Schöner als Helden

Kino Im Hier nicht ganz da: In Alain Gomis’ „Félicité“ sind die Figuren nur zu Besuch
Ausgabe 40/2017

Eine Bar in Kinshasa. Neonlicht, Auf- und Abtritte der Stammgäste, Betrunkene suchen Streit, ungefragte Männerhände auf Frauenkleidern, es wird geprahlt und abgewiesen (manchmal auch beiseite, für die Kamera). Dann kommt eine Frau herein und ruft: „Warum gibt es hier keine Musik?“ Die Band wacht auf, ein Ton kommt zum anderen, das Durcheinander der Gespräche und Bewegungen wird rhythmisch. Die Sängerin, Félicité, sitzt komplett unbeeindruckt am Rand und wartet, bis der Groove stimmt. Dann steht sie auf und singt. Endlich sind alle still und fangen an zu tanzen. Die Bar ist im Takt, die Trance beginnt, der Film hat eine Heldin.

Félicité, die Zeremonienmeisterin, trägt ihre dicken Cornrows wie eine Dornenkrone, ihr schönes Gesicht ist abweisend „wie ein Panzerwagen“, sagt später jemand, sie sei mutiger, als es gut für sie ist, sagte schon die Mutter. Sie bewegt sich durch Räume, in denen Männerhände sie streifen, Männerschultern sie aus dem Weg rempeln, als gehörte sie nicht da rein.

Félicité, so erfahren wir später, ist schon einmal gestorben und wieder aufgewacht. Nachts ist sie wieder drüben, läuft im weißen Kleid durch viragierte Urwaldbilder, das scheint sie immun zu machen gegen die Widrigkeit ihres Alltags in Kinshasa, gegen die zudringlichen Männer wie die nicht funktionierenden Kühlschränke. Und so entwirft Alain Gomis’ Film, der heißt wie sie, Félicité, mit einfachsten Mitteln einen poetischen Freiraum für seine Heldin, die sich nicht durch die Lebensverhältnisse determinieren lässt.

So scheint es zumindest, bis das Sozialdrama einsetzt. Félicités Teenagersohn hat einen Unfall, operiert wird erst nach Anzahlung, sie muss schnellstmöglich Geld auftreiben. Gelegenheit für alle, ihr ihren unmäßigen Stolz vorzuwerfen, sie zu erniedrigen, ihr endlich ihren Platz zuzuweisen: „Heirate mich, Mama, und dein Leben wird besser.“ Der Freiraum verschwindet, Félicité muss raus, auf die Straße, handgreiflich werden, sich angreifbar machen, verzweifeln, scheitern. Als sie das Geld hat, ist es zu spät, ein Bein ist amputiert, ihr Sohn voller Verachtung.

Jedes Bild ist mehrdeutig

Ein Film von Ken Loach würde hier enden. Aber Félicité hat noch etwas mit uns vor. Er setzt seine ungreifbare Heldin nun vollends auf die Schwelle zwischen Leben und Tod, Tag und Nacht, Wachheit und Traum. Die Trance der Bar, congotronisch von den Kasai Allstars in Gang gesetzt, findet ihr Pendant in surrealen Straßenbildern, über die das Kinshasa Symphony Orchestra mit minderwertigen Instrumenten und kratzigen Resonanzen plötzlich Arvo Pärts Fratres legt, eine Musik, wie aus der Zeit gefallen. Und Félicité bekommt Gesellschaft. Ein Mann mit dem schönen Namen Tabu, ein sanfter Riese mit entschiedener Neigung zum Rausch, der vorgibt, den Kühlschrank zu reparieren und so in ihren Schwellenraum torkelt. „Wir sind schöner als Helden“, sagt er, „wir sind die Wahrheit.“

Das Erstaunliche an Félicité ist, wie konsequent der Film seine Bilder aus sozialen Verhältnissen herausarbeitet und sie gleichzeitig durchgängig ambivalent macht. Die Bar, in der die Sängerin jede Nacht auftritt, ist kein fixes Filmsetting, sondern entsteht erst durch Kamerafahrten und choreografierte Bewegungen, bevor sie durch die Musik einen Sinn bekommt. Die Straße, ein staubiges Nichts aus flexiblen, spontanen und sporadischen Ordnungen, in denen Mini-Business, Beerdigungen, liegen gebliebene Autos, Predigten, schreiend bunte Blumenbouquets und Straßenfeuer einen erregenden Austausch der Zeichen veranstalten, wird durch das Handzeichen eines Polizisten zum Stillstand gebracht oder durch die schwebenden Dreiklänge von Arvo Pärt aus dem Dreck gehoben, durch den als Einziger Tabu schwankt – auf der Suche nach dem nächsten Rausch, mit einem Bier für Félicités Sohn. Wenn dieser sich am Ende nach draußen wagt, nachdem auch er einen Weg gefunden hat, den staubigen Boden der Tatsachen zu verlassen, hüpft die Kamera mit ihm auf die Straße – auf Krücken.

Was Gomis hier macht, ist keine Zupoetisierung eines trostlosen Alltags, keine Verzauberung der Verhältnisse. Jedes Bild beharrt darauf, mehrdeutig gelesen werden zu können. Er öffnet für seine Heldinnen und Helden, denen der Schrott des Westens (der nicht funktionieren wollende Kühlschrank als Running Gag) ins Wohnzimmer gestellt wird, selbstgemachte Schwellenfreiräume, wie die Musik der Kasai Allstars, die „nach Schmieröl und Urwald klingt“ (Gomis). Er insistiert aber darauf, dass DIY auch als Dream it yourself funktioniert. Es ist kein Witz, dass Tabu von Robotern aus kongolesischen Rohstoffen träumt und sich sich selbst als Riesen vorstellt, der von Stern zu Stern springt.

Es gibt einen Artikel in der Verfassung der Demokratischen Republik Kongo (Nr. 15), in dem geschrieben steht: „Du bist auf dich allein gestellt.“ Man könnte mit Superheldinnen-Filmen darauf reagieren über Frauen, aus deren Augen rote Blitze kommen, die die Männer unschädlich machen (das läuft im kongolesischen Fernsehen). Félicité tritt dagegen als Geisterfilm an, in dem die Figuren nur so lange zu Besuch vorbeikommen, wie sie es aushalten. Ihren Namen hat die von Véro Tshanda Beya Mputu mit insistierender Nicht-ganz-da-Präsenz gespielte Hauptfigur von der Mutter erst bekommen, nachdem sie von den Toten wiedergekehrt ist. Er bezeichnet unser Glück, dass sie da ist, und unsere Angst, dass sie wieder verschwindet.

Info

Félicité Alain Gomis FRA/BEL/SEN/D/LBN 2017, 123 Minuten

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