Anfang des Monats sitzt die 60-jährige Anna Grodzka im TV-Studio von Moderatorin Monika Olejnik und spricht über ihre Transsexualität. Die Blattmacher der rechtsnationalen Postille W Sieci haben die Politikerin soeben bezichtigt, ihre Frauen-Identität sei nur vorgespielt. Grodzka verwahrt sich dagegen und zerreißt das Magazin vor laufender Kamera. „Vor 33 Jahren hat man bei mir Transsexualität diagnostiziert, es ist eine absurde These, dass ich mein Geschlecht nur geändert hätte, um in die Politik zu gehen“, sagt sie.
Ansonsten tut Anna Grodzka alles, damit nicht ihr Geschlecht, sondern ihr Programm für das im Mai anstehende Präsidentenvotum, bei dem sie kandidieren will, zum Thema wird. Ihre sexuelle Identität ist Fluch und
sitzt die 60-jährige Anna Grodzka im TV-Studio von Moderatorin Monika Olejnik und spricht über ihre Transsexualität. Die Blattmacher der rechtsnationalen Postille W Sieci haben die Politikerin soeben bezichtigt, ihre Frauen-Identität sei nur vorgespielt. Grodzka verwahrt sich dagegen und zerreißt das Magazin vor laufender Kamera. „Vor 33 Jahren hat man bei mir Transsexualität diagnostiziert, es ist eine absurde These, dass ich mein Geschlecht nur geändert hätte, um in die Politik zu gehen“, sagt sie.Ansonsten tut Anna Grodzka alles, damit nicht ihr Geschlecht, sondern ihr Programm für das im Mai anstehende Präsidentenvotum, bei dem sie kandidieren will, zum Thema wird. Ihre sexuelle IdentitXX-replace-me-XXX228;t ist Fluch und Segen zugleich. Die Politikerin ist vor allem deshalb bekannt, weil sie transsexuell ist und erst seit wenigen Jahren einen weiblichen Namen trägt. Geboren als Krzysztof Bęgowski, war sie lange der männliche Part in einer 2007 geschiedenen Ehe, der ein Sohn entstammt. 2010 dann hat die ehemalige Verlagschefin nach einer Operation im Ausland und einem Rechtsprozess im Inland ihre Geschlechts- identität geändert. 2011 zog sie mit der linksliberalen Gruppierung Deine Bewegung (TR) erstmals in den Sejm ein.Als Bewerberin für das höchste Staatsamt dürfte die energische Frau nun umso mehr Gehör finden. Besonders die polnischen Grünen – als Nischenpartei nicht im Parlament vertreten –, dazu ein gutes Dutzend kleiner Parteien stehen auf dem Trittbrett. Grodzka verbürgt sich für dezidiert linke Inhalte. Sie will den Steuerfreibetrag und den Mindestlohn anheben, Besserverdienende stärker belasten, das TTIP-Abkommen zwischen der EU und den USA stoppen sowie ausländische Konzerne zur Steuerkasse bitten. Die produzieren zumeist in Polens Sonderwirtschaftszonen und zahlen keine Körperschaftssteuer.Gewiss könnte die Mitgründerin der Stiftung Transfuzja, die Transgender-Personen beisteht, selbst bei einem Wahlsieg kaum etwas davon umsetzen. In Polens parlamentarischem System hat der Präsident nur geringen Einfluss auf die Innenpolitik. Zudem gilt der konservative Amtsinhaber Bronisław Komorowski als haushoher Favorit, er könnte seine zwölf Gegenkandidaten schon im ersten Wahlgang schlagen. Ein Achtungserfolg im einstelligen Prozentbereich ist Grodzka, die vor 1989 der kommunistischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP) angehörte, dennoch zuzutrauen. Denn unabhängig von ihrem Aufmerksamkeitsbonus überzeugt vor allem Grodzkas Kampagne „Faires Polen“. Sie spricht dabei nicht über Transsexuelle, sondern über Occupy, Syriza und Podemos sowie das eigene Prekariat. „Ohne ihre Kandidatur gäbe es keine linken Inhalte im Wahlkampf“, glaubt die Soziologin Agnieszka Wiśniewska.Tatsächlich wirken substanziell linke Positionen in Polen so verloren wie Heimatlose. Seit 2005, als die regierende Mitte-Links-Allianz Sojusz Lewicy Demokratycznej (SLD) von 41 auf elf Prozent abstürzte, stehen sich zwei Parteien rechts der Mitte gegenüber: die regierende, liberal-konservative Bürgerplattform (PO) und die national-konservative Recht und Gerechtigkeit (PiS). Beiden sind soziale Anliegen nicht eben ein Herzensbedürfnis. Egal, ob sie es mit einer Jugendarbeitslosigkeit von 25 Prozent, prekären Arbeitsverhältnissen und einem ungerechten Steuersystem zu tun haben. Letzteres würde Grodzka als Erstes ändern. „Ich will, dass endlich der Steuerfreibetrag bei mageren Einkommen angehoben wird.“ Dieser liegt bei umgerechnet 750 Euro pro Jahr, der Spitzensteuersatz bei 32 Prozent.Neben Grodzka empfehlen sich drei weitere linke Kandidaten, darunter ihr politischer Mentor Janusz Palikot, dessen sinkendes Parteischiff Europa Plus sie im Vorjahr verließ. Alle zusammen bringen es bislang auf weniger als zehn Prozent. Für hoffnungsreiche Erwartungen sorgt nur der Umstand, dass es Anna Grodzka schafft, in den Medien zu bleiben, um so am 10. Mai womöglich das beste Ergebnis aller Links-Kandidaten zu verbuchen und selbst die grazile, aber konturlose SLD-Kandidatin Magdalena Ogórek hinter sich zu lassen.Transsexualität bedeutet inzwischen selbst im konservativen Polen nicht zwangsläufig das politische Aus. So hat vor vier Monaten Grodzkas ehemaliger Parteikollege Robert Biedroń als erster schwuler Bürgermeisterkandidat überraschend das Rathaus von Słupsk erobert. Ohne Geld für eine Kampagne, aber mit einem Wahrnehmungsbonus. Biedroń gilt ebenso wie Grodzka nicht als Phrasendrescher, sondern punktet gleichermaßen durch Kompetenz. Selbst der Klerus, für den Transgender und Homosexualität Teufelszeug sind, konnte den Wahlsieg am Ende nicht verhindern.Grodzka, deren Team bis zum 26. März die für den Wahlstart nötigen 100.000 Unterschriften sammeln muss, scheint genau darauf zu bauen. Als die Grünen-Kandidatin am vergangenen Wochenende im oberschlesischen Kohlerevier vor Bergleuten sprach, konnte sie selbst erklärte Feinde einer grünen Energiepolitik für sich gewinnen. „Wir brauchen die Kohle, solange die Arbeitsplätze in der Region notwendig sind, aber zugleich brauchen wir eine Entwicklung hin zu erneuerbaren Energien – und eine Industrie, die das schafft, muss in Oberschlesien entstehen”, argumentierte sie vor ihren Zuhörern. Vertreter der Gewerkschaft Sierpień 80 sprachen sofort von dem „sozialsten Programm aller Kandidaten“. Und gelobten Unterstützung. Gewinnen kann Grodzka die Präsidentschaftswahlen nicht. Aber sie kann das politische Terrain erweitern, auf dem über mehr als nur die Akzeptanz von unkonventionellen Geschlechtsidentitäten debattiert wird.