Erste, was man am Eingang der Stadt sieht, ein Primark sein. Eine Filiale desBillig-Klamottenunternehmens will sich hier ansiedeln – gleich vor dem Stadttor. Das wollen die Wuppertaler nicht, es regt sich Protest.„Diese Straße war eine einzigartige Institution (...). Sie bediente mit ihrem Zwischenhandel die nähere und weitere Umgebung der Stadt, lieferte darüber hinaus aber auch praktisch in die gesamte Welt. Die Hofaue war für den Textilhandel ein Begriff wie die ‚Bondstreet‘ in London“, erinnert sich die Autorin Hilde Rohlén-Wohlgemuth 1982 in ihren Buch Gebrüder Kaufmann, Eberfeld. Die Geschichte eines jüdischen Kaufhauses.Jüdische TraditionDurch den weitreichenden Umbau des „Döppersberg“ vor dem Wuppertaler Hauptbahnhof wird nicht nur der Vorplatz umgestaltet, sondern es wird an der ab hier bebauten Fußgängerzone ein Gebäudekomplex errichtet, der dem irischen Discounter mehrere 1.000 Quadratmeter bereitstellen wird. Die Textilwirtschaft gehört zur Identität dieser 343.000 Einwohner zählenden Stadt.Besucher der Stadt wurden in den 1920er Jahren von großen Namen wie Blumenthal & Kahn, Friedrich Seyd & Co oder Jacob Cappel empfangen – Textilhandel und jüdisches Leben waren in Wuppertal lange Zeit eng verbunden, seit der „Arisierung“ im Nationalsozialismus liegt der Textilhandel Wuppertals brach. Man kann sich in der Dauerausstellung Tora und Textilien in der „Begegnungsstätte Alte Synagoge“ diese Entwicklung anschauen.Aber will man die blauen Schriftzüge eines Unternehmens sehen, dessen Wegwerfmentalität unter anderem verantwortlich gemacht wird für den Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch vor zwei Jahren? Das ruft Initiativen, Organisationen und Einzelpersonen auf den Plan. „Sie haben sich das neue, millionenschwere Projekt (Döppersberg) anders vorgestellt und wollen nicht, dass ausgerechnet eine Billigmodenkette das Aushängeschild für die alte Textilstadt Wuppertal werden soll“, schreibt die Bürgerinitiative „Kein Primark am Döppersberg“, kurz „K-Pri“ in einem Flugblatt.Primark könne nicht der Leuchtturm der Stadt Wuppertal werden. Die Kampagne: „Shoppen stoppen“ spricht von „Kathedralen der Ausbeutung“, die sie mit Demos verhindern will. Bislang haben alle Protest-Aktionen, Schauspiele während der Ratssitzung, K-Pri-Frühstücke für Bürger bis hin zu Flashmobs wenig gebracht: Die Stadt kann den Eigentümern der Immobilie nicht vorschreiben, wen sie an dieser exponierten Stelle einziehen lässt.Kölner BeispielDie K-Pri-Flugblätter verweisen auch auf die unschönen Folgen der blühenden Textilindustrie: „Vor 150 Jahren war Wuppertal selbst Schauplatz eines der düstersten Kapitel der frühen Industriegeschichte. Unmenschliche Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen in Textilfabriken und Färbereien. Kinderarbeit war normal zur Existenzerhaltung der Familie.“ Und sie thematisieren die Verseuchung der Wupper und des gesamten Tals durch Chemie.An einem restaurierten Gebäude, das inzwischen Gastronomie und ein Fitnesscenter beherbergt, steht die stolze Aufschrift „Textilhaus“. In einer alten Bandfabrik finden Konzerte statt, neben dem Geburtshaus von Friedrich Engels gibt es ein Museum für Frühindustrialisierung und in Wuppertal-Ronsdorf stellt das Bandwirkermuseum Webstühle aus dem 19. und 20. Jahrhundert aus.Auch Mark Tykwer wehrt sich gegen die Entwicklung, die mit dem Verkauf des Grundstücks am Döppersberg einhergeht. „Dieser monumentale Ausverkauf passt absolut nicht zu einer Stadt, die gerade versucht, sich neu zu erfinden“, sagt der Bruder des Wuppertaler Regisseurs Tom Tykwer. An einem Spätsommerabend hat der 51-Jährige den Auftakt zur „Offstream“-Filmreihe im Elberfelder Kulturzentrum „Alte Feuerwache“ organisiert. Dort wird der Film Wem gehört die Stadt – Bürger in Bewegung von Anna Ditges gezeigt. Und Aktivisten, die mit ihrem Begehren bisher gescheitert sind, schauen nun gemeinsam eine Doku, in der man sieht, wie Bürger des Stadtteils Köln-Ehrenfeld gegen die Errichtung einer Shopping-Mall in ihrer Nachbarschaft erfolgreich protestiert haben, dort hatten Politiker zwischen dem Bauherrn und dem Viertel vermittelt.Wuppertal kommt nach bitteren Jahren, auch wegen der Schließung des Schauspielhauses, gerade wieder auf die Beine. Es gibt neue Clubs in der Stadt, und engagierte Bürger, die über ihre Stadt nachdenken und beispielsweise in Eigenregie eine stillgelegte Bahnstrecke zum Naherholungsgebiet umbauten. Dass ausgerechnet Primark das neue Selbstverständnis beschädigt, ist eine Tragödie. „Primark soll sich gerne hier ansiedeln, nur muss es ausgerechnet an dieser Stelle sein?“, sagt SPD-Politiker Andreas Mucke, seit diesem Sonntag neuer Oberbürgermeister der Stadt.Kann man wirklich nichts mehr tun? Mucke überlegt und erinnert dann an seine politische Jugend. „Damals kannten wir ein wirksames Mittel, das vielleicht auch heute wirksam ist“, sagt er. Dann fällt das Wort: „Boykott“.