Polen/Ukraine In Polen hat der linksliberale Publizist Sławomir Sierakowski eine Spendensammlung initiiert, um der Ukraine eine Baykar-Drohne zukommen zu lassen. Wie der türkische Hersteller und die polnische Öffentlichkeit reagierten
Von unabhängiger Seite nicht überprüfbar: Laut ukrainischer Armee beschießt hier eine Bayraktar ein russisches Raketensystem
Foto: Cover-Images/Imago Images
Gibt man in der polnischen Google-Version den Begriff „Bayraktar“ ein, so erscheinen als erste Links nicht Hinweise auf den türkischen Waffenproduzenten Baykar Technology, der nicht zuletzt die ukrainische Armee mit seiner „Bayraktar TB2“-Kampfdrohne versorgt. Auch Meldungen von der Kriegsfront tauchen nicht auf. Vielmehr erscheinen Beiträge zu einer ungewöhnlichen, erfolgreichen, aber nicht unumstrittenen Spendenaktion.
Der bekannte linksliberale Publizist Sławomir Sierakowski hat vor zwei Monaten einen Aufruf an seine Landsleute gestartet. Sie sollten für den Kauf einer gut fünf Millionen Euro teuren Bayraktar-Drohne spenden, die der ukrainischen Armee zugutekäme. Eine ähnliche Aktion hatte es ein paar Wochen zuvor in Litauen
in Litauen gegeben, wo das nötige Geld Ende Mai zusammenkam.Dankesnote aus KiewAuch in Polen hatte das Ansinnen Erfolg, innerhalb eines Monats trafen mehr als 200.000 Einzelspenden ein, doch erklärte Hersteller Baykar Ende Juli schriftlich, dass man das Geld nicht annehmen werde: Die Drohne werde kostenfrei zur Verfügung gestellt. Was in Polen gesammelt wurde, sollte für humanitäre Hilfe in der Ukraine verwendet werden. Nicht anders hatte die Firma auch auf die litauische Spende reagiert. Sierakowski wusste davon, bevor er seine Aktion startete, und hoffte auf ebendies. Sein Dank an die Spender lautete: „Ihr werdet an der militärischen Verteidigung der Ukraine gegen Russland teilnehmen und am humanitären Beistand für die ukrainische Gesellschaft.“Warum entschied sich der Initiator gerade für diese tödliche Waffe? Sierakowski antwortete, alle starken Schläge gegen Russland seien durch diese supermodernen Drohnen möglich gewesen. Die wichtigsten Medien im Land hatten das Unterfangen fast durchweg positiv kommentiert. Prominente Politiker und Intellektuelle schlossen sich an, darunter Ex-Außenminister Radosław Sikorski, die Filmregisseurin Agnieszka Holland und der Schriftsteller Andrzej Stasiuk, der für seine Bücher über die Peripherien Osteuropas bekannt ist. „Die Ukrainer kämpfen für uns, wirklich“, schrieb Stasiuk. „Wir müssen den Krieg gewinnen, denn sonst werden die Russen hierherkommen. Einmal waren sie schon da – das war schlecht. Gebt also das Geld her.“ Das ukrainische Parlament schickte schon vor dem Ende der Aktion eine Dankesnote, gerichtet an „unsere Schwester Polen, für die fantastische Unterstützung und Solidarität!“ Das Verteidigungsministerium in Kiew tat kund: „Liebes Polen, wir sind gesegnet damit, einen solchen Nachbarn zu haben!“Für einige Beobachter allerdings hat das alles einen Beigeschmack. Der Initiator versah die Sammlung zuweilen mit Hurra-Kommentaren und beschwor die Drohne als ein „fliegendes Wunder“. Die von dieser Waffe bei einem Einsatz hinterlassenen Wirkungen wie der Tod einfacher Soldaten, dazu Kollateralschäden durch zivile Opfer, waren für Sierakowski kaum ein Thema. Weitgehend ausgeblendet blieb auch, dass die Kampfdrohne bislang im bewaffneten Konflikt um Berg-Karabach im Herbst 2020 zwischen Aserbaidschan und Armenien zum Einsatz kam, ebenso in den Bürgerkriegen um Syrien oder Libyen. Welche und wie viel Opfer hatte es dabei gegeben?Janina Ochojska, deren humanitäre Organisation Polska Akcja Humanitarna (PAH) weltweit agiert, zählte zu den wenigen bekannten Kritikern der Spendenaktion. „Wenn die Polen der Ukraine eine Drohne kaufen wollen, warum dann nicht auch den Syrern, Jemeniten, warum nicht anderen Ländern, in denen seit Jahren Krieg herrscht? Ist das Leben anderer Opfer weniger wert?“, fragte sie in einem Interview.Das Werben für eine „zivile Waffenspende“ offenbart, wie sehr in Polen der Glaube an oder auch der Wunsch nach einer diplomatischen Lösung für die Ukraine schwindet. Für Furore sorgen stattdessen hochauflösende Videos, auf denen Drohnentreffer, zumeist die Sprengung gepanzerter Fahrzeuge, zu sehen sind. Hersteller Baykar hat für seine Aufforderung, die Waffenkollekte besser humanitären Zwecken zuzuführen, viel Schulterklopfen der Initiatoren geerntet. Dass der Konzern damit einen PR-Coup landet und sich eine kostenlose Lieferung dank voller Auftragsbücher problemlos leisten kann – man stellt momentan rund 20 Drohnen pro Monat her –, ist kaum Thema. Das Unternehmen schrieb: „Wir wollen, dass dieses Angebot und diese Kampagne erfolgreich sein werden, um das Leben unschuldiger Ukrainer in diesen schwierigen Zeiten zu retten. Wir beten, dass die so schnell wie möglich vorbei sind.“Inzwischen will Baykar in der Ukraine selbst eine Fertigung von Kampfdrohnen aufziehen. Wichtige Komponenten werden bereits dort produziert. Zuvor hatte das Unternehmen erklärt, es werde diese Waffen niemals an Russland liefern. Denn Präsident Wladimir Putin hatte seinerseits Ende Juli gegenüber dem türkischen Staatsoberhaupt Recep Tayyip Erdoğan Interesse bekundet, eine Bayraktar-Produktion in Russland aufzubauen. Offenbar vergeblich, zumindest vorerst.Schwarz-Weiß-RasterDie polnische Literaturnobelpreisträgerin Wisława Szymborska schrieb einst, dass Richter, die schwere Urteile zu fällen haben und so über Sein und Leben der Verurteilten bestimmen, bei ihren Verdikten eigentlich stets traurig sein müssten. Womöglich ist es dieser Mangel an Traurigkeit, der bei einem Großteil der Befürworter jener Spende ins Auge springt und deren öffentliche Kritiker an der Weichsel befremdet. Wir übersehen es leicht: Das scheinbar Logische ist nicht in ein Schwarz-Weiß-Raster oder ein Richtig-falsch-Schema zu pressen; die Drohne wird nicht Putin töten, sondern russische Soldaten, deren Namen in Polen niemand zur Kenntnis nehmen wird.Der Publizist Roman Kurkiewicz schreibt: „Ich ging zu einem Konzert, dort erhielten die Unterstützer der Bayraktar-Aktion Rabatt. Dann stellten sich alle für ein Gruppenfoto auf, statt ‚Marmelade!‘ riefen sie: ‚Bayraktar!‘ Warum stimmte ich nicht ein? Warum spendete ich nicht, weshalb schüttele ich meinen Kopf? Ich habe doch keine Zweifel, dass Russland den Krieg begonnen hat ...“Eine Spendenaktion, vor allem aber deren Nachbeben zeigen: Die Zeiten ändern sich, und das radikal.
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