Was soll denn passiert sein“, fragt die Frau. „Ach ja, ich weiß, mein Mann hat es mir gesagt: In Bukarest haben sie den Präsidenten suspendiert.“ Wir stehen auf dem mehr schlecht als recht gepflasterten Hof, nahe beim Fluss, der bis vor zwei Jahren, als die Gemeinde endlich die Abfallbeseitigung geregelt hat, noch die wilde Mülldeponie des Dorfes war. „Von der Politik bekommen wir nur wenig mit“, sagt die Frau, „das letzte Mal, als man Ceausescu gestürzt hat.“
Maneciu in den Südkarpaten. Die rumänische Hauptstadt ist nur 120 Kilometer entfernt. Aber in den Erzählungen der 60-Jährigen liegt Bukarest in einer anderen Welt. Die Hühner flattern auseinander, es riecht nach Schweinestall. Die Familie wohnt in zwei bescheidenen Häusern, die Eltern, der Sohn, die Tochter mit ihrem Mann und zwei Kindern. „Nach zehn Stunden Arbeit am Tag“, die Frau zeigt auf den Webstuhl im niedrigen Wohnzimmer, „für sechs Millionen Lei im Monat schlafe ich abends vorm Fernseher ein.“ Sechs Millionen alte Lei sind 130 Euro.
Während sie uns stolz die gut 50 Gläser mit Konfitüre zeigt, selbst gemacht und zum Verkauf bestimmt, erzählt sie vom Schwager, der bei den Lokalwahlen, Anfang Juni, zu krank war, um wählen zu gehen. Der behandelnde Arzt schickte daraufhin den örtlichen Wahlvorstand mit der Urne ins Haus, nicht ohne dem Patienten einzuschärfen, für wen er zu stimmen habe.
Das Skandalon der rumänischen Politik besteht nicht in der Suspendierung des Staatspräsidenten Traian Basescu am 6. Juli 2012. Das Skandalon besteht darin, dass die politische Klasse in Bukarest das rumänische Volk suspendiert hat – in den Tagen der Revolution von 1989.
Terror von oben
Der angeblichen Revolution, die ein Staatsstreich war, mit dem sich Teile von Securitate und Nomenklatur ihre Pfründe sichern wollten. Ceausescu wurde von seinem Apparat gestürzt (wenn man von der „brüderlichen Hilfe“ durch Gorbatschows KGB absieht). Dafür, dass es zu den Tausend Toten dieser Dezembertage nicht vor, sondern nach Ceausescus Verhaftung kam, zeichnet Ion Iliescu verantwortlich, ehemaliges Mitglied des Zentralkomitees, heutiger Ehrenpräsident der Partei von Ministerpräsident Victor Pontas und für seine Taten nie belangt.
Auch nach dem Umsturz ging Iliescu nicht zimperlich vor. Als antikommunistische Studenten und Intellektuelle wochenlang den Universitätsplatz besetzt hielten, ließ er aufgehetzte Bergarbeiter herankarren, um die Hauptstadt von den „Banditen“ säubern zu lassen – es kam zu Schwerverletzten und Toten. Mit dem Terror wurde der Zivilgesellschaft eine Lektion erteilt; ihre bis heute anhaltende Schwäche geht nicht zuletzt auf die blutigen Ereignisse im Juni 1990 zurück.
Erstaunlicher Reichtum
Iliescu gab dem Land eine konfuse Verfassung, die weder ein Präsidialsystem noch eine reine parlamentarische Demokratie festschreibt, Konflikte sind programmiert. Das hatte Methode: Einklagbare, von stabilen Institutionen vertretene demokratische Regeln stehen einer obskuren Geldherrschaft, die damals an die Macht kam, nur im Weg. Einer der mächtigsten rumänischen Oligarchen ist der Geschäftsmann und TV-Mogul Dan Voiculescu. Vor 1989 arbeitete er als Direktor einer Bukarester Filiale des zypriotischen Unternehmens CRESCENT, dem bevorzugten Handelspartner der Securitatefirma ICE Dunarea, die einen jährlichen Profit von fünf Millionen Dollar erwirtschaftete. Entweder sei CRESCENT ein rumänisches Unternehmen gewesen, meint der Securitate-Forscher Marius Oprea, oder Dan Voiculescu habe direkten Zugang zum Diktator besessen.
Jedenfalls ist der Mann, nur kurz nach der Revolution, erstaunlich reich. Ob er sich in den Besitz eines Teils der Millionen gebracht hat, die bei Valutageschäften für Ceausescus Privatkonten abgezweigt wurden, gehört in den Bereich der Spekulation – dass er aber unter dem Decknamen „Felix“ der Securitate zuarbeitete, ist gerichtskundig. Während in den Folgejahren Milliarden und Abermilliarden öffentlicher Gelder in dunklen Kanälen verschwanden, machte Voiculescus Firmen-Imperium seinen Schnitt.
Kurz nach Antritt der Regierung Ponta, an der auch seine Konservative Partei beteiligt ist, verkündete Voiculescu im Mai 2012 höchstpersönlich im eigenen Fernsehsender, die Absetzung Basescus innerhalb von 60 Tagen. Am Ende waren es 59.
Kalte Füße
Und noch eine andere Geschichte gehört dazu: Ende Juni gab Voiculescu seinen Senatsposten auf, angeblich aus Protest gegen die Weigerung der zuständigen Parlamentskommission, das Strafmaß für Steuerflüchtlinge zu erhöhen. Die dreiste Behauptung ist typisch für die absurde Verdrehung der Wahrheit auf Voiculescus Propagandasender. Tatsächlich hat er kalte Füße bekommen. Im Prozess um ein Grundstücksgeschäft, bei dem der Kaufpreis um das Siebzigfache unter dem Marktwert lag, scheint seine Verurteilung wahrscheinlich zu sein – zumal die Justiz nicht mehr davor zurückschreckt, auch mächtige Männer hinter Schloss und Riegel zu bringen, wie Pontas politischen Ziehvater, den Ex-Premier Adrian Nastase. Mit Voiculescus Rücktritt, gerade noch rechtzeitig im Amtsblatt veröffentlicht, das sich die Regierung am Abend zuvor unterstellt hatte, geht das Verfahren gegen ihn auf einen anderen Gerichtshof über. Für den Angeklagten bedeutet das Zeitgewinn, wenn nicht sogar die Verjährung der Straftat.
Auch Traian Basescu ist kein Unschuldsengel. Der ehemalige Kapitän, als „Mann aus der Vorstadt mit Vision eine rare politische Mischung“, wie der Publizist Andrei Cornea formuliert, neigt zu groben Worten und autoritärem Verhalten. In der Vergangenheit hat auch er „Reformen“ durchführen lassen, die gegen demokratische Regeln verstießen und in die Institutionen des Staates eingriffen, um seine Macht zu konsolidieren. Seine Partei PDL (Liberaldemokraten) besetzte alle verfügbaren Posten mit eigenen Leuten und erwies sich in ihrer Regierungszeit als korrupte, Pontas Parteienbündnis USL ebenbürtige Clique.
So weit wie die jetzige Regierung ging der Staatspräsident aber nie. Mehr als das: Er ließ der Justiz freie Hand, nicht zuletzt der Antikorruptionsbehörde (DNA), wie deren von Brüssel hochgelobter Chef, Daniel Morar, bestätigt: „Bisher war es so, dass Präsident Basescu sich gegenüber unserer Behörde absolut korrekt verhalten hat.“ Nach den neuen Machthabern gefragt, antwortet er lakonisch: „Wenn der Abgeordnete Corleatan verlangt, bei einer Verurteilung Nastases müssten die Staatsanwälte verhaftet werden, die für die Anklage zuständig waren, bereitet uns das Unbehagen.“ Corleatan ist inzwischen Justizminister.
Was sich in diesen Tagen in Bukarest ereignet, ist keine politische Fehde. Schon die Wortwahl spricht Bände: Basescu kämpfe um sein Leben, erklärt der Premierminister, ohne genauer zu sagen, was er damit meint. Und der interimistische regierende Staatschef Antonescu, angeblich ein Liberaler, in Wahrheit ein Demagoge und Nationalist, sekundiert: „Wir werden uns mit ihnen schlagen wie mit einem Feind, nicht wie mit einem Gegner, und sie politisch vernichten. Wir werden das Land von ihnen befreien.“
Resignation von unten
Es geht um die Macht im Staat – und zwar die ganze. In Wirklichkeit zielen Antonescu und Ponta auf die Justiz. Nastases Verurteilung war ein Alarmsignal. Dass man sie ins Gefängnis schickt, wird die Oligarchie niemals zulassen. Selbst wenn er wollte, könnte Ponta den Forderungen Brüssels nicht nachkommen, er ist Geisel seines Clans. „Die Gesetze Rumäniens werden in Rumänien gemacht“, schimpft Antonescu, womit er sagen will: Wenn wir die Verfassung mit Füßen treten, ist das unsere Sache.
Und das Volk, das man manipuliert und zu Armut verdammt hat, ist nur Stimmvieh. Manchmal trotzt es, dann wird nachgeholfen mit Geld oder Tombolagewinnen, damit es von seinem Stimmrecht Gebrauch macht. Deshalb der Eiertanz um das Quorum beim Referendum über Basescus Zukunft am 29. Juli. Den Machthabern würde es reichen, wenn sie allein ihre Stimme abgeben, den meisten Rumänen eigentlich auch. Der einst geliebte Präsident hat sie mit seinem Sparprogramm enttäuscht, vom Rechtsstaat wissen sie wenig.
Am 29. Juli wird der Arzt in Maneciu den Wahlvorstand vermutlich in viele Häuser schicken müssen.
Jan Koneffke lebt als Schriftsteller in Wien und Bukarest. Sein jüngster, in Rumänien spielender Roman Die sieben Leben des Felix Kannmacher erschien 2011 bei DuMont
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