Schluckspecht Bert Brecht

Wodka Der „Blaue Vogel“ war ein legendärer Berliner Ort: Hier hat Brecht sich ausgiebig inspiriert und kaputtgesoffen. Die Forschung will davon bis heute nicht viel wissen
Ausgabe 06/2020

Wer heute mit Michael Bienerts bildgeschmücktem Brechts Berlin (erschienen 2018) durch die Hauptstadt zieht, um sich die „Literarischen Schauplätze“ des Dichters in ihrem „ganzen Facettenreichtum vor Augen“ zu führen, der muss an einer entscheidenden Stelle die Augen schließen: So kann er sich, in der Goltzstraße, den „Blauen Vogel“ immerhin vorstellen. Zwar ist das Haus seiner Residenz zerstört, als literarischer Ort jedoch hätte er unbedingt dazugehört: als Erinnerung an das russische Exil-Kabarett. Die sogenannten Berliner Russen betrieben, besuchten und feierten ihre „Sinjaja Ptica“ ab dem 20. Dezember 1921. Dies waren die Angehörigen der ehemals zaristischen Ober- und Mittelschicht, Vertreter der gebildeten und einst wohlhabenden Kreise, die vor der Revolution geflohen waren und hier als Heimatlose ihr Heimweh kultivierten.

Als Brecht im November 1921 seine zweite Reise in die Reichshauptstadt unternahm, hatte sich in ihrem Westen eine Kolonie mit Namen Charlottengrad mit etwa 100.000 Einwohnern ausgebreitet, die bis 1923 auf 300.000 Menschen anwachsen sollte. Als Hauptverkehrsader verband der Nöpskij-Prospekt, früher bekannt als Ku’damm, die neue russische Kleinstadt mit dem Bahnhof Zoo sowie mit den russischen Teilen von Wilmersdorf und Schöneberg. Über ihr Pflaster rüttelten die Russenschaukeln, ehemals Busse genannt. In der Brandenburger Straße kehrte man im Gasthaus Strelna ein, um zusammen mit dem „Zigeunerchor“ des russischen Fürsten Golicyn die Soljanka zu schlürfen. Den Lesestoff beschaffte man sich in der Buchhandlung Rodina, trank den Kaffee schwarz mit Wodka im Moskawa und aß zu Abend im Restaurant Medwed. Vorausgesetzt, man hatte Geld; und das hatten vor allem die altgedienten Militärs nicht, die zaristischen Generäle und Obersten, die in den Untergeschossen der russischen Gasthäuser als Köche oder Tellerwäscher arbeiteten und froh waren, wenn für sie ausreichend Essensreste abfielen, ehe sie in den Hinterhöfen von Charlottengrad ihre kalten Lager aufsuchten.

Echtester Kitsch

Ging man im Westen spazieren, flimmerte es vor den Augen vor lauter Aushängen, Vitrinen, Plakaten und Reklamen auf Russisch, berichtet ein Zeitgenosse. An den Zeitungskiosken prangten russische Zeitungen und Zeitschriften. Die friedliche Eroberung des Nachkriegsberlin, als die alten Gesetze nicht mehr galten und die der neuen Republik noch nicht griffen, fand geräuschlos statt. Berlins Westen um die Gedächtniskirche war so russisch geworden, dass 1922 in Wien erzählt wurde, ein bekannter deutscher Theatermann sei deshalb aufs Land gezogen, „weil er nicht genug Russisch verstehe, um in Berlin leben zu können“ (Neues 8-Uhr-Blatt, Wien, 2. Dezember 1922). Den meisten Berlinern waren die Russen schnurzpiepe; sie gewöhnten sich an sie und blieben zu ihnen auf Distanz.

Und was machte der vorläufig über den Jahreswechsel 1921/22 Zugereiste aus dem bayrischen Schwaben? Er stieg frierend und hungernd aus seiner Kellerlogis in der Ziethenstraße (Neukölln, heute Werbellinstraße) und begab sich dorthin, wohin sich brave Deutsche nicht verirren konnten, nach Schöneberg, in den Hinterhof der Goltzstraße 9. Er fläzte sich dort in einen Sessel des kleinen Gewölbesaals, stieß Rauchwolken aus in die dicke Luft, soff gefuselten Wodka, führte schöne Gespräche unter Männern, kaute an trockenen, aus Milchresten zusammengepappten Syrniki und ergötzte sich am bunten Treiben der Puppenbühne: der „Blaue Vogel“, ein Mahagonny im Kleinformat, prächtig geschmückt mit russischer Folklore und herzzerreißenden Gesängen. War das nicht sein Theater? Man musste nur den östlichen Schmelz durch amerikanischen ersetzen und alles mit Geld groß aufmotzen: „Schöner grüner Mond von Mahagonny, leuchte uns.“

Das Kabarett „Der blaue Vogel“ residierte im Gustav-Behrens-Theater, einem ehemaligen Kino (Kammer-Lichtspiele), und war zu erreichen über den Hofeingang der Goltzstraße 9. Die beengten Räume wiesen zwei Ränge mit Logen auf, verfügten über 200 Plätze im Parkett und empfingen die Gäste im „russischen Zimmer“. Dieses Foyer war ausgestattet mit „echt russischen“ Birkenmöbeln, auf den Vitrinen standen die Figuren aus dem Repertoire, an den Wänden prangten die knallig farbigen Bilderbögen russischer Landschaften, russischen Himmels, türkisgrün, kobaltblau und gelbrot. Der Direktor Jascha Jushny, einst umjubelter Charakterdarsteller des Stanislawski-Theaters in Moskau, betrieb die „Mosaikbühne“, wie er sagte, mit „geformter Improvisation“ so, als ob er Russland wie einen „Wodka-Umtrunk zu Balalaikaklängen unter Birken“ an die Spree versetzt hätte, und er hatte ungeahnten Erfolg – auch bei Deutschen, bei Intellektuellen und Künstlern und auch beim Provinzler aus Augsburg.

Hier versammelten sich Marcellus Schiffer von der „Wilden Bühne“ und seine Ehefrau Margo Lion, die legendäre Diseuse aus Paris, und empfahlen das Ganze wohlwollend als „echtesten Kitsch“. Elsa Lasker-Schüler meinte, das sei das „Herrlichste, was man hier in der Welt sehen kann“. Alfred Polgar, der Dichter der Wiener Moderne, schwärmte von einer „mit allem geistigen Comfort der Neuzeit ausgestatteten Puppenstube“: „Das Ewig-Kindliche zieht uns hinan.“ Siegfried Jacobsohn, der Herausgeber der Weltbühne, versank dort in „Träumen“, „um die häßlich graue, unbeschwingte, lähmend nüchterne Gegenwart zu vergessen“. Kurt Tucholsky verewigte die Kleinkunstbühne noch 1927, als sie mit ihren Gastspielen längst europäisch geworden war, in einer satirischen Revue. Hier verirrt sich das deutschnationale Spießerpaar Wendriner ins Volksleben nach Schöneberg, und die Frau fragt: „Russisch? Kann ich nicht mehr sehen. Pass auf, sie werden die Köpfe durch eine Dekoration stecken und ‚An der Wolga‘ singen ... das kennt man doch.“

Angespielt ist auf die beiden berühmtesten Szenen des „Blauen Vogels“, auf Wanka-Tanka und Burlaki. In der ersten Szene trällern vor einer gemalten Dorfkulisse en miniature zwei Püppchen mit lebenden Köpfen und Händen von mythischen Rusalken. Die zweite spielt das Gemälde Wolgatreidler von Ilja Repin (1873) nach: Die Treidler (Sträflinge) ziehen an einem über den Bühnenrahmen ins Unendliche gespanntem Tau und besingen inbrünstig ihr schweres Los. Alfred Polgar notierte ergriffen: Das Bühnenbild, ein „flammend gelbroter Himmel über Flußlandschaft, bewirkte, daß den Zuschauern selbst der Vortrag eines so simplen Liedchens wie der ,Wolgaschlepper‘ als aufregendes, nie gehörtes Erlebnis in Erinnerung blieb“.

Schon ein Jahr nach Eröffnung war „Der blaue Vogel“ in Europa so bekannt, dass er einen Ausflug nach Wien ans Kammertheater unternehmen konnte. Da die Österreicher blumiger zu rühmen wussten als ihre deutschen Kollegen, sei hier Hermann Bessemers Rezension vom 1. Dezember 1922 aus den Wiener Neuesten Nachrichten zitiert: „Denn die wahre Brücke zwischen der deutschen Zuhörerschaft und den russischen Volkssängern, Volksmusikanten auf der Bühne und im Orchester schlägt die russische Melodie, die zu jedem musikalischen Herzen mit der Unmittelbarkeit eines Naturereignisses spricht; die Brücke schlägt die großartige barbarische Farbenpracht von Kostümen, stilisierten russischen Volkstrachten, die wie Sonnenblumen prahlen, wie Raketen in die Soffitten und ins Parkett zischen und das Auge zu unbezwinglicher Fröhlichkeit berücken: Zauber des Primitiven!“

Er war ein gewaltiger Säufer

Brecht gehörte mit zu den ersten Besuchern des „Blauen Vogels“. Mit diesem Namen, nicht aber mit den Vorurteilen über angeblich unerbittlich wodkasaufende Russen, verbindet sich Brechts körperliche Leidensgeschichte. Sie blieb, obwohl öffentlich greifbar und angeboten, bisher unbekannt und wurde, wie in der deutschen Geistesgeschichte üblich, entweder neurotisch („Herzneurose“) oder als vom Schicksal auferlegte Infektion („rheumatisches Fieber“) geoutet. Nach diesen Deutungen, die von den Werken – Dichtung ist „subjektiver Ausdruck“ – auf die „Befindlichkeiten“ des Autors schließen, muss der junge Brecht ein gewaltiger Säufer gewesen sein, was seine „männlich“ aufgemotzten Verse wie etwa im Lied Aus verblichenen Jugendbriefen zu belegen vorgeben: „Braunen Sherry in den Bäuchen / Und im Arme noch das Säuchen / Das uns nachts die Eier schliff. / Zwischen Weiden tat ein jeder / In den morgenroten Äther / Einen ungeheuren Schiff.“ Ja, den „Schiff“ tat der Brecht dann nochmals analog, ziemlich faktisch und schmerzhaft: „Letzte Tage des Januar“ 1922, so steht im Tagebuch: „Plötzlich schiffe ich Blut. Ich versuche zwar noch, auf großem Fuße weiterzuleben, gehe mit Klabund, Hedda und Bronnen in den ,Blauen Vogel‘, aber dann kommen deutlichste Winke meines Unterleibs. Ich liege zwei Tage allein in meinem kalten Loch.“ Die weiteren Umstände sind bekannt: Brecht kam mithilfe von Hedda Kuhns Verlobtem vier Wochen in der Charité unter und wurde kostenlos behandelt. Die Diagnose: „Pyelonephritis“, eine Nierenentzündung, die als „Urosepsis“ den gesamten Körper verseuchen und zum Tod führen kann. Verordnet war von da an striktes Verbot von Alkohol, außer Bier.

Als eine Ursache für Brechts Nierenschädigung lässt sich festhalten, dass in der Zeit zwischen 1916 und 1923 Alkohol leichter zu bekommen war als ordentliches Essen. Ab dem Winter 1916/17 waren im angeblich vom Krieg verschonten Deutschland (offiziell) 425.000 Zivilisten, vor allem Kinder und Frauen, vor Hunger gestorben. Der „Blaue Vogel“ könnte mariginal bleiben, wenn Brecht ihn nicht geradezu sprichwörtlich mit übermäßigem Alkoholkonsum verbunden hätte. In den Notizen zum Fragment gebliebenen Galgei-Stück (aus dem 1925 Mann ist Mann wurde) heißt es unvermittelt, dass einer der Saufkumpanen aus dem KK (Klub Kabarett) „ein Maul“ ziehe, „als habe er seinen eigenen Brandy im ,Blauen Vogel‘ gesoffen“. Der „Blaue Vogel“ war also 1924, in Augsburg, dem Schauplatz des Fragments, heimisch geworden (der Brandy war dem Lokalkolorit geschuldet).

Merkwürdig, dass die Brecht-Forschung und mit ihr seine Nachgeborenen mit aufwendig herbeigedeuteten Krankheiten beziehungsweise psychischen „Macken“ des Dichters weiterhin hausieren gehen. Diffuse und halb verstandene Morbiditäten, die angeblich die „dichterische Einbildungskraft“ lenken, scheinen nach wie vor mehr Aufmerksamkeit zu versprechen als naheliegende Erklärungen, die Literatur und „Leben“ nicht miteinander verwechseln. So erging es schon Gottfried Benn mit seinen Morgue-Gedichten 1912, als ihm die Presse empfahl, einen Irrenarzt aufzusuchen, während sich die Deutschen gleichzeitig von echten Psychopathen in den Weltkrieg werfen ließen. Oder Franz Kafka, dessen scheinbar unergründliche Schilderungen der sozialen Abgründe auf die Minderwertigkeitsgefühle und Angstneurosen des Urhebers zurückgeführt wurden, wo sie doch realiter die Psychopathologie seiner patriarchalisch-kriegsgesteuerten Gesellschaft beschrieben.

Nierenentzündung

Brechts Nierenentzündung zog sich im Gegensatz zu seinen Herzbeschwerden kontinuierlich und äußerst schmerzvoll durch sein Leben. Die sozial bedingte körperliche Schädigung wurde offenbar nie richtig behandelt. 1922 wäre das noch nicht möglich gewesen, später, in den 50ern, blieb die Behandlung aus, obwohl Antibiotika längst medizinisch einsetzbar waren und obwohl Brechts physischer Verfall im Laufe seines letzten Jahres immer sichtbarer wurde. Käthe Rülicke notierte am 10. August 1956: „Wie viele Kollegen war ich erschrocken über Brechts krankes Aussehen. Er sprach mit leiser Stimme, die kaum bis zur Bühne drang, und verließ die Probe.“ Noch in dieser Woche wollte Brecht sich verzweifelt in die Behandlung des Heilpraktikers Johannes Ludwig Schmitt begeben, des „Spezialisten“ für „Atemmassage, Homöopathie und Kräutermedizin“, den er Ende der 20er bereits ergebnislos konsultiert hatte. Die Reise nach München war fest geplant. Der angebliche Herzinfarkt, der noch immer als offizielle Todesursache gilt (und beliebig einzusetzen ist, wie wir aus Krimis wissen), verhinderte sie quasi in letzter Minute.

Brecht können nicht nur der Alkohol und die illustren Gäste des Kabaretts angezogen haben. Es muss auch Jascha Jushnys und seiner Truppe Vorliebe für das Gemachte, wenn man will: Gekünstelte, die Maskierungen der Figuren, das Überspielen der Rampe, die Einbeziehung des Publikums, das mitsingen durfte, sowie die alles miteinander vernetzende Musik gewesen sein, was ihn alles beeindruckt hat. Er war in die Metropole gekommen, um sich auf den „Stand der Zeit“ zu bringen. Er sog alles ein, wie es seine Tagebuch-Notizen belegen, was zu haben war: die Ausstellungen der Kunst-Avantgarde in der Berliner Secession und in der Galerie von Paul Cassirer, die Revuen in der Scala, die Filme (nicht nur) Chaplins im Apollo et cetera – und eben auch die Folklore im „Blauen Vogel“, dessen Musik unter die Haut ging und dem Songpoeten Anregungen zu Kompositionen bot.

Da der „Blaue Vogel“ in der Brecht-Forschung keine Rolle spielte, selbst in den ausgiebigen Kommentaren der neuen Ausgabe der Notizbücher nicht, konnte übersehen werden, dass Brechts Szene 3, „Der Stein“, in der Maßnahme (1930) ganz nach dem Muster von Jushnys Burlaki arrangiert ist: Da ist das Seil, an dem die Reiskahnschlepper ziehen, da ist der unsichtbare, schwere Kahn, da ist der eindringliche Gesang ihrer Erniedrigung. Im Lehrstück (1929) konfrontiert die Clownsszene zwei puppenhafte Klein-Augusts mit dem überlebensgroßen Bürger Herrn Schmitt, die diesem die extrem verlängerten Extremitäten absägen und den aufgetriebenen Wasser-Geist-Kopf aufschrauben, um zu demonstrieren, wie leer er ist. Dieses Zwischenspiel löste bekanntlich den Skandal von Baden-Baden aus, der das internationale Kammermusikfest im Nobelkurort für immer erledigte. Die Vor- und Zwischenspiele „in den höheren Regionen“ des Schweyk (1943) lassen „Hitler, Göring, Goebbels und Himmler“ als Puppen auftreten, um deren hybride Ansprüche der Lächerlichkeit preiszugeben: „Alle sind überlebensgroß außer Goebbels, der überlebensklein ist.“ Oder, um noch ein Beispiel aus den 50ern zu nennen, in Turandot oder Der Kongreß der Weißwäscher erfreuen sich die abgeschlagenen Köpfe der in jeder Hinsicht impotenten Freier, aufgesteckt auf die Mauer des Palastes, endlich ihrer geistigen Freiheit in ausgiebig metaphysischen Debatten.

Es gäbe mehr anzuzeigen. Die Frage jedoch wird langsam akut, warum diese, für Brecht scheinbar skandalösen Connections zu den russischen Folkloristen bis Reaktionären bis heute nicht bekannt sind, oder formuliere ich genauer: nicht bekannt werden sollen. Noch 1925 publizierte Brecht an prominentem Ort, in der 100. Nummer des Kunstblatts von Paul Westheim, zusammen mit Ilja Ehrenburg den blutrünstigen Gesang der Soldaten der roten Armee, mit dem die raubenden und mordenden Horden von Lenins Revolutionsarmee „der roten, unmenschlichen Fahne“ nachziehen, einen Gesang, der 1927 mit Noten nochmals die erfolgreiche Hauspostille zierte, um dann klammheimlich zu verschwinden und verschwunden zu bleiben: Bis heute unterschlägt die Einzelausgabe der Sammlung im Suhrkamp Taschenbuch Nr. 3041 (17. Auflage seit 1999) das in den 20ern populäre Lied des „linken“ Poeten.

Sie wickeln ihn ab

Die ehemalige DDR machte es vor, wenn sie Brechts gesamtes Werk in der Weimarer Republik zur chaotisch-lavierenden Vorstufe eines „reifen“ BB degradierte, der auf der Suche nach der „richtigen Weltanschauung“, sollte heißen: nach einem nicht genauer definierten Partei-Kommunismus gewesen sein soll. Die vereinigte Bundesrepublik setzt diese Tendenz aktuell fort, wenn sie Brecht mit dem DDR-Sozialismus erledigt wähnt, indem sie ihn zum letzten Vertreter eines orthodoxen Nostalgie-Sozialismus stilisiert, wie zuletzt dokumentiert durch Christopher Rüping mit seiner Inszenierung von Trommeln in der Nacht NACH Brecht als „Revolutionsdrama“ (2020 noch auf dem Spielplan der Münchner Kammerspiele); oder das Brechtfestival Augsburg 2020 (ab 14. Februar), das unter dem Motto „Er ist vernünftig, jeder versteht ihn“ antritt, ein Motto, das zwar mit seinen Personalpronomina „Brecht“ meint, jedoch den Eingangsvers von Lob des Kommunismus zitiert (und diesen Bezug offenbar nicht kennt).

Dies alles steht in einer Tradition, wie sie etwa die aufwendige DDR-Publikation Berliner Begegnungen. Ausländische Künstler in Berlin 1918 bis 1933 von 1987 (Dietz) dokumentiert: Sie kennt Jushnys Theater nur in der Reproduktion einer Zeitungsseite von 1924 (ohne weiteren Text) unter dem Titel „Moskauer Theatergäste. Russische Oper und andere“ (S. 134) und tut so, als wäre L’oiseau bleu, maskiert als „russische Oper“ nach Maurice Maeterlincks gleichnamigem Stück (uraufgeführt 1908 in Moskau), direkt aus Russland über alle historischen Ereignisse hinweg nach Berlin geflattert und habe sich dort vorübergehend als schönes Objekt interesseloser Anschauung niedergelassen.

Jan Knopf ist Leiter der Arbeitsstelle Bertolt Brecht (ABB) am Karlsruher Institut für Technologie

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