Berlin, ach Berlin. Es gibt ja böse Zungen, die behaupten, in dieser Stadt funktioniere nichts, aber auch gar nichts. Sie sei hässlich, dreckig und ein Sammelbecken für inkompetente Lokalpolitiker und Kreativdilettanten auf Hartz IV. Diese Schmähkritik ist natürlich nicht nur gemein, sie versteht die Stadt auch nicht wirklich. In Berlin funktioniert einiges – allerdings nach sehr eigenen Gesetzen, die außerhalb der Stadtgrenzen dann doch eher Kopfschütteln hervorrufen.
Da gibt es zum Beispiel den "Boulevard der Stars" am Potsdamer Platz. Gut, zugegeben, ein etwas unwirtlicher Mittelstreifen inmitten einer Hauptverkehrstraße, die an dieser Stelle noch eingeklemmt wird von Hochhäusern. Aber hier, an diesem abgasgeschwängerten Ort, inszen
rt, inszeniert sich die Stadt so, wie sie gern wäre: Filmstadt und Glamourmetropole, ein wenig Hollywood und amerikanische Showbiz-Leichtigkeit, gepaart mit Berliner Lokalstolz.Allerdings kämpft der Boulevard der Stars, wie das in Berlin ja oft so ist, gegen missliche Gegebenheiten. Kurz nach der Eröffnung im September 2010 liefen die Messingsterne, mit denen Filmgrößen geehrt werden, matt an. Über den roten Bodenbelag, der aussehen sollte wie der Teppich bei einer Filmpremiere, legte sich ein grauer Schleier – und dann gab es auch noch Vandalismus, ein Stern wurde geklaut und Jugendliche spuckten ihre Kaugummis auf den Boulevard.Berlins VisionenBerlin wäre aber nicht Berlin, wenn es sich von solchen Widrigkeiten von der Verwirklichung seiner Visionen abbringen ließe. Und so sind an diesem Montagnachmittag knapp 50 Zuschauer und mindestens genauso viele Foto- und Fernsehjournalisten gekommen, um der mittlerweile dritten Eröffnung des Boulevards nach seiner zweiten Renovierung und einer Erweiterung um 20 neue Sterne auf nun 81 beizuwohnen. Stars sind natürlich auch da: Thomas Gottschalk, Bully Herbig, Katharina Thalbach, Hannelore Hoger.Und damit keiner sagt, der Regierende Bürgermeister sei abgetaucht, nur weil er immer wieder kritische Fragen zu einem anderen Berliner Bauprojekt mit ein paar Anlaufschwierigkeiten gestellt bekomme, ist natürlich auch Klaus Wowereit da. Hier wird ihn ja wohl keiner nach dem F-Wort fragen. Mit leichter Bräune im Gesicht und offenem Hemdkragen tritt er betont entspannt an das goldene Absperrband heran, das er durchschneiden soll.Wowereit hat schwere Tage hinter sich. Früher war er der Partymeister einer armen, aber hippen Großstadt. Manche raunten, er könne ja vielleicht sogar SPD-Kanzlerkandidat werden. Heute nimmt Berlin wegen des Baudesasters um den neuen Flughafen bei einer Image-Studie der 16 Bundesländer den letzten Platz ein, hinter Rheinland-Pfalz mit dem Millionengrab Nürburgring. Wowereit selbst ist beim Ranking der beliebtesten Politiker in Berlin hinter CDU-Mann Frank Henkel zurückgefallen, den nicht mal eigene Parteifreunde für nur annähernd charismatisch halten.Aber Wowereit wäre nicht Wowereit, wenn er sich von solchen Widrigkeiten aus der Ruhe bringen lassen würde. Also unterhält er sich lachend mit einem alten Mann in einem hellen Sommeranzug. Sir Kenneth Adam hat für James-Bond-Filme und für Stanley Kubrick legendäre Filmarchitektur entworfen – und ist an diesem Nachmittag der einzige Gast mit einem neuen Stern, der aus dem Ausland angereist ist.Wowereit scherzt mit ihm, dann dankt er der gemeinnützigen Boulevard der Stars GmbH, denn das sei ja ein hervorragendes Beispiel für privatwirtschaftliches Engagement. Dazu, dass in diesem Jahr kaum Spender gefunden wurden und die Stadt deswegen die 200.000 Euro für die Erweiterung komplett allein bezahlt, sagt er lieber nichts. Wenn das die Bayern mit ihrem Länderfinanzausgleich wieder hören!Der Regierende greift zur Schere, schnipp-schnapp, los geht’s, den dritteröffneten Boulevard entlang. An jedem neuen Stern steht ein Teenager mit einem Bündel roter Luftballons. Wowereit posiert mit den geehrten Filmschaffenden vor deren Sternen. Die Kameras klicken, dann werden die Ballons fliegen gelassen und Wowereit ruft jedes Mal „Oooh“, gespielt übertrieben, als nehme er diesen Berliner Glamourversuch selbst nicht so richtig ernst."That’s Thomas Gottschalk"Bei den Geehrten gibt es klare Hierarchien. Bully Herbig und Thomas Gottschalk ziehen die meiste Aufmerksamkeit auf sich. Als sie bei ihren Sternen posieren, bitten die Fotografen Wowereit nicht mit aufs Foto. Herbig und Gottschalk strahlen allein. Eine spanische Touristin, die am Rand steht, fragt, was dieses Aufsehen um den großen Blonden in dem komischkarierten Anzug soll. "That‘s Thomas Gottschalk", erklärt ihr ein Berliner. Sie zuckt mit den Schultern.Während die meisten Journalisten bei Gottschalk und seinem Stern hängenbleiben, schreitet Wowereit mit weniger Zuschauern die letzten Stationen auf dem Boulevard ab. Er oooht bei den Ballons und schüttelt den Nachfahren von Karl Valentin und Friedrich Wilhelm Murnau die Hand.Dann wollen die Fernsehteams noch ein Statement. Wowereit stellt sich auf, erzählt, dass Berlin ja eine große Filmstadt sei, dass man auf die großen Zeiten der Weimarer Republik zurückblicke. Heute würde man jedes Jahr mit der Berlinale beweisen, wie filmverliebt Berlin sei. Und deswegen sei er sich sicher, dass auf dem Boulevard, auf dem noch Platz für viele weitere Sterne sei, bald auch noch welche für ein paar große internationale Filmstars hinzukämen.Eine Fernsehjournalistin braucht noch etwas Persönliches. "Was bedeutet dem Privatmensch Wowereit Kino? Gehen Sie sich auch Filme anschauen?" Der alte Wowereit hätte nun groß ausgeholt und von seiner unstillbaren Liebe zum Kino gesprochen. Der Wowereit an diesem Nachmittag sagt nur: "Ja, das mache ich auch."Am Abend kommt dann die Meldung, dass die Eröffnung des neuen Berliner Großflughafens zum dritten Mal verschoben wird.