„Das geht nicht mehr weg“

Verantwortung Die eigene Pädophilie akzeptieren. Und sie niemals ausleben. Ist das möglich? Ein Gespräch mit einem, der sich dieser Verantwortung stellt

Der Freitag: Wann haben Sie gemerkt, dass Sie pädophil sind?

Marco: Das begann in der Pubertät. Mit 15, 16 Jahren hatte ich das erste Mal sexuelle Fantasien, in denen sieben- bis zwölfjährige Jungs vorkamen. Als ich mit 18 meiner damaligen Therapeutin davon erzählte, sagte sie, diese Fantasien würden schon verschwinden.

Das taten sie aber nicht.

Nein, aber an die Hoffnung klammerte ich mich lange. Ich war bereits 30, als ich zufällig auf einen Aufsatz des Sexualforschers Gunter Schmidt zum Thema stieß. Als ich ihn gelesen hatte, war mir klar: Ich habe immer noch diese Fantasien, ich muss mich als pädophil bezeichnen. Das geht nicht mehr weg.

Wie haben Sie reagiert?

Das Eingeständnis stürzte mich in eine tiefe Lebenskrise, bis zu Selbstmord­gedanken. Für mich stand fest, dass ich meine Neigung nie ausleben würde, weil ich Kindern keinen Schaden zufügen will. Schlimmer als die Vorstellung lebenslanger sexueller Abstinenz war aber die Einsamkeit. Es gibt niemanden, mit dem man über seine Gefühle sprechen kann. Wer sich als Pädophiler outet, wird sozial geächtet. Die meisten unterscheiden nicht, wie ein Betroffener mit seinem Schicksal umgeht, ob er sich der Verantwortung stellt oder ihr ausweicht.

Haben Sie versucht, psychologische Hilfe zu bekommen?

Ich bekam Anfang 2004 vier, fünf Termine am Institut für Sexualforschung der Uni Hamburg. Dort verwies man mich aber wieder an meinen ambulanten Therapeuten, da ich nicht gefährlich sei und sich das Institut auf Straftäter spezialisiert habe. Präventionsprojekte wie jenes der Berliner Charité gab es damals noch nicht. Da hat sich in den letzten Jahren einiges verbessert.

Sie schreiben im Netz über Pädophilie und werben um Verständnis für jene, die ihre Neigung nicht ausleben.

Für mich ermöglichte diese öffentliche Auseinandersetzung unter dem Schutz des Pseudonyms eine Selbstfindung. Ich wurde im Netz aber auch scharf von Vertretern der militanten Pädophilen-Szene attackiert – als Verräter. Sie sehen mich als jemanden, der sich aus Feigheit an die Gesetze hält und nicht den Mumm hat, für die Emanzipation der Pädophilen einzutreten.

Die Protagonisten dieser Szene behaupten, einvernehmlicher Sex zwischen Erwachsenen und Kindern sei möglich. Glauben die das wirklich?

Ich denke, tief drinnen wissen auch sie, dass es Unrecht ist. Aber sie reden sich so lange ein, dass es okay sei, bis sie es irgendwann selber glauben. Sie können die Tragik und den Schmerz nicht zulassen, der mit der Erkenntnis einhergeht, dass man pädophil ist und es niemals eine einvernehmliche Sexualität zwischen Kindern und Erwachsenen geben kann.

Unser Gesprächspartner ist 38 Jahre alt, lebt in Norddeutschland und nennt sich Marco. Auf schicksal-und-herausforderung.de berichtet er über den Umgang mit seiner sexuellen Neigung

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