Böse Buben

Porträt Stermann und Grissemann mögen keinen Humor, bei dem alle gut drauf sind. Das deutsch-österreichische Satire-Duo testet lieber Schmerzgrenzen aus

Die Schaubühne Lindenfels, ein Off-Theater in Leipzig. Tech­niker arbeiten im dunklen Saal an der Tonanlage. Noch zwei Stunden bis zum Auftritt von Stermann und Grissemann. Die beiden sind gerade aus ihrem Hotel gekommen, sie grüßen entspannt. Wir gehen eine enge Treppe hinauf in die Garderobe, dort stehen ein abgeranztes Sofa und durchgesessene Sessel. Es gibt belegte Brötchen und Blechkuchen. Stermann stürzt sich auf ein Eier-Brötchen, Grissemann zündet sich eine Zigarette an.

Der Freitag: Herr Grissemann, Ihr Satire-Partner Dirk Stermann ist Deutscher, der seit 20 Jahren in Wien lebt. Jetzt behauptet er, er sei „entpiefkenisiert“. Stimmt das?

Christoph Grissemann: Überhaupt nicht, das kann man am Integrationsmerkmal Nummer eins sehen – der Sprache. Stermann spricht noch genauso wie vor 20 Jahren, als er von Düsseldorf nach Wien zog. Die Assimilierung hat nicht stattgefunden. Was schade ist, weil das Wienerische viel lautmalerischer und subtiler ist als das Hochdeutsche.

Warum glauben Sie, Herr Stermann, Sie seien entpiefkenisiert?

Dirk Stermann: Weil ich gelernt habe, Deutschland aus der Sicht eines Österreichers zu sehen. Viele Vorurteile, die Österreicher haben sind ja gerechtfertigt. Es stimmt zum Beispiel, dass das Wienerische schöner klingt. Allerdings gilt jemand, der „nach der Schrift“, also hochdeutsch spricht, in Österreich immer als besonders intelligent und gebildet – egal, was er sagt.

Wie hat sich Ihr Deutschland-Bild im Exil verändert?

Stermann: Ich bin 1987 aus dem bräsigen Helmut-Kohl-Deutschland weggegangen. Das veränderte sich zwar mit der Wiedervereinigung. Ich empfand es aber als sehr unangenehm, dass Deutschland auf einmal wieder so groß war und so viele schwarzrotgoldene Fahnen geschwenkt wurden.

Den Österreichern hat das auch nicht gefallen.

Stermann: Man wurde als Deutscher ständig mit Nazi-Vokabular angesprochen. Als hätte Österreich mit Nazis nie etwas zu tun gehabt. Und man musste ununterbrochen zustimmen, dass alle anderen Recht hatten, wenn sie sagten, dass es scheiße sei, dass man Deutscher sei.

Und heute?

Stermann: Das hat sich tatsächlich mit der Fußball-WM 2006 verändert, als die Deutschen sich als entspannte Party-Menschen präsentierten und in der Nationalmannschaft statt den oft beschworenen Panzern lauter Zivildienstleistende spielten. Die Österreicher haben zwar noch versucht zu sagen: „Ja, aber eigentlich sind die Deutschen deppert“ – aber der Rest der Welt hat da nicht mehr mitgemacht. Damit hat sich auch mein Blick auf Deutschland entspannt.

Kann man Deutschland mögen, wenn man es mit den Augen eines Österreichers anschaut?

Stermann: Ich schon. Ich finde es gut, dass das politisch Korrekte mittlerweile so Commonsense ist, dass ganz selbstverständlich ein Schwuler Außenminister und ein Grüner Ministerpräsident wird. Da ist Deutschland Österreich um Lichtjahre voraus.

Grissemann: Das sind doch Klischees. Ob Leipzig oder Graz – das ist durch Facebook und ProSieben heute doch alles das Gleiche.

Stermann: Es gibt gesellschaftliche Entwicklungen, die unterschiedlich sind. Weil die Grünen in Deutschland bereits so lange in Regierungen sitzen, ist es ziemlich konservativ, hier grün zu wählen. In Österreich ist das noch anders.

Grissemann: Vielleicht wird nach Fukushima bald ein Grüner in Österreich Bundeskanzler.

Stermann: Nee, die Grünen in Österreich profitieren in Umfragen überhaupt nicht von Fukushima. Wahrscheinlich, weil es keine Kernkraftwerke zum Abschalten gibt. Da fehlt das grüne Endziel.

Von der Aufmerksamkeit, die Sie in Österreich bekommen, können Ihre deutschen Kollegen jedenfalls nur träumen. Mit einer Satire zu den Reaktionen auf Jörg Haiders Tod haben Sie 2008 im österreichischen Fernsehen einen Medienskandal ausgelöst.

Grissemann: Das lag aber nicht so sehr an Jörg Haider, sondern eher am Zeitpunkt. Die Sendung lief unmittelbar nach dem Begräbnis, das ganze Land stand noch unter Schock. Hätten wir die gleiche Sendung zwei Wochen später gemacht, hätte es niemals so einen Aufruhr gegeben. Wir haben uns aber nicht über den Tod lustig gemacht, sondern nur über die mediale Inszenierung des Begräbnisses.

Sie haben vor allem die öffent­liche Trauer von Haiders Freund Stefan Petzner ironisiert, ihn mitsamt Tränen und exzessivem Zigarettenkonsum nachgemacht. Ging das nicht zu weit?

Stermann: Das war schon arg, denn bei Petzner haben wir uns nicht über seinen Tod lustig gemacht, sondern über sein Leben. Wenn er tot wäre, wäre das für ihn alles kein Problem gewesen. Bei ihm ist ja das Leben das Problem.

Grissemann: Ernsthaft geantwortet – wir hätten uns nicht über Haiders Familienangehörige lustig gemacht. Da ziehe ich eine Grenze.

Stermann: Man muss auch die Vorgeschichte sehen. Bei der letzten Pressekonferenz, die Jörg Haider gab, ging es um ein Asylbewerberheim in Kärnten. Da sollten Asylbewerber auf einen Berg am Arsch der Welt – auf die sogenannte Saualm – verfrachtet werden. Auf dieser Pressekonferenz haben Haider und Petzner den Plan vorgestellt und vor Schadenfreude schallend gelacht. Man hatte also diese Bild der zwei Lachenden – und die nächste Emotion, die man von Petzner sah, waren seine Tränen. Sich darüber lustig zu machen, ist richtig, finde ich.

Grissemann: Ich weiß gar nicht, ob es richtig oder falsch ist – lustig ist’s auf jeden Fall.

Hat Österreich ein größeres Satire-Potenzial als Deutschland?

Grissemann: Die politischen Vorgänge sind bizarrer. Und es gibt keine Rücktrittsmentalität. Wenn ein Staatssekretär einen Ladendiebstahl begeht, bleibt er Staatssekretär.

Stermann: Wenn der Ladenbesitzer deswegen Ärger macht, bekommt er einen Posten in der Regierung, damit er Ruhe gibt.

Sie machen viele Live-Auftritte. Wird in Deutschland und Österreich unterschiedlich gelacht?

Grissemann: Den Dass-sie-sich-das-erlauben-Lacher hört man in Deutschland öfter. Das kennen wir in Österreich gar nicht mehr. Wenn man einen tabubrechenden – um ein grässliches Wort zu benutzen – Witz macht, fallen den Leuten in Österreich die Augen zu. In Deutschland hört man erstmal ein Raunen, selbst wenn wir auf der Bühne nur sagen, dass wir eine Katze ertränkt hätten. Der brutale Humor scheint in Österreich viel salonfähiger. In Deutschland bekommt man entweder Comedy-Fun-Blödsinn oder intellektuelles Kabarett geboten.

Ihre Fernsehsendung „Willkommen Österreich“ hat viele politische Witze. In der Radio-Sendung „Show Royal“, die auch in Berlin zu hören ist, sind Sie gar nicht politisch, sondern ziehen die Komik aus den Absurditäten des Alltags.

Stermann: Wir sind eigentlich nicht politisch, wir haben uns nie so verstanden. Bei der Late-Night-Sendung haben wir aber Gag-Autoren. Da ist es für alle Beteiligten einfacher, wenn man über das spricht, was gerade so los ist.

Grissemann: Die Radiosendung wurde kultiviert als Humor­sendung ohne Humor, einfach mal drauf losreden – in der Hoffnung, etwas Komisches entstünde. Entsteht aber meistens eh nicht. Der Reiz liegt nur darin, zwei Menschen mittleren Alters beim Reden zuzuhören. Das ist nicht sehr pointen­orientiert, was wir da treiben.

Wie haben Sie sich eigentlich kennengelernt?

Stermann: In einer Jugendre­daktion des ORF Ende der achtziger Jahre. Wir haben da jeden Tag eine halbe Stunde so eine Art Klassenbesten-Radio gemacht.

Klassenbesten-Radio?

Grissemann: Ja, so eine Weltverbesserungs-Sendung, immer nur Beiträge über misshandelte Lehrlinge und fremdenfeindliche Übergriffe, dazu schlechte Musik. Wir haben ernsthaft als Reporter gearbeitet. Mit versteckten Mikrofonen in ein Lokal, wo der Wirt keine Türken reinlässt und so. Aber es gab Kollegen, die das viel besser konnten. Unsere Rettung war es, ein Feld zu besetzen, dass es im österreichischen Radio noch nicht gab.

Es gab noch keinen Humor?

Grissemann: Nur diesen typischen Frühstücksradio-Humor, bei dem alle gut aufgelegt sind. Wir haben dagegen versucht, Humor zu präsentieren, bei dem man schlecht aufgelegt ist – was immer der bessere Humor ist. Wenn man Depressionen hat, ist das für den, der es hört, viel lustiger, als jemandem zuzuhören, der gerade in guter Stimmung ist.

Stermann: Von Anfang an entscheidend war, den Witz über uns selbst zu machen. Die eigene Unzulänglichkeit ins Zentrum des Humors zu stellen. Dann ist es auch okay, über andere hart zu reden, weil man über sich selbst noch härter redet.

Den Eurovision Song Contest haben Sie früher im Radio parallel zum Fernsehen moderiert, mit einem lakonischen Witz, der einen reizvollen Kontrast zum Pathos des Wettbewerbs abgab. Warum gibt’s das nicht mehr?

Stermann: Wir haben das sieben Jahre gemacht – das wurde schon ziemlich beamtenmäßig. Ab dem vierten, fünften Mal fängt man an, sich nur noch zu wiederholen. Gott sei Dank hatten die Leute noch nicht gemerkt, dass es schon ziemlich schlecht geworden war.

Grissemann: Das stimmt nicht, es war nicht schlecht. Aber man sollte aufhören, wenn es noch lustig ist.

Was hat Sie am Song Contest fasziniert?

Stermann: Gar nichts. Mich hat nur fasziniert, dass mich rein gar nichts daran fasziniert. Bei Grissemann ist das anders.

Grissemann: Mein Vater hat den Song Contest 20 Jahre lang für den ORF im Fernsehen moderiert – staatstragend, seriös, wie’s sich gehört. Deswegen hatte ich als Kind eine besondere Beziehung dazu. Und ich finde es heute noch spannend. Die Lieder interessieren mich nicht so, aber das Bewerten.

2002 nahmen Stermann und Grissemann am österreichischen Vorentscheid teil – und hätten fast gewonnen.

Grissemann: Ein Punkt fehlte.

Stermann: Wir glauben, dass der ORF uns nicht gewinnen lassen wollte. Nach der Entscheidung kam ein Bekannter, der die Sendung für den ORF gemacht hatte, zu uns. Er sagte nicht „schade“, ­sondern als ersten Satz: „Es ging ­alles mit rechten Dingen zu.“ Was uns bewies, dass dem nicht so war.

Dieses Jahr haben Sie mit Richard Klein eine Little-Richard-Parodie in den Vorentscheid geschickt. Hat wieder nicht geklappt.

Stermann: Das Lied war schlecht.

Grissemann: Nein, das war nur ein schlechtes Timing. In Wahrheit wäre unser Kandidat 1996 lustig gewesen, nicht 2011. Wer will heute noch Leute mit Perücke und angeklebtem Schnauzbart auf der Bühne sehen? Satire im Song Contest funktioniert nicht mehr, das ist so neunziger Jahre. Stefan Raab hat das rechtzeitig erkannt.

Stermann: Das zeigt auch den ­Unterschied zwischen Raab und uns. Wir haben zweimal am österreichischen Vorentscheid teil­genommen und nicht mal den ­gewonnen – was ja eine Kunst an sich ist. Raab gewinnt immer alles, weil der Mann einen Karriere-Plan hat. Das ist uns zu mühsam. Bei uns ist es so, dass wir, ­während wir die Ideen entwickeln, schon wieder keine Lust mehr drauf haben.

Grissemann: Das ist das Schlampige des Österreichers.

Mögen die Österreicher Lena?

Stermann: Mit deutschen Sympathieträgern ist es nach wie vor schwierig. Lena und auch der Eisbär Knut kamen nicht gut an.

Grissemann: Bitte? Wer hat sich in Österreich denn über Lena aufgeregt? Über Knut schon gar nicht. Alle Österreicher haben sich doch gefreut, als Knut gestorben ist.

Das Gespräch führte Jan Pfaff

Humor zu beschreiben, ist schwierig. Den Humor von Stermann und Grissemann zu beschreiben, ist besonders schwierig. Ihr Witz speist sich oft aus einem dahindriftenden Gespräch, das plötzlich ins Groteske kippt und so schreiend komisch wird. Weiterer Bestandteil ist das Ironisieren des gerade gemachten Witzes auf einer zweiten Ebene. Bei ihrer Deutschen Kochschau 3.0, mit der sie über deutsche und österreichische Bühnen touren, lässt sich das gut beobachten. Eine Nazi-Kochstudio-Parodie etwa lebt von Wortspielen wie "Jawoll, mein Rührer" oder: "Wollt ihr das totale Sieb?" Anschließend wird die Nummer von den beiden auf der Bühne auseinandergenommen und erklärt, warum Nazi-Parodien eigentlich nicht mehr gehen, aber trotzdem alle lachen.

In Österreich sind Dirk Stermann, 1965 in Duisburg geboren, und Christoph Maria Grissemann, 1966 in Innsbruck geboren, Stars. Ihre wöchentliche Sendung Willkommen Österreich kürte die Süddeutsche Zeitung 2010 zur lustigsten Late-Night-Sendung im deutschsprachigen TV. Alle 14 Tage moderieren sie außerdem auf dem RBB-Sender Radio Eins die Show Royale. Im Tropen Verlag sind unter dem Titel Speichelfäden in der Buttermilch gerade sämtliche Radio-Texte der beiden erschienen. Und Dirk Stermann veröffentlichte vergangenen Herbst mit Sechs Österreicher unter den ersten Fünf (Ullstein) den Roman einer Entpiefkenisierung. jap

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