Von Daten und Dieben

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Das semifiktive Logbuch eines Einbruchs: Ein Politiker forciert den Ausbau der Vorratsdatenspeicherung. Bei der Polizei weiß man derweil mit Daten nur wenig anzufangen

Die wahre Geschichte eines Einbruchs kreuzt die fiktive eines Politikers.

Samstag, 2. April, 01.02 Uhr

Ein Politiker schläft unruhig. Seine Träume sind durchsetzt mit Bildern einer Bundestagssitzung, in der sich das versammelte linke Lager während seiner Rede in eine maßlose Orgie verwandelt. Gerädert wacht er auf.

In Berlin-Kreuzberg ereignet sich zeitgleich ein Einbruch in die Büroräume der Firma Schneider und Schwarz. In einer groß angelegten Aktion werden 11 iMacs, ein Mac Mini und eine Xbox einkassiert. Ein Fenster geht zu Bruch, zum bequemen Transport werden Originalkartons verwendet, die Kabellage zurückgelassen. Die letzte Verbindung eines Rechners zu den Servern des Netzunternehmens wird gegen 01.14 Uhr gekappt.

Samstag, 2. April, 09.12 Uhr

Seine Träume, so erfährt der Politiker von einem in solchen Dingen bewanderten Sekretär, deuten darauf hin, dass er unter Angst vor Kontrollverlust leide. Er empfiehlt ihm seinen Haushomöopathen und bei diesem im Speziellen eine Sulfurbehandlung. Letztere hätte in seinem Freundeskreis bereits Wunder bewirkt.

Ein Mitarbeiter der Firma Schneider und Schwarz betritt die Büroräume in Berlin-Kreuzberg und stellt den Einbruch fest. Er benachrichtigt Vermieterin, Polizei sowie Kollegen. Der materielle Schaden beläuft sich nach einer ersten Schätzung auf über 20.000 €. Es geht circa eine Woche Arbeitsleistung verloren; weitere Daten sind zwar verschlüsselt, aber jetzt in den Händen der Einbrecher, so dass sich der gesamte immaterielle Schaden nur schwer abschätzen lässt.

Samstag, 2. April, 14.12 Uhr

Dem Politiker ist nur zu bewusst, dass die “Netzgemeinde” sich über seine Person praktisch seit Amtsübernahme genüsslich belustigt. Man spricht summa summarum von einem ungelenken Elefanten und viel virtuellem Porzellan. Er findet das – verkürzt – nicht gut. Ein weiterer Sekretär empfiehlt ihm daher die Durchsicht einer EU-Richtlinie. Der Politiker stellt nach der Lektüre fest, dass Mindestdatenspeicherung zwar nicht gut, jedoch immer noch besser als Quick Freeze oder Vorratsdaten klinge; letztendlich dürfe man sich bei einem so gewichtigen Thema wie Sicherheit eh nicht von plakativen Namen blenden lassen, sondern sollte sich auf das Wesentliche konzentrieren. Vor allem letzteres sagt er jedem.

Mitarbeiter der Firma Schneider und Schwarz kaufen bei einem Computerhändler für mehrere Tausend Euro Ersatzgeräte. Der Händler befürchtet ob des Umfangs der Bestellung Opfer eines Techie-Streichs geworden zu sein und vermutet sich demnächst auf Youtube. Seine 1,2 Mio Clicks Berühmtheit bleiben aus.

Samstag, 2. April, 19.43 Uhr

Der Politiker isst zu Abend. Es gibt falschen Hasen serviert auf weißblauen Tellern. Während er sich mental auf den Fernsehfilm rund um den Mord an einem Feinkostkönig vorbereitet, fragt er sich, warum ihm beim Verzehr der Sättigungsbeilage Spitzkohl seit Neuestem nicht nur Helmut, sondern auch der Name Malte durch den Kopf geistert.

Ein Mitarbeiter der Firma Schneider und Schwarz aktiviert eine Art Schutzprogramm, das im Falle eines Diebstahls “nach Hause telefoniert”. Viel Hoffnung macht man sich allerdings nicht. Unterdessen wird das Büro wieder bedingt einsatzfähig, die neuen Rechner eingerichtet. Es kehrt etwas Ruhe ein. So auch bei der Polizei, die ihre Ermittlungen am Montag aufnehmen will.

Sonntag, 3. April, 12.34 Uhr

Der Politiker googelt in diesem Internet die Begriffe “Malte” und “Spitzkohl”. Nach einiger Zeit stößt er auf einen Zeit-Artikel und fragt sich, ob es normal sei, als Politiker der Grünen so wenig zu reisen. Er überlegt, Oswald Metzger zur Klärung der Frage zu Rate zu ziehen, will dieser Zerstreuung dann aber doch nicht nachgehen.

Auf Ebay Kleinanzeigen tauchen unterdessen im Großraum Berlin erste Angebote für “kaum gebrauchte” iMacs auf. Dort werden einige 27”-Modelle zum Preis von 500 € feilgeboten.

Sonntag, 3. April, 22.12 Uhr

Der Politiker bereitet sich auf den 23. Bundeskongress der Berliner Polizeigewerkschaft vor. Er soll eine Rede halten. Vor dem Spiegel versucht er, das Wort Bundestrojaner möglichst fehlerfrei auszusprechen. Das “R” bereitet im fortwährend Probleme.

Das Sicherheitsprogramm beginnt tatsächlich Daten zu übermitteln, die Mitarbeiter der Firma Schneider und Schwarz werden zeitnah alarmiert. Die übermittelten Daten bestehen aus einem durch die Kamera des iMacs erzeugten Bild des vermeintlichen Täters (in Unterhosen), einem Screenshot, der darauf hindeutet, dass dieser just dabei ist, das Betriebssystem neu aufzusetzen, der IP-Adresse, dem Namen des angemeldeten WLANs und der ungefähren Position des Rechners garniert mit einer Google Map. Diese Daten übermittelt die Firma der Polizei, die verspricht zu handeln – heute jedoch nicht mehr.

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Montag, 4. April, 15.35 Uhr

Der Politiker erntet für seinen Vorschlag hinsichtlich der erweiterten Vorratsdatenspeicherung Kritik des eigenen Koalitionspartners. Dieser untermauert seine Stellung und nimmt die Ermittlungsbehörden in die Pflicht. Jene sollten "sich daran gewöhnen, schnell und konsequent zu arbeiten und nicht auf Datenfriedhöfen zu suchen".

Die Polizei bricht ihre Ermittlungen basierend auf den Geodaten ab. Man lässt sich von dem Umstand irritieren, dass Google Maps eine Hausnummer anzeigt, die nicht zwangsläufig den Geodaten entspricht. Anstatt in den Häusern in der Nähe der angezeigten Lokation (dem Pin) zu fahnden, beschränkt man sich auf die von Google generierte Hausnummer (häufig die erste im Block). Dort findet man eine Anwaltskanzlei vor, die zur Überraschung der Beamten einen Durchsuchungsbefehl fordert. Im weiteren werde sich deshalb ein “Spezialteam” mit der Adressermittlung beschäftigen, so verspricht man der Firma Schneider und Schwarz. Dessen Einsatz hänge aber stark von der Mitarbeit des Providers ab, der den zur IP-Adresse gehörenden Anschluss frühestens am Donnerstag herausgeben würde. Durch die Blume empfiehlt man den Einbruchsopfern, die richtige Adresse doch selbst zu ermitteln, da die Polizei “nicht alles leisten könne, was technisch möglich sei”.

Dienstag, 5. April, 9.38 Uhr

Beim Frühstück denkt der Politiker an Ausländer im Allgemeinen und Nordafrikaner im Speziellen, ein Thema direkt aus seinem Wahlkreis, das ebenfalls irgendwie mit Sperren zu tun hat. Hier vermutet er im Hinblick auf die letzten Tage Synergieeffekte für sein alltägliches Arbeiten.

In Kreuzberg gibt es mittags ebenfalls Kaiserschmarrn.

Donnerstag, 7. April, 12. 45 Uhr

Da die Italiener nicht erst seit der Niederlage des FC Bayern München einen Denkzettel verdient haben, kommt der Politiker zu dem Schluss, dass es nur recht und billig sei, ihnen zu empfehlen, sich auch einmal selbst um ihre Ferieninseln zu kümmern. Die Idee scheint gut, die Welt schon bald bereit. Die Medien sind es größtenteils nicht.

In Berlin schafft es das “Spezialteam” unterdessen, den ersten Verdächtigen, dessen Daten die Polizei seit inzwischen 5 Tagen besitzt, in Gewahrsam zu nehmen. Der Mann gibt an, nicht Teil einer Bande zu sein, sondern den iMac bereits am Sonntag zu einem unschlagbaren Schnäppchenpreis via Ebay Kleinanzeigen erstanden zu haben. Die Firmendaten auf dem Rechner hätten ihn nicht weiter irritiert, auch nicht während er zu Testzwecken Bilder von Mitarbeitern der Firma Schneider und Schwarz an seine eigene Email-Adresse schickte. Aus Gründen kooperiert er vorbildlich und liefert der Polizei Adresse und Telefonnummer des Verkäufers. Dort will man am Freitag vorstellig werden.

Freitag, 8. April, 10.01 Uhr

“Ob Sulfur oder Safran, Hauptsache Multikulti”, denkt der Politiker. Nicht. Er hat ob der erneuten Kritik an seinem öffentlichen Auftreten keine Lust mehr. Heute gibt es deshalb Currywurst-Pommes, rot-weiß, gut-deutsch. Sein Sekretariat und ein arbeitsloser Ex-Kollege sind ebenfalls eingeladen.

In der zweiten Wohnung finden sich keine weiteren Rechner. Die Polizei schließt ihre Ermittlungen daher mehr oder minder ab. Immerhin kann man als Ergebnis aus einer Woche Ermittlungsarbeit einen von elf Rechnern, keinen Mac Mini, keine Xbox und eineinhalb Tatverdächtige vorweisen. Die Mitarbeiter der Firma Schneider und Schwarz stoßen auf diesen Fahndungserfolg an – weiche Alkoholika werden geflissentlich übersprungen.

Der digitale Beamte ist derweil unaufhaltsam auf dem Vormarsch. Montag geht es weiter.

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Dies ist ein semifiktives Logbuch, dessen dokumentarischer Anteil sich auf mediale Ereignisse sowie die Erfahrungen eines Bekannten stützt. Aus offensichtlichen Gründen sind die im Logbuch enthaltenen Namen erdacht. Auch die zur Schau gestellten Bilder zeigen weder einen Tatverdächtigen noch dessen vermeintlichen Aufenthaltsort.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jan Jasper Kosok

Online-Chef

Jan Jasper Kosok studierte Wirtschaftswissenschaften in Berlin, verdingte sich im Nachtleben und gründete 2007 mit Teresa Bücker das Blog Knicken // Plakative Platzierungen, welches sich mit Musik und Popkultur beschäftigte. 2009 kam er zum Freitag, um beim Aufbau des Webauftrittes zu helfen. Seit 2011 ist er verantwortlicher Redakteur für Online und Community und hat seitdem mehrere Relaunches begleitet. Er beschäftigt sich mit den sozialen Auswirkungen von zu hohem Internetkonsum und fürchtet sich davor, nicht verhindern zu können, ein alter weißer Mann zu werden.

Jan Jasper Kosok

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