Es gibt Neuerungen, die nach kurzer Zeit so allgegenwärtig sind, dass man schnell nicht mehr weiß, wie man ohne sie lebte. Oder erinnert sich noch jemand an die Prä-Youtube-Ära? Im Februar 2005 ging das Videoportal in San Bruno, Kalifornien, online. Ähnliche Webseiten gab es schon vorher, aber erst Youtubes Erfolg machte den Bildern im Netz richtig Beine.
Innerhalb der vergangenen fünf Jahre wurde Youtube zum Bilder-Gedächtnis unserer Zeit. Früher nahm man eine Fernsehsendung entweder auf Video auf oder sie war weg. Heute sind alle Aufreger der jüngeren Fernsehgeschichte nur zwei, drei Klicks entfernt. Die brennende Türme des World Trade Centers, Michael Jacksons 80er-Jahre-Videos oder Eva Hermans Rausschmiss bei Johannes B. Kerner – auf Youtube findet man das alles, und direkt daneben Clips von tanzenden Papageien und lachenden Babys. Keine andere Webseite schafft es, das Große und das Kleine, das Wichtige und das Irrelevante, das Lustige und das Traurige so gleichberechtigt nebeneinander zu stellen.
Wer deswegen einen Kulturverfall beklagt, weil hier alles ohne Kontext und Hierarchisierung einfach nur gesammelt wird, hat das Netz nicht verstanden: Es ist keine Schwäche, sondern eine Stärke. Keiner bestimmt, was gesendet wird. Jeder kann auf Youtube sein eigenes Programm machen. Besonders Jugendliche ziehen stundenlanges Clip-Schauen daher der TV-Berieselung vor. Ist einfach näher an ihrem Leben dran.
Genauso wie Blogs die Sphäre des Geschriebenen demokratisiert haben, hat Youtube die bewegten Bilder vom alleinigen Zugriff der Profis befreit. Das ist nicht immer schön anzusehen – wenn etwa ein Teenie vorführt, wie er einen Liter Cola auf Ex trinkt und sich dann übergibt –, ermöglicht aber neue Formen von Gegenöffentlichkeit. Die Polizeigewalt bei einer deutschen Demo, die Protestierenden auf den Straßen Irans und die sterbende Neda: Diese Bilder waren zunächst auf Youtube zu sehen, fanden dann erst ihren Weg in die Fernsehnachrichten.
Groß ist Youtube damit geworden, seine Dienste gratis zur Verfügung zu stellen. Seit Januar experimentiert man nun in den USA mit dem kostenpflichtigen Online-Verleih von Spielfilmen, weil sich allein mit Werbung auch nach fünf Jahren noch keine schwarzen Zahlen schreiben lassen. Überlegungen, dass Bilder-Chaos zu ordnen und sich aus kommerziellen Gründen mehr der Ordnung eines Fernsehsenders anzugleichen, gibt es schon länger. Es klingt, als wolle Youtube erwachsen werden. Hoffentlich nicht zu erwachsen.
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