Unterwältigend bis peinlich

Buzzfeed Die US-Seite gibt es nun auch auf Deutsch und gleich inklusive Shitstürmchen. Erstes Fazit: Gefällt nicht allen – und das gilt besonders für viele Medienmacher
Ausgabe 38/2014
Startfrage: Was tun, wenn die Russen kommen?
Startfrage: Was tun, wenn die Russen kommen?

Bild: Screenshot

"16 Schritte, wie du dich auf die russische Invasion vorbereitest – Sei bereit, wenn dein Land als nächstes befreit wird." Mit diesem Ratgeber startete die US-amerikanische Seite Buzzfeed.com ihren Ableger in Deutschland und bekam damit gleich ihren ersten Shitstorm zu spüren. Weder die politische Lage noch das deutsche Gemüt schienen bereit für den Ton, den das Berliner Büro anschlug. Von „mittellustig“ über „unterwältigend“ bis hin zu „peinlich und geschmacklos“ fielen die Reaktionen in den sozialen Netzen aus.

Dabei hatte das Posting – wenn auch unfreiwillig – durchaus selbstreferenziellen Witz, dürfte doch das Gefühl einer bevorstehenden Invasion zumindest klassischen Medienmachern und Verlagshäusern heuer nicht fremd sein. Sie schauen mit einer Mischung aus Neid, Besorgnis und Unverständnis auf den weltweiten Erfolg von Internetseiten wie Vox, Vice oder eben Buzzfeed. Im Kampf um die Leser sieht man die Felle davon schwimmen.

Denn die Emporkömmlinge spielen nicht nach den althergebrachten Regeln. Vermutlich spielen sie nicht einmal dasselbe Spiel. Sie berichten tendenziös und unvollständig, verkaufen Artikel an den höchstbietenden Sponsor und scheuen sich nicht, noch so ernste Themen in schrillen Bildergalerien oder schnell gefertigten Listen zu verarbeiten. Jeder Klick zählt, entsprechend laut ist das Angebot. Und der Erfolg scheint ihnen Recht zu geben. Buzzfeeds Firmenwert soll sich auf 850 Millionen Dollar belaufen. Das ist fast schon halb so viel wie die altehrwürdige New York Times.

Vertreter klassischer Verlagshäuser indes beklagen fehlendes Ethos und echauffieren sich vor allem über dieses so genannte Clickbaiting, bei dem die Leser durch besonders reißerische Ankündiger, gespickt mit leeren Versprechungen, dazu verleitet werden sollen, Links aufzurufen. Dass Inhalte zu Beiwerk verkommen, ist bei einem Blick auf die Homepage der New Yorker Firma nicht von der Hand zu weisen. Dort tummeln sich Titel wie „14 unfassbare Lügen, mit denen indische Mütter davongekommen sind“, „Dieses Video zweier Schwestern, die sich das erste Mal sehen, wird Ihr Herz erwärmen“ oder „37 billige Tricks, Ihre Ikea-Möbel wie teure aussehen zu lassen“.

Ein Grund für die etwas andere Berufsauffassung könnte Buzzfeeds Selbstwahrnehmung sein. Man sei zunächst eine Technikfirma gewesen, die mit Inhalten experimentierte, sagt Gründer Jonah Peretti. Heute nehme man die redaktionelle Arbeit ernster. Dabei bedient man allerdings weiterhin ein Publikum, das in erster Linie unterhalten und erst in zweiter Instanz informiert werden will. Inhalte sind eben nur eine von vielen Möglichkeiten, im Internet Geld zu verdienen.

Die Art und Weise, mit der Buzzfeed jetzt in Deutschland an den Start geht, ist daher wenig verwunderlich. Gelernt ist gelernt. Sorge macht viel mehr, dass sich der herkömmliche Journalismus immer mehr in die Ecke gedrängt fühlt und die Methoden dieser Webseiten adaptiert. Schon heute erinnern Schlagzeilen und Inhalte in den als seriös geltenden Medien immer häufiger an den Sound von Clickbaiting-Portalen wie Heftig.co. Dabei sollte es doch selbst im Angesicht der Fleischtöpfe nach wie vor heißen: Haltung annehmen, bitte. Sonst geht es dem "Qualitätsjournalismus" am Ende wie einst MTV, als es statt Musik auf Klingeltöne und Reality Shows setzte und wenig später in der Versenkung verschwand.

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Geschrieben von

Jan Jasper Kosok

Online-Chef

Jan Jasper Kosok studierte Wirtschaftswissenschaften in Berlin, verdingte sich im Nachtleben und gründete 2007 mit Teresa Bücker das Blog Knicken // Plakative Platzierungen, welches sich mit Musik und Popkultur beschäftigte. 2009 kam er zum Freitag, um beim Aufbau des Webauftrittes zu helfen. Seit 2011 ist er verantwortlicher Redakteur für Online und Community und hat seitdem mehrere Relaunches begleitet. Er beschäftigt sich mit den sozialen Auswirkungen von zu hohem Internetkonsum und fürchtet sich davor, nicht verhindern zu können, ein alter weißer Mann zu werden.

Jan Jasper Kosok

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