Audienz beim Großschriftsteller

Event-Kritik Daniel Kehlmann stellte im Berliner Ensemble erstmals sein neues Buch "Ruhm" vor. Ganz unironisch nahm der Erfolgsautor dabei die Huldigungen seiner Anhänger entgegen

Auf der Theaterbühne stehen schwarze Tische, schwarze Stühle, der Hintergrund ist dunkel abgehängt. Bereits die Ausstattung soll klar machen: Hier geht es um tiefe Gedanken, um große Kunst, nichts soll den Blick auf das Wesentliche stören. Als "Buchpremiere" wurde die erste Lesung Kehlmanns aus seinem neuem Roman Ruhm beworben, und der Andrang von Presse und Publikum ist mit jenem einer Filmpremiere vergleichbar. Der Saal des Berliner Ensembles ist voll, Fernsehteams haben in Logen Stellung bezogen, am Bühnenrand warten Fotografen.

Seit dem Erfolg der Vermessung der Welt (2005) ist Daniel Kehlmann der Superstar unter den deutschsprachigen Schriftstellern. Keiner verkauft mit anspruchsvollen Texten so viele Bücher wie er. In der Vermessung erzählte Kehlmann von Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß. Der Roman passte gut in eine Zeit, in der viel über die Rückbesinnung auf bürgerliches Bildungsgut geschrieben wurde. Zwei Millionen verkaufte Exemplare - eine Zahl, die immer erfurchtsvoll geraunt wird, so bald von Kehlmann die Rede ist.

Im Berliner Ensemble wird er mit genau diesem Superlativ eingeführt von Sebastian Kleinschmidt, Chefredakteur der Literaturzeitschrift Sinn und Form. Es folgt eine Danksagung an die Sponsoren des Abends, die erneut Assoziationen an eine Filmpremiere weckt - sie ist so lang wie der Abspann einer Hollywood-Produktion. Dann betritt Kehlmann die Bühne, zusammen mit dem Schauspieler Ulrich Matthes. Kehlmann im schwarzen Anzug, Matthes in weiß gekleidet, wirken die beiden wie ein ungleiches Brüderpaar.

Im Wechsel lesen sie aus Ruhm, einen Roman in neun Geschichten hat Kehlmann das Buch genannt. Es geht um alte Frauen, die zum Sterben nach Zürich fahren, manische Internet-Freaks und Erfolgsschriftsteller. Und es geht immer auch ums Schreiben, um die Bürde, Autor zu sein. Die sterbende Frau ist sich ihrer Fiktionalität bewusst - und diskutiert mit ihrem Schöpfer, einem Schriftsteller, der in der Geschichte als Kehlmanns Alter Ego fungiert, ob es nicht doch eine Möglichkeit gebe, die Geschichte gut enden zu lassen. Fiktionale Brechungen, kalkulierte Pointen - das Publikum lacht, dankbar dafür, dass die Geschichte über Sterbehilfe doch nicht so trist ist.

Anschließend stellt Moderator Kleinschmidt nette Fragen. Man erfährt, dass ein Autor seine Figuren ernst nehmen müsse, dass Kehlmann keine feste Meinung zur Sterbehilfe habe und Papageien seine Lieblingstiere seien. Und während das Gespräch so dahin plätschert, denkt man für einen Moment: Wie es wohl wäre, wenn nun das Gleiche wie in der Geschichte geschehen würde? Wie es wäre, wenn eine Stimme aus dem Off zu Kehlmann sprechen und ihm sagen würde, dass er nur eine fiktive Figur sei, dass er - wie es in der Geschichte heißt - "nichts ohne die Aufmerksamkeit eines Anderen sei"?

Doch keine Stimme aus dem Off, kein Schöpfer-Schriftsteller meldet sich. Das Gespräch endet, das Publikum strömt an die Gaderoben. Wenige Minuten später sitzt Kehlmann schon wieder im Foyer, signiert Bücher im Akkord. Und immer noch keine fiktionale Brechung - der Ruhm von Daniel Kehlmann ist ganz real.







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