Swisch. So klingt es, wenn beim Basketball der Ball ohne Ringberührung durchs Netz rauscht. Wenn der Spieler alles richtig gemacht hat und der Ball sich nach dem höchsten Punkt der Flugkurve rechtzeitig senkt, um im optimalen Winkel durch den Ring zu fallen. Der perfekte Wurf ist nur eine Frage angewandter Physik. Davon ist Holger Geschwindner überzeugt – und deshalb hat er 1994 begonnen, einen Teenager zu trainieren und der Welt zu beweisen, dass sich Erfolg auf dem Basketballfeld generalstabsmäßig planen lässt.
Herausgekommen ist ein deutscher Superstar in den USA. Geschwindner ist der Mann hinter Dirk Nowitzki, dem besten deutschen Basketballer aller Zeiten, der seit 15 Jahren für die Dallas Mavericks aufläuft, sie 2011 zur NBA-Meisterschaft führte und mit über 26.000 Punkten mittlerweile zu den zehn erfolgreichsten Spielern in der statistikgesättigten Geschichte der härtesten Profiliga gehört.
Geschwindner steht folgerichtig auch im Zentrum des Dokumentarfilms Nowitzki. Der perfekte Wurf, der das ungewöhnliche Mentorenprogramm nachzeichnet und dabei zeigt, wie im Profisport ein Star geschaffen wird. Denn der kommerzielle Sport braucht ja immer wieder diese Erzählungen von großen Helden, die sich aus kleinen Verhältnissen ganz nach oben kämpfen – was sich in Nowitzkis Fall gut mit dem Kontrast zwischen seinen Anfängen in fränkischen Schulturnhallen und dem heutigen Auflaufen in riesigen US-Arenen mit ihrem aufgedrehten Showprogramm visualisieren lässt.
Unverzichtbar zur Starwerdung dazu gehört auch die Betonung der harten Arbeit. Und so zeigt die Kamera, wie sich ein 2,13 Meter großer Mann mit schmerzverzerrtem Gesicht bei Yoga-Übungen verdreht, um gegen seine Hüftsteifheit anzukämpfen. Wie er Gewichte stemmt und mit großem Gleichmut die immergleichen Übungen vor dem Korb abspult, weil jede minimale Abweichung von den trainierten Abläufen über Sieg und Niederlage entscheiden könnte.
Die Ideen von Holger Geschwindner gehen aber weit über das übliche Korbwurftraining hinaus. Er spielte früher selbst Basketball, war bei der Olympiade 1972 in München Kapitän der deutschen Nationalmannschaft. Später studierte er Mathematik und Physik, arbeitete am Max-Planck-Institut. Am Schreibtisch, glaubt Geschwindner, hat er den perfekten Wurf entworfen. Er habe „alles, was wir über Basketball wissen, in den Computer geprügelt“. Erdanziehung, Größe und Gewicht der Bälle, Nowitzkis Körpermaße – Ziel war es, eine Flugkurve zu finden, die noch kleine Fehler in der Wurfbewegung verzeiht. Wegen dieser Berechnungen wirft Nowitzki eine höhere Kurve als viele seiner NBA-Kollegen. Und die Trefferquoten geben seinem Mentor Recht.
Eine andere Geschwindner-Idee lautet: „Basketball ist Jazz.“ Genauso wie Jazzmusiker perfekt ihr Instrument beherrschen und im Team harmonieren müssen, bevor sie Soli spielen können, müsste ein Basketballer die richtige Balance zwischen Gesetzmäßigkeit und Improvisation, zwischen Regeln und Anarchie finden. Also schenkte Geschwindner Nowitzki ein Saxofon und ließ ihn zu Jazz dribbeln und werfen.
Zu einer klassischen Heldengeschichte, wie sie Regisseur Sebastian Dehnhardt erzählt, gehören aber auch schwierige Entscheidungen. 1998 soll der 20-jährige Nowitzki sein damaliges Team, die DJK Würzburg, in einem entscheidenden Spiel in die erste Bundesliga führen. Stattdessen fliegt Geschwindner mit ihm zu einem Spiel von Nachwuchstalenten nach Texas – Nowitzki lässt seine Kameraden im Stich, wird dadurch aber erst für die NBA entdeckt.
In seinem ersten Jahr in Dallas gelingt ihm wenig, er sitzt viel auf der Bank. Europäer gelten schnell als zu weich für die körperliche amerikanische Spielweise. Als No-win-ski wird er verspottet. Aber durch die Überwindung von Rückschlägen wird der Held überhaupt erst geschaffen – und so betont Nowitzki, ganz im Einklang mit den Konventionen des Genres, in seinen Interviews immer wieder, dass ihn seine Niederlagen nur stärker gemacht hätten.
Der Film setzt auch auf die Überwältigungsästhetik der Bildermaschine NBA, spektakuläre Spielszenen werden in extremen Zeitlupen zelebriert, dazu stampft der Bass, E-Gitarren kreischen. Dem gegenüber steht die betonte Bodenständigkeit des Protagonisten. Der Rummel um seine Person ist Nowitzki oft unheimlich: „Ich kann relativ gut einen Ball in ein Körbchen reinschmeißen, aber es gibt wahrscheinlich tausend andere Leute, die in ihrem Job genauso gut sind wie ich, die keine Sau kennt“, sagt er nachdenklich. Und hat natürlich Recht. Aber das mit dem Ball-ins-Körbchen kann er halt wirklich richtig gut.
Nowitzki. Der perfekte Wurf Sebastian Dehnhardt Deutschland 2014, 105 Minuten
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