Kultur im Polizeistaat

Polen Die PiS-Regierung greift mehr und mehr in das kulturelle Leben ein. Besonders LGBTQ-Inhalte sind ihr ein Dorn im Auge
Ausgabe 20/2019
Protestierende halten das Bild der regenbogengefärbten Mutter Maria bei einer Demonstration in Warschau in den Händen
Protestierende halten das Bild der regenbogengefärbten Mutter Maria bei einer Demonstration in Warschau in den Händen

Foto: Janek Skarzynski/AFP/Getty Images

Was sind Kunst und Kultur? Eine Definition ist naturgemäß schwierig. Auch weil dies so ist, ist dieses Feld heute mehr denn je gesellschaftliche und politische Kampfzone.

Für die in Polen regierende Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) bauen Kunst und Kultur auf einem Fundament aus Geschichte, Tradition und Kirche. Was man auf diesem Fundament nun bauen darf, darüber will die PiS höchstselbst bestimmen, um ihren Anhängern (und sich selbst) identitäre Stabilität und Sicherheit vorzugaukeln. Daher wird jegliche kritische Auseinandersetzung mit Themen auf diesen Großfeldern bekämpft. „Wer die Hand gegen die Kirche erhebt, um sie zu zerstören, erhebt die Hand gegen Polen“, sagte Jarosław Kaczyński, PiS-Chef und faktischer Staatslenker, vor knapp zwei Wochen bei einer Wahlkampfveranstaltung zur kommenden Europawahl.

Was damit gemeint ist, zeigte sich nur wenige Tage später. Da gestaltete die Aktivistin Elżbieta Podleśna ein Bild von der Mutter Gottes von Tschenstochau und verpasste ihr statt des goldenen einen Regenbogen-Heiligenschein – und wurde prompt verhaftet, in einer Polizeiaktion, als wäre sie eine gefährliche Verbrecherin. Wegen der Verletzung religiöser Gefühle von Gläubigen könnte sie bis zu zwei Jahre ins Gefängnis kommen. „Keine Fantasie über Freiheit und ‚Toleranz‘ gibt jemandem das Recht, die Gefühle von Gläubigen zu verletzen“, sagte Innenminister Joachim Brudziński.

Natürlich: Es ist Wahlkampf, und das Thema LGBTQ ist in allen seinen Regenbogenfarben bereits seit März eines der politischen Kampffelder. Die Rechte sexueller Minderheiten stehen für die PiS stellvertretend für eine gottlose EU, und eine solche will die Partei mittels in propagandistische Zensur getränkter Kulturpolitik abwehren. In ihren dreieinhalb Jahren Regierungszeit hat die PiS etliche Kultureinrichtungen – Museen, Theater, Buch- und Filminstitute und nicht zuletzt den öffentlich-rechtlichen Rundfunk – unter Kontrolle gebracht und ihnen einen neuen, nationalen Anstrich verpasst. Und: Die Staatsanwaltschaften, die wie im Fall der bunten Mutter Gottes über abweichende Interpretationen wachen sollen, sind auf Linie.

Tatsächlich etabliert die PiS eine neue, altbekannte „Kultur“: den Autoritarismus. Für viele Polinnen und Polen bedeutet dies: Jetzt erst recht! Einen Tag nach Podleśnas Verhaftung solidarisierten sich einige hundert Menschen in Warschau mit ihr. Motto: „Der Regenbogen beleidigt nicht“ – und die Kultur der Solidarität lebt.

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