230.000 Denkzettel für die großen Parteien

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http://img44.imageshack.us/img44/2143/33791808880da8bd226a.jpgIst die Piratenpartei auf dem Weg zu bundespolitischer Relevanz? Diese Frage stellten wir unserer Community letzte Woche. Heraus kam dabei wenig Überraschendes: 64% der Teilnehmer (Stand 16.06.09) waren der Meinung, dass unter bestimmten Umständen langfristig der Weg zur relevanten Partei - die gängige Definition dafür ist wohl über 5%, ergo Bundestag - beschritten werden könnte.

Zweifelsohne rief allein schon die Fragestellung selbst einige Mitglieder der Piratenpartei und deren Sympathisanten auf den Plan. Diese sind wiederum "gut vernetzt", was den Schluss zulässt, dass die Aussagekraft der Pro-Contra-Stimmverteilung zumindest mit Vorsicht zu genießen ist. Ähnliches kann man regelmäßig bei den "Wahlen zum Tor des Monats" beobachten, sofern man Mitglied des BVB-Forums ist.

Das soll aber den Erfolg - und als solchen sollte man das knappe Prozent, das die Piraten erreicht haben, werten - garnicht schmälern. Sie legen den Finger in eine Wunde, die zwischen Bundesobrigkeit und dem Selbstverständnis des nachwachsenden Wahlvolks klafft. Ihre Mühen, das Thema "Internet" und die daran anhaftenden Urheberrechts- und Datenschutzdebatten mit politischer Relevanz zu versehen, sind bemerkenswert und aktuell so wichtig wie nie zu vor. Der Erfolg (in Zahlen) der Petition gegen Internetsperren ist nicht zuletzt auch ein Teilverdienst der Piraten.

Dass das Internetsperrgesetz - und danach sieht es aus - entgegen aller Bedenken (und besseren Wissens) am langen Ende doch via große Koalition durchgedrückt wird, bestätigt eine Ahnung, die sich in den letzten Wochen und Monaten vorzüglich pflegen ließ: Die Kluft zwischen etablierten Parteien und Wähler ist tief, auch wenn das Tischtuch noch nicht zu reißen scheint. Dem Gefühl, man würde von Schildbürgern regiert, die rat- und planlos mit den Grundfreiheiten ihrer Bürger hantieren, kann man sich inzwischen allerdings nur noch schwer erwehren.


Jörg Tauss, SPD

"Das Wahlergebnis der Piratenpartei in Schweden kommt nicht ueberraschend. Es kann auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern eintreten, wenn ein Mainstream in der etablierten Rechts- und Innenpolitik, vor allem in der Union, weiterhin mit Vorratsdatenspeicherung, Datenschutzvernachlässigung, Online-Durchsuchungen, populistischen "Killerspiele"- Debatten, Internetsperren und einem Urheberrecht aus der analaogen Welt Menschen bespitzeln, bevormunden, informationeller Selbstbestimmung und Informationsfreiheit berauben will."


Hierzu wiederum passt das Ergebnis der Debatte in der Wahlkampfarena. Knapp über 50% der Beteiligten haben angegeben, entweder mit keiner (zur Wahl stehenden) Partei zu sympathisieren oder explizit "weiß" zu wählen. Ein Trend, der auch bei den übrigen Fragen der Woche zu erkennen war. Tendenziell zieht sich damit ein roter Faden durch alle bisherigen Debatten, den man vorsichtig mit "Proteststimmung" umschreiben könnte. Wenn man denn mutig wäre und über Signifikanz und Repräsentativität den Mantel des Schweigens legen würde.

Um wieder zum Ausgangspunkt, der Frage nach der Relevanz der Piratenpartei, zu kommen: die etablierte Politik hat etwas, worüber sie nachdenken sollte. Das ist in erster Linie aber eben nicht die Piratenpartei, sondern der Wähler, die eigentliche Basis des politischen Wirkens. Land ist diesbezüglich und im Hinblick auf die aktuellen Geschehnisse allerdings nicht in Sicht. Es wird Zeit für ein SOS.

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Das Bild wurde von Markus Rödderaufgenommen.

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Geschrieben von

Jan Jasper Kosok

Online-Chef

Jan Jasper Kosok studierte Wirtschaftswissenschaften in Berlin, verdingte sich im Nachtleben und gründete 2007 mit Teresa Bücker das Blog Knicken // Plakative Platzierungen, welches sich mit Musik und Popkultur beschäftigte. 2009 kam er zum Freitag, um beim Aufbau des Webauftrittes zu helfen. Seit 2011 ist er verantwortlicher Redakteur für Online und Community und hat seitdem mehrere Relaunches begleitet. Er beschäftigt sich mit den sozialen Auswirkungen von zu hohem Internetkonsum und fürchtet sich davor, nicht verhindern zu können, ein alter weißer Mann zu werden.

Jan Jasper Kosok

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