Der Freitag: Sie haben 2005 damit angefangen, alle Kernkraftwerke Deutschlands sowie die Zwischen- und Endlager zu fotografieren. Was hat Sie daran interessiert?
Thorsten Klapsch: Mich hat vor allem die Architektur gereizt. Es sind Bauten, von denen jeder weiß, dass es sie in diesem Land gibt, die aber kaum jemand von innen gesehen hat. Im Verlauf der sechs Jahre, die ich an meinem Buch gearbeitet habe, habe ich mich erst langsam angenähert und zunächst nur von außen fotografiert, bis ich dann nach und nach die Genehmigungen für Innenaufnahmen bekam. 2005 waren die AKW-Standorte auch noch nicht in Google Maps verzeichnet, man musste sich das erst mühsam zusammensuchen. Das ist heute einfacher.
Es war also nicht Ihr Plan, eine aussterbende Energieform zu dokumentieren?
Nein, das hat sich im Nachhinein so ergeben. Ich hatte mich entschieden, in den Räumen keine Menschen abzubilden, weil ich wollte, dass die Bilder etwas Zeitloses haben – Menschen mit ihrer Kleidung lassen oft erkennen, aus welcher Zeit das Bild stammt. Mit heutigem Wissen sehen aber gerade diese leeren Räumen wie ein Abgesang auf die Atomenergie aus.
Die Inneinrichtungen der Leitstellen, Werkskantinen und Pausenräume der AKWs sind allerdings leicht einer bestimmten Zeit zuzuordnen. Viele Kontrollräume wirken wie Zeitkapseln der siebziger Jahre ...
Das hat mich fasziniert. Man kann hier Fortschrittsvorstellungen von einst betrachten, die Utopie unbegrenzter Energie. Die AKWs sind ja nicht-öffentliche, nicht-repräsentative Räume. Es kommen fast nie fremde Menschen dort hin, die mal sagen: „Oh, wie altmodisch sieht das aus.“ Deshalb besteht einfach auch keine Notwendigkeit, etwas zu ändern.
Ihre Bilder zeigen auch die Profanität des Alltags vor Ort.
Ja, wenn man sich bewusst macht, wo man sich da befindet, gibt es auch vieles, was für Außenstehende skurril wirkt. Zum Beispiel hat mich überrascht, dass es in jedem AKW einen Fitnessraum gibt.
Wofür das?
Die Mitarbeiter dürfen jeden Tag eine Stunde dort trainieren. Das wird ihnen als Arbeitszeit angerechnet.
Dass der Schattenriss des Kraftwerks auf dem Tablett in der Kantine abgebildet wird, muss man wohl auch zu den Skurrilitäten rechnen.
Da vergisst man jedenfalls nie, wo man gerade zu Mittag isst. Für viele Menschen, die direkt neben AKWs leben oder dort arbeiten, ist der Anblick der charakteristischen Kuppel ja auch so vertraut, dass sie sie gar nicht mehr groß wahrnehmen. Sie kennen die Landschaft nicht mehr anders. Ich habe Bilder mit Kernkraftwerken an idyllischen Flusslandschaften aufgenommen, da habe ich mich selbst gefragt, ob das jetzt zu „schön“ geworden ist. Aber das muss der Betrachter entscheiden.
Sie haben sich bei den Bildern bewusst um einen rein dokumentarischen Stil bemüht. Warum das?
Ich wollte diese zugespitzte Schwarz-Weiß-Debatte mit Grautönen füllen. Bei der Atomkraft sind die Menschen entweder extrem pro oder extrem kontra. Ich habe dazu auch eine Meinung – und zwar eine kritische –, aber ich denke nicht, dass es Aufgabe von Bildern ist, diese zu verbreiten. Deswegen wollte ich ideologiefrei da rangehen.
Aber kann man rein dokumentarisch ein AKW fotografieren? Das ist doch eines der politisch aufgeladensten Objekte überhaupt.
Ich halte nichts davon, wenn Kunst versucht, eine Botschaft zu verbreiten. Einen Teil der Bilder habe ich neulich in Berlin ausgestellt. Und zur Eröffnung kamen überzeugte Atomkraftgegner, aber auch Leute aus der Atomindustrie.
Die Reaktionen waren sicher unterschiedlich ...
Ich hatte ein Reaktorbild mit kontaminierten Werkzeugen in gelben Plastiktüten dort fast in Eins-zu-eins-Größe ausgestellt. Für die Leute aus der Industrie war es das Bild eines Arbeitsplatzes. Da wird gearbeitet, da passiert so was. Andere standen davor und waren geschockt. Ich denke, meine Bilder bekehren niemanden, aber sie könnten eine Diskussion zwischen diesen Positionen anstoßen.
Wie hat Fukushima Ihre Arbeit verändert?
Ich habe mich natürlich auch gefragt, ob ich weiter so nüchtern-dokumentarisch arbeiten kann. Aber ich glaube, das macht die Bilder sogar stärker. Sie emotional aufzuladen, wäre vielleicht der einfachere Weg gewesen, aber das hätte am Ende nur das Altbekannte wiederholt.
http://img40.imageshack.us/img40/9817/klapschisar029553online.jpgGaststätte in der Nähe des Kernkraftwerks Isar (alle Fotos: Thorsten Klapsch)http://img849.imageshack.us/img849/685/klapschbiblis028582onli.jpgReaktorgebäude, Kernkraftwerk Biblishttp://img684.imageshack.us/img684/3845/klapschgundremmingen029.jpg
Kantine, Kernkraftwerk Grundremmingenhttp://img545.imageshack.us/img545/4649/klapschrheinsberg016442.jpg
Gebäude mit Blick auf die Reaktorgrube und bereits entferntem Reaktor, Kernkraftwerk Rheinsberghttp://img832.imageshack.us/img832/2426/klapschsimulatorenonlin.jpg
Kontrollraum / Warte Typ D52, Kernkraftwerk Neckarwestheim, Simulatorzentrum Essenhttp://img267.imageshack.us/img267/3845/klapschgundremmingen029.jpg
Im Kühlturm, Kernkraftwerk Grundremmingenhttp://img196.imageshack.us/img196/2294/klapschrheinsberg016447.jpg
Pufferlager für radioaktive Abfälle, Kernkraftwerk Rheinsberghttp://img268.imageshack.us/img268/2620/klapschisar029852online.jpg
Sport-/Fitnessraum, Kernkraftswerk Isarhttp://img850.imageshack.us/img850/5140/klapschbiblis028444onli.jpg
Personenschleuse, Zugang Reaktorgebäude, Kernkraftwerk Biblishttp://img51.imageshack.us/img51/9401/klapschisar004online.jpg
Kernkraftwerk Isar
Thorsten Klapsch, geboren 1966, arbeitet in Berlin als Fotograf. Für seinen kürzlich erschienenen Bildband Atomkraft (Edition Panorama) fotografierte er alle deutschen Kernkraftwerke
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.