Komm mit mir in den Alltag

Apple-Keynotes Wenn Apple auf seiner nächsten Keynote seine neuen Produkte vorstellt, wird dies für keinen Big Bang sorgen. Nachhaltig ist es trotzdem
Ausgabe 36/2014
Uhr und Apfel: wie geht das zusammen?
Uhr und Apfel: wie geht das zusammen?

Bild: Spencer Platt / Getty Images

Wenn am kommenden Dienstag das neue iPhone und Apples erstes wearable, eine Uhr, in einer keynote vorgestellt wird, dürfte die Erregungskurve des technikaffinen Netzes ihren Höhepunkt finden – so wie jedes Jahr. Der mediale Ablauf ist dabei so sicher wie das Amen in der Kirche. Nämlich so: Abgesehen von strenggläubigen Apple-Jüngern gibt sich die Tech-Szene wegen des Termins betont cool. Apple bleibe sicher hinter den Erwartungen zurück, Sensationen seien nicht zu erwarten, die neuen Features und Spezifikationen seien zwar für sich gut, aber nicht zu gut. Man kenne das. Dieser Zustand hält sich bis zu dem Moment, in dem die ersten Fotos – meist auf obskuren Seiten – auftauchen und vermeintlich zeigen, was sich Apple optisch für das kommende Jahr überlegt hat. Ab hier steigt die Fieberkurve, seriöse Medien spekulieren wild, der Seifenblasenjournalismus hat Hochkonjunktur und jede noch so kleine Meldung das Potenzial, in den sozialen Medien Erdbeben auszulösen. Cupertino, wir haben einen Hype.

In diese Zeit fällt in der Regel auch die Ankündigung der Keynote selbst, die den Endspurt einläutet. Ist es dann geschafft, sind die Erwartung bei den meisten so hoch, dass sie nur enttäuscht werden können. Die Keynote holt sie zurück in den Alltag, ein Umstand der dadurch unterstrichen wird, dass sich Artikel in den Tagen danach nicht nur wie Gebrauchsanleitungen lesen. Sie sind welche.

Das alles ist kein Zufall. Seit der legendären Keynote aus dem Jahr 2007, in der Steve Jobs das erste iPhone vorstellte, konnte keine mehreine ähnliche Wirkung entfalten. Der Grund dafür ist trivial. Die Ankündigung des iPhones war der Big Bang des Mobile Computings, aus alltagstechnologischer Sicht vielleicht das wichtigste Ereignis der vergangenen zehn Jahre. Seitdem leben wir in einer mobilen Welt: Wir hören unterwegs Musik, googeln schnell etwas, machen Fotos von unserem Essen, filmen die Ausfälle unserer Freunde, beantworten um 2 Uhr nachts die Emails des Chefs, bewegen uns in sozialen Netzen – und telefonieren. Das alles sind heute Selbstverständlichkeiten, die den mobilen Alltag vieler prägen. Es ist dabei egal, ob wir ein Apple-, einem Android- oder Windows-Telefon benutzen. Apple stieß die Tür auf, Apple lieferte die Blaupause. Ein zweites Mal wird sich diese Welt allerdings nicht erfinden lassen. Dementsprechend ist es alle Jahre wieder sinnlos, auf einen neuerlichen Big Bang zu hoffen. Abhalten dürfte dies indes niemanden.

Apple selbst beschäftigt sich unterdessen damit, inkrementell unseren digitalen Alltag nachhaltig um- und auszubauen, Technologien zu etablieren, die das Potenzial haben, ihn – und damit unser Konsumverhalten – fundamental zu verändern. Sei es ein Appstore oder ein Nachrichtenservice, der SMS überflüssig macht, sei es eine Kamera, die alltagstauglich ist, sei es ein Service, der Daten, Musik und Fotos über Geräte hinweg synchronisiert, oder wie jetzt ein Blick auf die Gesundheit der Kunden. Die Liste wird ständig länger.

Natürlich haben andere Firmen hier und da die Nase vorn – Apple assimiliert schamlos –, in der Regel jedoch hecheln sie kopierend hinterher. Dass Apple wegweisender agieren kann als die meisten Konkurrenten, liegt daran, dass man in Cupertino die gesamte Verwertungskette über Hard- und Software und damit ein ganzes System, in dem Neuerungen reibungslos aufeinander abgestimmt funktionieren können, in den Händen hält. Verbraucherfreundlich ist das, würde in einem Werbeprospekt geschrieben stehen. Im Alltag – selbst im digitalen – geht es erfahrungsgemäß nicht besonders spektakulär zu. Diesen unseren normalen Tagesablauf jedoch in einem solchen Zeitraum und schnelllebigen Umfeld von Jahr zu Jahr nachhaltig zu beeinflussen, ist eine Leistung, die erst einmal imponieren sollte. Und einige vielleicht auch ein bisschen beunruhigen.

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Geschrieben von

Jan Jasper Kosok

Online-Chef

Jan Jasper Kosok studierte Wirtschaftswissenschaften in Berlin, verdingte sich im Nachtleben und gründete 2007 mit Teresa Bücker das Blog Knicken // Plakative Platzierungen, welches sich mit Musik und Popkultur beschäftigte. 2009 kam er zum Freitag, um beim Aufbau des Webauftrittes zu helfen. Seit 2011 ist er verantwortlicher Redakteur für Online und Community und hat seitdem mehrere Relaunches begleitet. Er beschäftigt sich mit den sozialen Auswirkungen von zu hohem Internetkonsum und fürchtet sich davor, nicht verhindern zu können, ein alter weißer Mann zu werden.

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