Abschied von einem Versprechen

Quelle-Katalog Mit dem Aus von Quelle stirbt auch der dazugehörende Versandhauskatalog. Kein Grund, ihm nachzuweinen. Die bunten Seiten waren Ausdruck eines überholten Denkens

Das Versandhaus Quelle wird abgewickelt. Trotz eines Staatskredits und des penetranten Einsatzes des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer fand sich kein neuer Investor, der das insolvente Unternehmen weiterführen wollte. Das ist schlimm für die mehr als 7.000 Mitarbeiter in Fürth, die nun ihre Jobs verlieren. Es ist aber keineswegs – wie manche Kommentatoren glauben machen wollen – ein großes Ungück, dass mit dem Ende des Versandhauses auch der Quelle-Katalog verschwinden wird.

Hans Magnus Enzensberger wird immer wieder als Kronzeuge heranzitiert, wenn es darum geht, die Versandhauskataloge als wichtiges Kulturgut der westdeutschen Nachkriegsgeschichte zu beschreiben. Und es stimmt ja, was Enzensberger in den sechziger Jahren in der Rezension eines Neckermann-Katalogs bemerkte: Dass Ethnologen aus diesen bunt bedruckten Seiten einst "genauere und fruchtbarere Schlüsse auf unsere Zustände" ziehen könnten als aus der gesamten erzählenden Literatur. Die Kataloge trugen das Wirtschaftswunder-Versprechen "Wohlstand für alle" in die Haushalte der Republik. Selbst wenn man es sich nicht leisten konnte, größere Bestellungen aufzugeben, suggerierte allein das Blättern im Katalog, dass man an der Konsumgesellschaft teilhaben könne.

Wissenschaftler untersuchen gern abgeschlossene Epochen – und insofern können die Ethnologen sich nun ans Werk machen. Wenn sie das Ende des Quelle-Katalogs dann im Kontext der aktuellen Krise beschreiben, könnte sich zeigen, dass dieser Abschied für mehr steht als für schlichte Management-Fehler. Ja, das Versandhaus hat den Umstieg von den 1.500-Seiten-Wälzern zum Online-Handel der digitalisierten Welt verschlafen. Aber nicht nur das macht den Katalog zu einem Anachronismus. Der Quelle-Katalog stirbt auch deshalb, weil der Glaube an das Immer-mehr, das Versprechen des grenzenlosen Konsums, brüchig geworden ist.

Die Krise verlangt nach neuen Antworten, nicht jenen Rezepten Ludwig Erhards, nach denen die Probleme ausschließlich durch mehr Wirtschaftswachstum gelöst werden sollen – weshalb man verzweifelt auf mehr Konsum hofft. Weil der Quelle-Katalog die Papier gewordene Version dieses ungebrochenen Wachstumsglaubens ist, wird er zu Recht demnächst wohl nur noch ein Ausstellungsstück im "Haus der Geschichte" sein. Eine bunte Erinnerung an vergangene Zeiten, die mit unserer Gegenwart aber nicht mehr viel zu tun hat.


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