Zur Orientierung

Sci-Fi Markus Orths führt in „Alpha & Omega“ unsere Gegenwart aus der Sicht des Jahrs 2525 vor
Ausgabe 30/2014
Zukunftsszenario: Teilchenbeschleuniger manipulieren
Zukunftsszenario: Teilchenbeschleuniger manipulieren

Foto: Peter Macdiarmid/ AFP/ Getty Images

Die Welt steht vor der Apokalypse. Ausgerechnet der Privatsender Pro7 droht die Abwendung des Jüngsten Tags zu verhindern. Da ist am 1. 1. 2000 wie aus dem Nichts ein schwarzes, haarloses Babymädchen aufgetaucht, auserkoren, ein knappes Vierteljahrhundert später die Menschheit zu retten. Als Teenager bemerkt es, dass es schweben kann – und was macht es daraus? Es trainiert für Germany’s Next Topmodel und hat kein anderes Ziel, als Juror Thomas Rath zu beeindrucken, bis der hyperventilierend ausruft: „Ach Gott, Schatz, du bist so wunderschön, ich bin ja hingerissen, von Anfang an, so gravitätisch, so symmetrisch, wie du läufst, schwebst, als werde die Gravitation aufgehoben.“

Dass Heidi Klums Castingshow die Welt in den Abgrund führt, wird Kritiker der Sendung kaum überraschen. Es ist aber nur eine von etlichen Absurditäten, mit denen Markus Orths in seinem Roman Alpha & Omega die Gegenwart in eine zum Teil sehr ferne Zukunft verlängert. Alles fängt damit an, dass Elias Zimmermann im Jahr 2525 von der Bibliotheksmaschine Jimmy erfährt, dass in „vierundzwanzig herkömmlichen Tageseinheiten plus siebzehn Stunden, siebenunddreißig Minuten und – jetzt noch – acht Sekunden“ die Welt untergehen wird, und mit ihr alle wunderbaren Erfindungen: Zeitreisen, Kaminhologramme, die domestizierten weißen Löcher. Was die Menschheit also braucht, ist ein Wunder wie jenes vor über 500 Jahren, als die Welt schon einmal am Abgrund stand. Das war drei Jahre, nachdem Deutschland die USA beim WM-Finale 2018 mit 6:0 besiegt hatte. Damals wurden alle von einem übersinnlichen Victoria’s-Secret-Engel gerettet.

Elias reist also in der Zeit zurück, um besagten Dessous-Engel zu bitten, im Sinne der Menschheit noch einmal tätig zu werden. Er wird in diesen Auftrag hineingetrickst von Jimmy, der Bibliotheksmaschine, der die Menschen egal, umso wichtiger jedoch deren Bücher sind, jene „rechteckigen Gebilde, die, in harte oder lasche Einbände gefasst, entweder harte oder lasche Gedanken ihrer Verfasser zu irgendwelchen Themen oder aber allerhand Geschichten beherbergen“.

Hegel muß nicht seyn

Elias reist also nicht körperlich, nur mental ins Jahr 2000, die Weltenretterin liegt da noch im Krankenhaus. Er lernt unterdessen staunend die Welt unserer bizarren Gegenwart kennen. Der Roman nutzt diesen weiten Sprung von der fernen Zukunft in die nahe Vergangenheit der heutigen Gegenwart, um ein atemraubendes Personal aufzufahren, wie den (tatsächlich lebenden) Aktionskünstler Schamp mit seinen Buh-Tüten oder auch den reichsten Menschen der Welt, der mit der Finanzierung eines schwarzen Lochs die Apokalypse heraufbeschwören will. Es ist also ein bisschen wie in Michel Houellebecqs Elementarteilchen, wo ellenlang beschrieben wird, wie peinlich die Menschheit geworden ist, um anschließend einen Grund zu haben, mittels Gentechnik ein Update-Modell durchzusetzen, das man ganz nietzscheanisch als Übermensch bezeichnen kann. Der Übermensch, der bei Markus Orths im Anthropozän erscheint, ist, so viel kann verraten werden, mitfühlsam, weise, friedfertig.

Doch bis es so weit ist, müssen 525 Seiten lang Teilchenbeschleuniger manipuliert, Heideggers „Philosophie der Existenz“ durch die „Philosophie der Exkremenz“ ersetzt und nur deshalb ein Blindenelch durch den Plot geschickt werden, damit es absichtlich albern heißen kann: „Möge dieser Elch an mir vorübergehen.“ Auf seiner Homepage stellt Markus Orths „zur Orientierung“ umfangreiches Hintergrundmaterial bereit, das von Dunkler Materie über Gusto Winters Gestammelte Schriften bis zum 25 Millionen Dollar teuren Fantasy Bra führt.

Alpha & Omega ist ein mitreißender, smart erzählter Klotz, für den man Hegel gelesen haben kann, um hier und da einmal mehr zu lächeln – der aber auch ohne „Wissenschaft der Logik. Erster Teil. Die objektive Logik. Zweites Kapitel. Das Daseyn. B Die Endlichkeit. c Die Endlichkeit. β Die Schranke und das Sollen“ auskommt. Vergleichbar vielleicht mit dem Blockbuster Matrix, der mit und ohne Jean Baudrillard bestens unterhält.

Alpha & Omega Markus Orths Schöffling 2014, 528 S., 24,95 €

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Geschrieben von

Jan Drees

"When there's nothing left to burn – you have to set yourself on fire!"Literatur, Gesellschaft, Pop: Von Aebelard bis Stefan Zweig

Jan Drees

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