Der Freitag: Herr Bernard, Sie beschäftigen sich seit längerem mit Diskursen um neue Reproduktionstechniken. Wie beurteilen Sie die aktuelle Debatte um Social Freezing?
Andreas Bernard: Zunächst fällt auf, dass man gezwungen ist, einen Pro- oder Contra-Standpunkt einzunehmen. Ich sollte vor kurzem zu Günther Jauchs Talkshow zu dem Thema eingeladen werden. Im Vorgespräch sagte der Redakteur: „Wir haben viel von Ihnen dazu gelesen, aber sind Sie nun dafür oder dagegen?“ Ich antwortete: „Diese Unterscheidung interessiert mich nicht so besonders.“ Schon war ich wieder ausgeladen.
Aber warum ist die Diskussion so explodiert?
Eine Rolle spielte sicher, dass in der Meldung die Firmen Apple und Facebook auftauchten. Wenn man sich länger mit dem Thema beschäftigt, weiß man, dass es in elitären amerikanischen Anwaltskanzleien seit zwei Jahren gang und gäbe ist, dieses Angebot zu unterbreiten. Aber erst die Verbindung zwischen Silicon Valley und Reproduktionsmedizin hat zu dieser medialen Welle geführt.
Weil das an Dave Eggers’ vieldiskutiertes Buch „Der Circle“ erinnert? Der Social-Media-Riese, der in seinem totalitären Streben auch vor dem Körper des Menschen nicht haltmacht.
Auf der einen Seite geht es um das Wissen über den Menschen, das von Firmen wie Facebook, Google oder Apple in immer feineren Nuancen gespeichert wird. Und auf der anderen Seite steht das Privateste überhaupt, das Kinderkriegen. Die Verbindung von beidem bereitet Unbehagen.
Ein Problem der aktuellen Debatte ist aber auch, dass sie Kinderkriegen wieder zur reinen Frauenfrage erklärt. Dabei sind Männer ja ein Teil der Gleichung.
Das stimmt. Es ist aber schwierig, sich als Mann dazu zu äußern. Wenn Männer, die mit 60 Jahren immer noch Vater werden können, Social Freezing ablehnen, verweigern sie Frauen die Möglichkeit, in diesem Bereich gleichgestellt zu werden. Deshalb finde ich, dass ich als Mann tendenziell den Mund zu halten habe, wenn eine Frau sagt, sie möchte Eizellen einfrieren. Aber man kann immerhin darauf hinweisen, dass das zu kulturellen Verschiebungen führt: eine weitere Ökonomisierung privater Bereiche, eine Ausweitung der Kultur der Vorsorge ...
Was meinen Sie damit?
Bis vor kurzem waren jene Frauen, die sich einem reproduktionsmedizinischen Eingriff unterzogen, medizinisch behandlungsbedürftig: verschlossene Eileiter, Gebärmutterkrankheiten, bevorstehende Chemotherapie. Nun ist es zum ersten Mal so, dass gesunde junge Frauen aus dem Gedanken der Vorsorge heraus diesen Eingriff durchführen lassen. Das passt zur heutigen Vorsorgekultur, wo man rechtzeitig eine Darmspiegelung macht, um ein Krebsrisiko auszuschließen. Oder Rad nur noch mit Helm fährt.
Zur Person
Andreas Bernard, geboren 1969, ist Journalist und Kulturwissenschaftler an der Leuphana-Universität Lüneburg. Zuletzt erschien von ihm: Kinder machen. Neue Reproduktionstechnologien und die Ordnung der Familie (S. Fischer)
Vorzusorgen ist ja nichts Schlechtes.
Es hat aber eine Kehrseite. Bestimmte Krankheiten oder Unfälle werden nicht mehr als Schicksalsschlag wahrgenommen, sondern als Konsequenz eines Laissez-faire: „Warum bist du nie zur Vorsorge gegangen?“ Es ist vorstellbar, dass sich eine Frau, die 37 Jahre alt ist und früh die Menopause erreicht, bald die Frage anhören muss: „Warum hast du nicht vorgesorgt?“
In Ihrem Buch „Kinder machen“ zeigen Sie, wie gesetzliche Regelungen für Reproduktionstechniken durch ein Ausweichen ins Ausland oft umgangen werden. Haben Gesetze da überhaupt einen Sinn?
Wenn man vergleicht, wie viele Leihmutterschaftsgeburten es in Kalifornien gibt und wie viele in Deutschland, wird deutlich: Das Recht hat selbstverständlich eine bestimmte Macht. Global betrachtet verschiebt man dabei aber nur die Ströme – ein bisschen wie beim Drogenhandel. Die Zahl deutscher Paare, die vor den Spannungen in die Ukraine gefahren sind, um dort von einer Leihmutter ihr Kind austragen zu lassen, war schon enorm.
Dienen die Gesetze da vor allem unserer Beruhigung?
Ja, was mich bei meinen Recherchen aber interessiert hat, war die Frage: Warum sind die Gesetze so? Und da gibt es immer wieder einen auffälligen Punkt: die Geschlechterdifferenz. Die Samenspende wird überall liberaler gehandelt als die Eizellenspende oder gar die Leihmutterschaft. Das legt den Verdacht nahe, dass sich unter der rationalen Oberfläche der Reproduktionsmedizin archaische Geschlechterbilder verbergen.
Na ja, die Eizellenspende ist kein kleiner körperlicher Eingriff. Die Leihmutterschaft ein noch größerer.
Natürlich. Aber wenn man die Erklärungen der Bundesregierung zu den Verboten liest, entdeckt man, dass die Samenzelle nicht so stark an Vaterschaft gekoppelt wird wie die Eizelle an Mutterschaft. Das heißt, man geht weiter davon aus, dass eine Frau stärker mit dem Kind verbunden ist – und sei es nur über eine Eizelle – als ein Mann.
Leihmutterschaft ist aber auch umstritten, weil westliche Paare vom sozialen Gefälle profitieren und sich in armen Ländern das Kind austragen lassen.
Das ist ganz zweifellos ein biokolonialistischer Akt. Ich habe eine Leihmutter in der Ukraine getroffen, die mit einer Schwangerschaft das Dreifache ihres Jahresgehalts verdient. Es gibt Frauen, die damit klarkommen. Auf der anderen Seite hat man Paare, die nach Jahren der Verzweiflung eine Chance sehen. Insofern mag es für alle Beteiligten aushaltbar sein, aber in einem größeren politischen Rahmen betrachtet, ist es sicher ein zweifelhaftes Arrangement.
Oft wird die Frage diskutiert: Sind die neuen Arten, wie Kinder entstehen, eine Gefahr für die Familie?
Es gibt die Angst, die Aufweichung der Blutsverwandtschaft würde die Familie aushöhlen. Das Gegenteil ist meines Erachtens der Fall. Ich habe immer wieder erlebt, dass das Familienmodell dort besonders intakt ist, wo die Kinder nicht konventionell gezeugt wurden. Wenn man sich US-Serien über Regenbogenfamilien wie Modern Family oder The L Word anschaut, sieht man, dass es diese Familien sind, die bürgerliche Rituale wie das gemeinsame Essen aufrechterhalten. An der Re-Biedermeierisierung der letzten Jahre haben Regenbogenfamilien erheblichen Anteil.
Die neuen Reproduktionstechniken führen eher zur Aufwertung der Familie?
Ja, einfach weil man durch In-vitro-Fertilisation nicht zufällig schwanger wird. All das, was Familien in den vergangenen Jahrhunderten oft hervorgebracht hat – eheliche Pflicht, Zufall, One-Night-Stands in angeheitertem Zustand –, gibt es in der Kultur der technologischen Reproduktion nicht. Die Familiengründung ist hier ein völlig bewusster Akt.
Hängt es auch mit der neuen Reproduktionskultur zusammen, dass sich die Rolle des Vaters wandelt?
Ich glaube schon, dass diese Techniken etwas an der Rolle des Mannes verändern. Social Freezing, Samenspenden für lesbische Paare – das sind auch Ermächtigungstechniken. Sie machen den Mann als Person ersetzbar. Wenn es für eine alleinstehende Frau reicht, sich eine Samenprobe zu kaufen, um ein Kind zu bekommen, verändert das im gesellschaftlichen Rahmen auch die Rolle des Vaters.
Das zeigt sich auch in der Social-Freezing-Debatte?
Die Diskussion war vielleicht auch deshalb so laut, weil da das Angstgezwitscher von Männern in Führungsetagen hineinspielte.
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