Das Hoffen auf den Fluchtpunkt

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In der Niederlage ist der wahre Fan seinem Verein am nächsten, würde ein altkluger Tischnachbar in der Kreuzberger Milchbar vermutlich sagen. Oder so. Jedenfalls hätte alles schön sein können, gewaltig und mit der unbändigen Kraft eines seit Jahren unterdrückten Wunsches. Ein Abseitstor in der 91. Minute aber zerstörte die schönsten Träume, die man als Anhänger des BVB in den letzten paar Jahren hätte haben können.

Und jetzt? Jetzt wird wieder gewartet. Darauf, dass die Sommerpause vorüber geht, darauf, dass man im nächsten Jahr neu angreifen kann; im weitesten Sinne auf Europa, auf Besserung. Ein schmerzhaftes Ziel, das Jahr um Jahr zaghaft auf's Neue formuliert wird. Ganz subjektiv natürlich, wie vor allem die Chefetage bemüht ist deutlich zu machen.

Aber wie realistisch ist dieses Ziel? Hat man über Niveau gespielt? Oder kann man die Leistungen des letzten Saisondrittels konservieren? Sollte Zauberer Klopp sein letztes Bisschen Magie versprüht haben? Oder hat er noch ein paar Karten in peto? Wer wird gehen und wer kommen? Wird die Mannschaft verstärkt? Oder blutet sie dank Finanzkrise langsam aus? Wie läuft es bei den anderen? Wo geht es hin? Ja, wo?

All diese Fragen quälen mich, brennen sich unbarmherzig in mein schwarz-gelbes Fußballherz, verunsichern mich, schüren nervöse Ungeduld und lassen am Ende nur ein Verhalten zu. Eines, dass ich in Bezug auf andere Dinge immer gern selbstherrlich verachte: das Hoffen.

In einer Welt aus bunten Fahnen, Größenwahn, stetem Übermut, tiefen Gefühlen, blankem Hass, bierseliger Melancholie, Stadionwurst, Lokalpatriotismus und Sabine Töpperwien findet sich eben auch das Fünkchen Hoffnung, das es braucht, um im nächsten Jahr von Neuem zu glauben. Es ist eine Welt, die überpünktlich Freitagabend beginnt und Sonntagabend endet und in der man gern all seine Irrationalitäten vor der eigenen Freundin versteckt. Es ist eine gute Welt, und wie jedes Jahr bin ich nicht bereit, an ihr Ende zu glauben. Viel mehr wird sie besser werden, übernächstes Jahr auch während der Woche ihren Weg in mein Leben finden, mich in ihre schützenden Arme schließen. Dieses Mal wirklich. Ich weiß das, denn ich bin Fan.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jan Jasper Kosok

Online-Chef

Jan Jasper Kosok studierte Wirtschaftswissenschaften in Berlin, verdingte sich im Nachtleben und gründete 2007 mit Teresa Bücker das Blog Knicken // Plakative Platzierungen, welches sich mit Musik und Popkultur beschäftigte. 2009 kam er zum Freitag, um beim Aufbau des Webauftrittes zu helfen. Seit 2011 ist er verantwortlicher Redakteur für Online und Community und hat seitdem mehrere Relaunches begleitet. Er beschäftigt sich mit den sozialen Auswirkungen von zu hohem Internetkonsum und fürchtet sich davor, nicht verhindern zu können, ein alter weißer Mann zu werden.

Jan Jasper Kosok

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