Secondos

Linksbündig Wie Béla Réthy und Dieter Bohlen die Republik normalisieren

Auch wenn die Halbwertszeit des YouTube-Zeitalters eigentlich dagegen spricht: Man muss an dieser Stelle nochmals an den vorletzten Mittwoch erinnern, als im Basler St. Jakobs-Park das Favoritensterben begann. Während eine mäßige deutsche Nationalmannschaft gegen eine unterirdische Schweizer Elf ein bisschen Wettbewerbsgeist in die träge Prä-EM-Phase einzuhauchen versuchte, erwähnte Moderator Béla Réthy irgendwann die hohe Anzahl an "Secondos" auf eidgenössischer Seite. Dies ist der gängige Sammelbegriff für die zweite Einwanderergeneration, der im Zuge ausländerfeindlicher Kampagnen ziemlich kontaminiert ist. Soweit wollte sich der Sportreporter freilich nicht in die Thematik verstricken, weshalb Réthy es beim bloßen Hinweis auf die Vielfalt der Herkünfte beließ. Und in der Tat, allein die Namen prädestinieren die Schweiz zum Europameister der Herzen: Diego Benaglio, Valon Behrami oder - kosmostylischer geht´s nimmer - Tranquillo Barnetta. Nicht wenige Zuschauer mögen indes gedacht haben, dass Réthy mit gleichem Recht auf die Herren Podolski, Kuranyi oder Gomez (oder sich selbst) hätte verweisen können. Dass er dies nicht tat, zeugt davon, wie wenig der Hype des Hybriden außer bei Roland "Jamaika" Koch noch verfängt. Die soziokulturelle Durchmischung durch Arbeitsmigration oder Flucht wird ganz überwiegend als Normalität anerkannt, die man (fast) nicht mehr kommentieren muss. Übrigens auch eine Folge jener Ära, die wir "neoliberal" nennen.

Wie sehr allerdings dieser Liberalismus Tugenden wie "Competitiveness" braucht, um solche Lerneffekte zu erzielen, wurde letzten Samstag erneut deutlich. Wer nicht auf Pro7 Stefan Raab bei seinem vierstündigen Duell gegen einen Wiedergänger von Henry Rollins zusah, reihte sich bei RTL in die meritokratische Regenbogenkoalition aus Eisenbiegern, Mall-Rats und Kulturdiagnostikern ein. Bei Deutschland sucht den Superstar (DSDS) zählen Herkünfte nicht mehr, allein eine musikalische "Leistung" nach oftmals undurchschaubaren Kriterien. Dabei lässt sich kaum über das Diversity Management in der Kandidatenauswahl hinwegsehen: In der dritten Motto-Show tummelten sich - abgesehen vom 16-jährigen Benjamin Herd, der am Tag drauf von sich aus aufgab - nur noch Kandidaten mit Migrationshintergrund. So wurde etwa der Düsseldorfer Collins Owusu in Ghana geboren, die Stuttgarterin Monika Ivkic in Bosnien-Herzegowina, die Gronauerin Rania Zeriri hat eine holländische Mutter und einen algerischen Vater. Diese auffallend hohe Quote bikultureller Biografiemuster hat es bei DSDS zwar immer schon gegeben, stieg aber über die Jahre noch spürbar an. Somit könnte man auf die Idee kommen, dass der Modus der Selektion, den die Casting-Show vornimmt, für viele Bindestrich-Deutsche attraktiver ist als die Zumutungen eines Bildungssystems, das nur formal die gleichen Chancen einräumt. Performance ist eben nicht gleich Performanz. Und ein gesäuseltes Kompliment an die ausgeschiedene "rassige Sizilianerin" (RTL-online) Stella Salato stört offenbar weniger als die routinierte Ermächtigungsrhetorik, wie sie von Pädagogen gerne gepflegt wird.

DSDS bringt alles mit, was Medien im Paket haben müssen, um für ihre Botschaften möglichst viele Empfänger zu finden: Redundanz, Drama und vor allem: Kontrastmittel für die soziale Wirklichkeit. Doch wer hätte gedacht, dass die Kombination aus protestantischer Arbeitsethik und katholischer Bilderpracht für säkulare Muslime so attraktiv sein würde? Wer hätte vermutet, dass der kalkulierte Mix aus Assessment Center, Freak-Show und queerem Popstadl zur bundesweit erfolgreichsten integrationspolitischen Veranstaltung avancieren könnte? Dem Telerepublikaner Dieter Bohlen ist zu danken, dass die zeitgemäße Variante des Rütli-Schwurs ganz ohne Bergwiesenromantik auskommt.

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