Ich wär so gerne radikal

Kino Heiß, heiß, heiß: RP Kahl ist in „A Thought of Ecstasy“ fiebrig zumut’, und Filmsex hat er auch
Ausgabe 04/2018

Wenn Michelangelo Antonioni 1970 in der berühmten Liebesszene aus Zabriskie Point junge Männer und Frauen im Death Valley miteinander Sex haben lässt, ist das ein vielschichtiges Bild. Ein Love-in in der Wüste, im alten Staub der vorgesellschaftlichen Welt, mit der Idee, vielleicht noch einmal von vorne anzufangen mit Mann und Frau und Gesellschaft. Wenn RP Kahl sich in A Thought of Ecstasy am gleichen Ort mit einer schönen Frau nackt im Sand wälzt, sieht das merkwürdig aus. Und es reicht wohl, das als Männerfantasie zu lesen, die irgendwie politisch in Ordnung geht.

Kahl spielt in seinem neuen, mit Underground und Golden Age of Porn flirtenden, aber doch vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen koproduzierten Film selbst die Hauptrolle. Er hat einen sehr weißen, recht kurzen, sehr gewöhnlichen Körper, der an außergewöhnlich schönen Frauenkörpern, aber auch im natürlichen Spezialeffekt des Death Valley ziemlich verloren wirkt. Was aber okay ist, denn er spielt Frank Patrick, einen Mann, der sich verloren gehen will.

Eine geheimnisvolle Autorin hat einen Roman mit dem Titel Desert L. A. geschrieben, in dem Frank seine frühere Beziehung nacherzählt findet, weswegen er denkt, dass die Autorin seine frühere Geliebte sein muss, und er sie nun unbedingt wiederfinden will. Jedes flirrende Bild sagt: Er wird scheitern.

Das Ganze spielt in einer unmittelbaren Zukunft, Trumps USA reicht als Dystopie aus, es ist ein Rekordsommer und das Death Valley der heißeste Ort der Welt. Frank fährt mit dem Mietauto die Stationen des Romans ab, dessen Text wird von einer verführerischen Frauenstimme aufgesagt, die Oberflächen flimmern, die Hitze steigt, Trugbilder entstehen, sie haben Shorts und Tank-Tops an. Zwei Frauen, Strippernamen Hope und Destiny, bieten Sex Work für maskierte Herren an, davon gibt es Bilder, die sich mit Wüstenpanoramen abwechseln. Fata Morgana, Delirium, Ekstase. Schnell ist der Mann nicht mehr Herr seiner Sinne.

Peitschenhiebe, nackte Haut

Die Frauenbilder werfen Fragen auf. Die Filmerzählung verkompliziert, was plane Sex-Szenen sein könnten, zu einem Vexierspiel zwischen den Medien und unklaren Autorschaften. Schon mit dem Titel stimmt was nicht: Wie passen der Gedanke und die Ekstase zusammen? Sind die Sex-Szenen, die wir sehen, von den Frauen, die immer eine Kamera dabeihaben, inszeniert? Sind sie von der Romanautorin fabuliert, deren Agentin (Deborah Kara Unger) die raunende Stimme gehört, die uns Desert L. A. vorliest? Sind sie von Frank erinnert, der im Roman auftaucht? Oder werden sie ihm und uns nur von der Hitze vorgegaukelt?

Und ist das alles hinreichend interessant, um der verwüsteten deutschen Senderförderfilmlandschaft erigierte Schwänze und gefesselte Handgelenke und Peitschenhiebe auf nackte Haut und RP Kahl nackt im Death Valley hineinzuschreiben?

Angeblich wurde A Thought Of Ecstasy bei seiner Premiere auf dem Filmfest München „kontrovers diskutiert“, ein Festival-Clip stellt tatsächlich die Frage, ob Sex-Szenen hier eine künstlerische Notwendigkeit erfüllten oder „Aufmerksamkeit um jeden Preis verlangten“. Da ist man gerne bei RP Kahl und seiner erotischen Recherche, wenn sich eine Gesellschaft fast 50 Jahre nach Zabriskie Point, nach sexueller Befreiung und mit dem Selbstbild einer toleranten Gesellschaft 2017 solche Fragen stellt. Und man würde den Film wirklich gerne so lesen, wie er gemeint ist, als transgressiven postfeministischen Fiebertraum, in dem der Mann sich auflösen darf und die Frauen sich dafür interessieren.

Aber dann sieht man wenig mehr als die Verlängerung eines sehr weißen, etwas zu kurzen Männerkörpers in viel zu große Landschaften. Und in eine viel zu reiche Filmgeschichte, in der Unger zwar als Femme-fatale-Besetzungscoup durchgeht, „Film noir“ triggern und Vertigo-Dialogsätze aufsagen darf, in der aber die überscharfen Digitalbilder von Wüste und Sex immer nur mit dem ausdruckslosen Starren des Hauptdarstellers gegengeschnitten und mit schlechtem Englisch kommentiert werden. Am Ende liegt Frank schief zwischen den Rundungen des Dead Valley. Wahrscheinlich träumt er von Radikalität und gleichzeitig von Hollywood. And se heat is killing him.

A Thought of Ecstasy RP Kahl D/USA/CH 2017, 90 Minuten

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