Anti-Taleban-Connection

AFGHANISTAN Russland und die USA koordinieren aus völlig unterschiedlichen Motiven ihre Politik gegenüber den archaischen "Gotteskriegern"

Als sich im vergangenen Herbst in New York die "6+2-Gruppe" - rekrutiert aus den sechs Nachbarländern Afghanistans sowie den USA und Russland - erstmals auf Außenministerebene traf, berichteten US-Zeitungen ausführlicher darüber, dass Madeleine Albright ihrem iranischen Amtskollegen Kamal Kharrazi zwar nicht die Hand geschüttelt, nach Sitzungsende aber so dicht an ihm vorbei gegangen sei, dass sie ihn fast gestreift habe, als über das eigentliche Thema des Treffens. Ähnlichen Beinahe-Körperkontakt suchte die Clinton-Administration zuletzt in Sachen Afghanistan auch mit Russland, das eigenen Ambitionen in Zentralasiens seit Jahren nicht zuletzt mit militärischen Mitteln Nachdruck verleiht. Dem State Department unter dem Dirigat von Madame Albright fiel es daher nicht schwer, in dieser Region ein gemeinsames Wirkungsfeld zu finden, das sich mit Operationen gegen die in Afghanistan regierenden Taleban sowie deren Verwicklung in den "weltweiten islamischen Terrorismus" und den Drogenhandel anbietet. Ein prägnantes Resultat dieses Arrangements lässt sich bereits verzeichnen: Verschärfte UN-Sanktionen gegen die Taleban, die am 19. Januar in Kraft traten und auf ein militärisches Embargo zielen, wurden von den USA und Russland im Schulterschluss auf den Weg gebracht. Allerdings fehlt bislang ein wirksamer Monitoring-Mechanismus, um die Sanktionen auch durchzusetzen.

Amerikas Erzfeind Usama bin Ladin

Bis auf weiteres dürfte die Afghanistan-Connection mit Moskau auch unter der Bush-Administration Bestand haben, sollten noch ausgeprägter als bisher statt humanitärer Erwägungen "nationale Interessen" zum Maß für die Außenpolitik der USA werden. Ohnehin mehren sich in Pakistan Gerüchte, nach den US-Raketenattacken auf vermeintliche Ausbildungslager von Usama bin Ladin im August 1998 stünden demnächst erneute - wie es heißt - "Kommandoaktionen" bevor. Deren Schlagkraft werde dem Umstand zu danken sein, dass sie von Basen in Tadschikistan und Usbekistan ausgingen, spekuliert in Islamabad die Tageszeitung The Nation. Ein konzentrierter Anti-Taleban-Vorstoß sei auf jeden Fall zu erwarten.

Weder die USA nach Russland können sich also zu einer Afghanistan-Politik durchringen, die auf vertretbare politische Lösungen für den seit 22 Jahren lodernden Bürgerkrieg hinausliefe. Washington jagt besessen dem Phänomen des saudischen Dissidenten Usama bin Ladin hinterher, mit dem man zu Anfang des Afghanistan-Krieges nach 1980 noch gegen die Sowjets verbündet war und der inzwischen zum Staatsfeind "Nummer Eins" avanciert scheint. Moskau befürchtet im Falle einer schleichenden Islamisierung der zentralasiatischen GUS-Staaten ein neues Tschetschenien, das weiter in die Russische Föderation hineinstrahlen könnte als das durch die islamischen Enklaven im Kaukasus der Fall ist.

Zwar hat der aus radikal-islamischer Sicht erfolgreiche Afghanistan-Krieg tatsächlich zu einer Proliferation militant-islamistischer Gruppen rund um den Globus geführt, doch niemand weiß genau, wie weit Bin Ladins Netzwerk tatsächlich reicht und wie eng es geknüpft ist. Und niemand weiß, ob er wirklich (noch) über jene Hunderte Millionen Dollar verfügt, die er von seinem Bauunternehmer-Vater geerbt haben soll, um eine vermeintliche Diaspora des Terrors zu finanzieren. (Usama bin Ladin ist der jüngste unter 24 Söhnen. Haben die anderen nichts geerbt?) Die meisten dazu lancierten Fakten stammen aus Geheimdienstquellen - und die dürften aus nahe liegenden Gründen manipuliert sein. Trotzdem wird bei jedem Terroranschlag wie jüngst beim Attentat auf einen amerikanischen Zerstörer im Hafen von Aden sofort nach Querverbindungen zu bin Ladin gesucht.

Russlands Domino-Theorie

Die Afghanistan-Politik Moskaus hingegen agiert in einem völlig anderen Kontext, sie verfolgt das Ziel, in den GUS-Staaten Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan und Kirgistan eine Interessensphäre zu erhalten, die unter dem Etikett "Nahes Ausland ehemaliger nichtrussischer Sowjetrepubliken" firmiert. In Tadschikistan scheint das bereits gelungen. Dessen postsowjetische Regierung unter Präsident Emomali Rachmonow konnte sich in einem blutigen Bürgerkrieg nur dank russischer Militärhilfe durchsetzen. Heute ist Duschanbe so eng mit Moskau liiert, dass seine Unabhängigkeit mehr auf dem Papier steht, als wirklich gegeben zu sein. Schwieriger gestaltet sich Moskaus Verhältnis zu Usbekistan, dem ökonomisch und nach der Bevölkerungszahl potentesten GUS-Staat in der Region. Ermutigt durch bedeutende Gas- und Ölreserven und hochkarätige Angebote westlicher Konzerne, ging Präsident Islam Karimow in der ersten Hälfte der neunziger Jahre eher auf Distanz zum Kreml. Doch die Ausbeutung der Rohstoffe und ihr Abtransport erwiesen sich als so schwierig, dass manche Pipe Dreams platzten. Als im Sommer 1999 Islamisten über Kirgistan kommend und von den Taleban zumindest moralisch unterstützt, einen Aufstand gegen Karimow entfachten, kam das Russland gerade recht. Karimow sah sich gezwungen, um militärischen Beistand zu bitten, zumal er sich gegen jeden Kontakt mit den Taleban sperrte, um den Konflikt auf diese Weise zu entschärfen. Erst der Verzicht auf diese kompromisslose Position Ende 2000 verschaffte dem usbekischen Staatschef wieder mehr Spielraum gegenüber Moskau. Weitaus flexibler verhält sich seit jeher Turkmenistans eigensinniger Präsidenten Saparmurad Nijasow, der vor russischer Obhut so lange sicher sein dürfte, wie sich in seinem Land keine (islamistische) Opposition artikulieren kann. Genau diesem Zweck dient Nijasows enge wirtschaftliche wie politische Kooperation mit den Taleban. Indem er sie als Partner toleriert, hält er sie als Guerrilla auf Abstand.

Um strategische Begierden in Mittelasien zu bemänteln, wird in Moskau zwischenzeitlich eine neue Dominotheorie kolportiert, wonach - ausgehend von Afghanistan - militante Muslime erst Mittelasien, insbesondere Tadschikistan und Usbekistan, danach Tschetschenien und den Nordkaukasus, schließlich weitere muslimisch gefärbte Gebiete in Kern-Russland wie Tatarstan übernehmen würden, um sich dann dem Balkan zuzuwenden. Eine im Einzelnen nachvollziehbare, aber vom globalen Ansatz her überzogene Spielart russischer Verschwörungsapologetik. Ein Beispiel für derartige Dramatisierungen ist der Fall des usbekischen Islamistenchefs Dshuma Boi Namangani. Moskau behauptet seit Monaten, er operiere unter dem Schutz der Taleban in Nord-Afghanistan und trainiere dort eine Guerrilla, von der wiederum keiner weiß, wie stark sie wirklich ist. Dabei kursierten Gerüchte, Namangani sei nicht in Afghanistan, sondern habe ein Refugium auf dem Territorium des russischen Alliierten Tadschikistan gefunden - in einem jener Gebiete, das noch immer die - offiziell domestizierte - islamische Opposition kontrolliert. Als der Betreffende laut Bericht des britischen Sunday Telegraph Mitte Januar dann tatsächlich dort gesichtet wurde, hieß es aus Moskau, er sei offenbar gerade "aus Afghanistan eingesickert". Dabei hatte die russische Armee mehrfach versichert, die in Tadschikistan dislozierten eigenen Verbände hätten die afghanische Grenze fest im Griff, illegale Passagen seien auszuschließen. Allerdings halten sich seit Jahren hartnäckig Gerüchte über hohe Bestechungsgelder, die Drogenhändler für ein Überschreiten der Demarkationslinie russischen Offizieren zahlen - die Rede ist von Dollarsummen im fünfstelligen Bereich.

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