Castor-Transport: Zwei Hände und mehrere Finger

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Der Castor-Transport befindet sich auf der Zielgeraden. Anlass genug, das Geschehene in einer Linkschau ohne Anspruch auf Vollständigkeit zusammenzufassen und mit einem Video zu unterfüttern

Das Projekt “Castor Schottern” hatte sich zum Ziel gesetzt, den Castor-Transport durch das gezielte Untergraben des Gleisbetts aufzuhalten, zumindest aber zu verlangsamen. Mehr als das übliche Katz-und-Maus-Spiel wurde aber nicht daraus, resümiert Carsten Lissmann in der Zeit:

“Schon im Vorfeld hatten die Organisatoren der Kampagne "Castor Schottern" angekündigt, Medienvertreter zu einem bestimmten Zweck mit an die Gleise zu nehmen. Sie versprachen sich davon einen gewissen Schutz vor der Polizei, wenn Kameras dabei seien, würden die Beamten nicht so hart zupacken. Nun steht ein Pulk von 20 oder 30 Journalisten um Mischa Aschmoneit, er ist einer der Sprecher der Kampagne. Ein komisches Schauspiel beginnt: Welche Journalisten dürfen welche Gruppe begleiten? Wo ist die meiste Action zu erwarten, gibt es da auch gute Bilder?”

Freitag-Community-Mitglied Gold Star For Robot Boy hinterfragt derweil die medial aufbereitete “neue Stufe der Gewalt”, die von Konrad Freiberg, dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, ins Feld geführt wird und fragt sich, ob damit nicht viel mehr das resolute Vorgehen der Polizei selbst gemeint sei:

“Warum haben die Beamten nicht verhindert, dass ihr Fahrzeug mit Teer übergossen wurde? Warum hat keiner der zahlreichen Kameramänner und Fotografen eingegriffen, als die vermummte Person das Feuer legte? Haben sich diese Journalisten wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar gemacht? Wer war diese vermummte Person und konnte sie verhaftet werden? War hier evtl. mal wieder ein verdeckt agierender Agent Provocateur am Werke? Oder bezog sich Freibergs “neue Stufe der Gewalt” auf den robusten Einsatz des Uniformierten?”

Peter Unfried macht sich in der taz Gedanken über die Nachhaltigkeit des neu entflammenten Protests der Anti-AKW-Bewegung und zitiert Discoteer und Erstteilnehmer Rocko Schamoni:

“Er habe das Gefühl gehabt, angesichts des Gemauschels zwischen Regierung und Energiekonzernen sei es notwendig, Präsenz zu zeigen. Der erfolgreiche Künstlerprotest gegen die Gentrifizierung des Hamburger Gängeviertels habe gezeigt, "dass man Gelände zurückgewinnen kann, wenn man sich massiv zur Wehr setzt".”

Die taz glänzt zusätzlich mit einem Ticker.

Peter Nowak sorgt sich in einer Replik auf den kürzlich im Freitag erschienenen Artikel “Mythische Zeichen” von Axel Brüggemann um die Linie der linken Protestbewegung:

“Die Restlinke soll in ein diffuses ökologisches Heimatschutzbündnis aufgehen, das weder rechts noch links kennt und von Kapital- und Staatskritik schon gar nichts wissen will. Es ist zu wünschen, dass auch ganz viele, die jetzt in Gorleben aktiv waren, dieses Ansinnen zurückweisen. Schließlich sind sie dort hingefahren, um die Atompolitik der Bundesregierung, nicht aber linke Inhalte sowie die Vernunft zu entsorgen.“

Währenddessen nimmt Benjamin Borgerding für den Greenpeace-Blog anlässlich eines Interviews mit Thomas Walde im ZDF Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) ins Visier und attestiert diesem im Hinblick auf Laufzeitverlängerung und Castor-Transport die vermeintliche Fähigkeit, “Zigaretten als wunderbaren Rauchzauber gegen chronischen Husten zu verkaufen”:

“Waldes beharrliches Nachhaken lässt den Putz an Röttgens aseptischer Phrasen-Rhethorik (“Tanssszparenz!”) bröckeln. Die Risse offenbaren die Wahrheit darunter. Röttgen, Walde und dem Zuschauer: Ihnen allen ist am Ende des Interviews klar, wie Röttgens ehrliche, unverstellte Antwort lauten würde: “Ich habe keine Ahnung.””

Die Süddeutsche kredenzt dem geneigten Leser in einer Bildergalerie die "Typologie der Meinungen". Es wird in Aktionisten, Ordnungshüter, Ausweicher, Mitläufer und Kassenwarte unterteilt. In Teilmenge 1 fällt unter anderem die SPD, die souverän ihre Führungsrolle in der Opposition untermauert:

“Der Parteichef und frühere Umweltminister Sigmar Gabriel meldet sich denn auch lautstark zu Wort und fordert Kanzlerin Angela Merkel auf, sich ins Wendland zu begeben: "Wer diesen Wahnsinn verantwortet, der kann sich jetzt nicht hinter den Polizisten verstecken."”

Klaus Raab stellt im Freitag fest, dass der Anti-AKW-Bewegung ein unerwarteter Adelstitel zuteil wurde. Der Autovermieter Sixt ließ es sich nicht nehmen, die Proteste für eine seiner Kampagnen zu “missbrauchen”, aber:

“Wer politisch etwas zu melden hat in diesem Land, muss damit rechnen, früher oder später von Sixt benutzt zu werden, und die Protestierenden bekommen nun also, nachdem sie viele Jahre lang als Splittergruppe abgetan und links liegen gelassen werden konnten, dieselbe Aufmerksamkeit wie die Politiker in den anderen Sixt-Kampagnen. Man kann die jüngste Kampagne daher auch als Nebenwirkung des Erfolgs der Castor-Proteste verstehen: Sie werden ernstgenommen.”

In der NZZ bleibt man gewohnt nüchtern und orientiert sich an Fakten sowie den nationalen Gepflogenheiten der alpinen Berichterstattung:

“Die Castor-Behälter enthalten nicht wiederverwertbare Überreste alter Brennelemente aus deutschen Atomkraftwerken. Das Dorf Gorleben hat seit Jahrzehnten große Symbolkraft für die deutsche Anti-Atom-Bewegung. Der dortige unterirdischer Salzstock gilt als mögliches Endlager für Atommüll. Derzeit gibt es ein oberirdisches Zwischenlager.”

Das Video entstand unter der Federführung von Left Vision.



(Foto auf der Startseite: AFP / Getty Images)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jan Jasper Kosok

Online-Chef

Jan Jasper Kosok studierte Wirtschaftswissenschaften in Berlin, verdingte sich im Nachtleben und gründete 2007 mit Teresa Bücker das Blog Knicken // Plakative Platzierungen, welches sich mit Musik und Popkultur beschäftigte. 2009 kam er zum Freitag, um beim Aufbau des Webauftrittes zu helfen. Seit 2011 ist er verantwortlicher Redakteur für Online und Community und hat seitdem mehrere Relaunches begleitet. Er beschäftigt sich mit den sozialen Auswirkungen von zu hohem Internetkonsum und fürchtet sich davor, nicht verhindern zu können, ein alter weißer Mann zu werden.

Jan Jasper Kosok

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