Bundeswehr folgt NS-Praxis bei Panzernamen: Von Natur aus töten
Tiger, Panther, Leopard Deutsche Panzer heißen wie Raubtiere. Aber wer hat’s erfunden? Die Nazis natürlich. Tiger und Panther verkörperten für sie unerbittliches Töten. Die Bundeswehr hat damit scheinbar kein Problem
„Das Raubtier ist die höchste Form des beweglichen Lebens“, schrieb Oswald Spengler 1931
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Wenn die Zoologie Einzug ins Politische hält, dient dies meistens dem Zweck, andere zu erniedrigen oder Eigenes zu überhöhen. Selten aber ist es bloß harmlose Namensgebung. Seit der Krieg in der Ukraine tobt, ist in Deutschland allerorten wieder von einem Tier die Rede, das es hierzulande eigentlich nur im Zoo gibt, vom Leoparden. Gemeint ist der Panzer gleichen Namens, von dem die Bundesregierung jüngst 18 Stück an die Ukraine verkaufte. In den vergangenen Monaten wirkte es zum Teil so, als handele es sich dabei tatsächlich um ebenjene seltenen gefleckten Großkatzen – innerhalb der Bundesregierung herrschte Verwirrung über die genaue Anzahl der vorhandenen Panzer. Die Bestände schienen zwischenzeitlich so unübersichtlich wie die
die der echten Leoparden in freier Wildbahn.Die Irritation ist längst geklärt, Deutschland hat unlängst geliefert. Schon im vergangenen Jahr hatte die Bundesregierung ausgemusterte Gepard-Flakpanzer an die Ukraine geliefert. Jüngst kamen 40 Marder-Schützenpanzer und 18 Kampfpanzer vom Typ Leopard 2A6 hinzu. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius sprach vom Leopard bereits als einem möglichen „Gamechanger“ in diesem Krieg.Schon als deutsche Truppen selbst in jenen Gebieten des östlichen Europas kämpften, in denen derzeit wieder Krieg herrscht, setzten sie große Hoffnungen in „Großkatzen“. Noch im Sommer 1940 hatte die Deutsche Wochenschau die „deutsche Panzerwaffe“ – die Modelle I bis IV des „Panzerkampfwagens“, die noch keine Tiernamen trugen – als überlegen gepriesen. Doch nach dem Angriff auf die Sowjetunion im Sommer 1941 wendete sich das Blatt. Die Wehrmacht war nicht auf einen langen Kampf im russischen Winter eingestellt. Zudem verfügte die Rote Armee mit dem T-34 über einen Panzer, der den deutschen überlegen war. Im November 1941 wurden erstmals mehr deutsche als sowjetische Panzer zerstört.Neue, vor allem schnellere Modelle mussten also her. Und schon ihre Namen sollten verraten, wie schnell, wendig und tödlich sie waren – wie Raubtiere eben. So kam im NS-Rüstungsministerium im Frühjahr 1942 die Idee auf, die beiden neuen Modelle V und VI nach Großkatzen zu benennen. Der schwerere der beiden Panzer erhielt den Namen Tiger, der leichtere, wendigere wurde entsprechend Panther genannt. Erstmals in der deutschen Militärgeschichte wurden damit Kriegsfahrzeuge nicht mehr nur mit Kombinationen aus Buchstaben und Zahlen versehen. International waren die deutschen Militärs damit jedoch nicht die Ersten: Die Briten hatten bereits im Ersten Weltkrieg ihren Kampfflugzeugen die Namen von Tieren und Fabelwesen wie Dolphin, Buzzard, Elephant oder Dragon gegeben.Katzen auf KetteDass die deutschen Panzer im Zweiten Weltkrieg die Namen von Raubtieren – heute sprechen wir weniger vermenschlichend und wertend von Beutegreifern – bekamen, folgte einer gewissen Logik. Für die Nazis verkörperten Tiere wie Großkatzen und Wölfe all das, was sie selbst sein wollten: gewandt, aggressiv, schnell, effizient, unerbittlich, tödlich.Philosophen wie Friedrich Nietzsche oder Oswald Spengler hatten in ihren Werken mit der Metapher vom „Raubtier Mensch“ unfreiwillig die Vorlagen dazu geliefert: „Das Raubtier ist die höchste Form des beweglichen Lebens“, schrieb Spengler 1931 in seinem Buch Der Mensch und die Technik. „Es gibt dem Typus Menschen einen hohen Rang, daß er ein Raubtier ist.“ Dieses Raubtierhafte setze der Mensch wiederum mithilfe von Maschinen in die Tat um. Was also für das soldatische Ideal von Wehrmacht und SS galt, sollte ebenso für ihre Waffen gelten. Das Industrielle, Menschengemachte erhielt damit eine scheinbare natürliche Legitimation. Die dem zugrunde liegende Idee lautete: Ein Panther oder Tiger tötet nicht, weil er will, sondern weil er muss. Weil es seine Natur ist. Aus von Menschen geschaffenen und gesteuerten metallenen Maschinen wurden wilde Katzen.Die animalische Namensgebung diente auch dazu, dass die Soldaten sich schnell mit ihren neuen Gefährten vertraut machten. Mehr noch, sie sollten zu ihnen eine Art Beziehung aufbauen. Zu diesem Zweck gab das Ministerium die sogenannte Tigerfibel in Auftrag. Sie war eine Mischung aus technischen Informationen und persönlicher Beschwörung. Die Soldaten wurden darin direkt und in einfacher Sprache mit den technischen Details vertraut gemacht, sie wurden als „Männer vom Tiger“ bezeichnet und – ein Novum in der deutschen Militärgeschichte – geduzt. So enthielt die Fibel Sätze wie: „Du fährst einen Panzer, der wenig Gegner hat, aber auch wenig Brüder.“ Der erste Satzteil sollte sich nicht bewahrheiten, der zweite hingegen schon: Während die Sowjetunion im Verlauf des Krieges rund 30.000 T-34 in den Kampf schickte, wurden vom Panther nur 6.000, vom Tiger gerade einmal 1.350 Stück gefertigt.Schon ihre ersten Einsätze endeten im Desaster, da sie noch unausgereift waren. Doch Hitler wollte schnelle Erfolge sehen, weshalb er darauf drängte, die Panzer gleich an der Front zu testen. Die schwerfälligen Tiger blieben im Frühjahr 1942 in den Sümpfen um Leningrad stecken. Ein Jahr später erging es den Panthern in der Schlacht bei Kursk nicht besser, trotz entsprechender Pantherfibel. Auch mit Katzen auf Ketten war dieser Krieg nicht mehr zu gewinnen.Tradition für die BRDDoch der Reiz des Raubtierhaften bestand fort. Und so baute die Bundesrepublik im Zuge ihrer Wiederbewaffnung auf Altbewährtes. Als rund 20 Jahre nach Kriegsende der erste deutsche Panzer vom Band rollte, setzte sie die Namensgebung aus den Zeiten der Wehrmacht fort und wählte erneut eine Raubkatze als Namensgeber – den Leoparden. Das Bestiarium der Bundeswehr wuchs mit der Zeit weiter an und wurde vielfältiger: Jaguar, Gepard und Luchs kamen hinzu, ebenso Wiesel, Biber und Dachs. Auf den Schützenpanzer namens Puma wartet die Armee, aufgrund jahrzehntelanger Fehlplanung, allerdings seit rund 20 Jahren.Eine Änderung der gewohnten Namensgebung steht nicht zur Debatte. „Die Benennung nach Tieren ist politisch unverdächtig und hat sich wohl auch deshalb erhalten“, sagte der Militärhistoriker Markus Pöhlmann vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam (ZMSBw) – Autor eines Buches über deutsche Panzergeschichte – im April 2022 dem Spiegel. Auch eine fragwürdige Fortführung der NS-Praxis sah er nicht gegeben. „Ich glaube deshalb nicht, dass man es macht, weil es vorher auch schon gemacht wurde, also in der Traditionslinie zur Wehrmacht, sondern weil es aus einem professionellen Verständnis heraus Sinn ergibt.“Dabei handelt es sich bei den verwendeten Namen nicht bloß um vermeintlich „logische“ und „professionelle“ Fortführungen der – nationalsozialistischen – Praxis, sondern im aktuellen Fall sogar um konkrete Namenskopien: Unter dem Namen Leopard wurde bereits 1942 ein leichter Aufklärungspanzer geplant. Und als Marder wurden damals drei Typen von Panzerjäger-Fahrzeugen entwickelt.Was zur Tradition der Bundeswehr gehört, ist im Traditionserlass von 1982 nachzulesen, der zuletzt 2018 aktualisiert wurde. Zu den übernommenen Tiernamen für Waffensysteme findet sich dort nichts. Unter dem Punkt „Symbole, Zeichen und Zeremoniell“ heißt es lediglich: „Viele überlieferte Rituale, Sitten und Gepflogenheiten sind nicht Tradition, sondern gehören zum Brauchtum. Sie spiegeln militärische Verhaltensweisen und Formen. Meist haben sie sich vor langer Zeit herausgebildet. Sie stehen stellvertretend für den historischen und militärischen Kontext, der sie hervorgebracht hat oder der ihnen zugeschrieben wird.“Diese Trennung von Brauch und Tradition hat die Bundeswehr weitgehend exklusiv, sowohl der Duden als auch das Etymologische Wörterbuch verwenden „Tradition“ und „Brauch“ synonym. Die Tradition der Bundeswehr, heißt es im Traditionserlass, beruhe „auf der kritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.“ Selbst wenn es sich also aus ihrer Sicht um keine direkte Tradition handeln sollte, die auf die Wehrmacht zurückgeht – ein Brauch mit braunem Ursprung bleibt es allemal.Placeholder authorbio-1