Seit Wochen wabert der Diesel-Skandal durch die Medien. Kaum eine Nachrichtensendung des Deutschlandfunks, die ich meist morgens vor der Arbeit höre, während mich der erste Kaffee in die Welt zurück hievt, kommt ohne die nächste Anekdote aus der fabelhaften Welt der Automobilindustrie aus. Und trotzdem juckt es mich recht wenig, schließlich fahre ich ja Rad. Sage ich mir dann.
Nicht selten dünkt mir allerdings, dass ich mit dieser Schnellschussdiagnose, die am Küchentisch nicht selten in Häme ausartet, daneben liegen könnte. Mein Vater zum Beispiel wird nicht müde, mir zu verklickern, dass der Diesel-Skandal alles hätte: korrupte Industrielle, betrogene Verbraucher, Lobby-verseuchte Politiker, eine lobbylose Umwelt und einen Mittelstand, der seine Dienstleistungen demnächst per Park & Ride anbieten darf. Recht hat er, denke ich mir in einem Anflug revolutionären Grolls.
20 Minuten Radweg von Berlin-Kreuzberg nach Mitte reichen in der Regel allerdings völlig aus, um diesen Groll wieder vollständig in Häme zu verwandeln. Diese dämlichen Autofahrer haben es nicht anders verdient, denke ich mir allerspätestens nach der dritten Nahtoderfahrung. Und so bleibt häufig nicht viel mehr denn Unverständnis, wenn das Thema Diesel auf den Tisch kommt. Bei mir, bei Freunden, bei Kollegen.
Dass wir dabei sehr wahrscheinlich alle falsch liegen, wurde diese Woche ein weiteres Mal deutlich. So deutlich, dass ich den Diesel-Skandal wohl nicht mehr länger bloß beiseite schieben kann. Mein Tipping-Point. Jetzt sollen nämlich weder die Verbraucher noch die Konzerne die Zeche für den Skandal zahlen. So kurz vor den Wahlen in Hessen wäre das ja ein fatales Signal. Da greift man zu einem einfachen Trick, erhöht die nationalen Grenzwerte, legitimiert die Dreckschleudern nachträglich und zumindest bis die EU meckert – das dürfte erst nach den Landtagswahlen sein –, sind alle wieder glücklich. Fast.
Denn in Wahrheit zahlen – neben der lobbylosen Umwelt natürlich – die die Zeche, die eben nicht mit dem Auto fahren, die Scheibe hoch drehen und am Wunderbaum schnüffeln, wenn es stinkt: Fußgänger, Fahrradfahrer, Anwohner. Das taten sie natürlich vorher auch schon. Aber jetzt bekommt man eben noch einmal penibel vorgeführt, was die ehemals Große Koalition von Leuten hält, die sich mühen, halbwegs nachhaltig von A nach B zu kommen, sobald Autonormalverbraucher die Mistgabel zückt und Konzerne den eigenen Betrug nicht noch – eine dornige Chance! – zu Profit machen dürfen. Nämlich genau: nichts.
Damit ist ebenfalls eineindeutig, was passiert, wenn man „die da oben“ einfach machen lässt und die Automobilbranche eben nicht zu Nachrüstung, Entschädigungen und sonstigen Dingen zwingt, die nachhaltig weh tun, Umdenken einleiten – und vor allem kosten. Man wird die Rechnung selbst zahlen. Im schlimmsten Fall beim nächsten Arztbesuch. Und das muss ja nicht sein, zumindest kann man vorbeugen. Am kommenden Wochenende wird schließlich – nicht zum letzten Mal – gewählt.
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