Ein Schelm, wer nun das Netz entdeckt

Netzgeschichten Der CDU-Politiker Peter Altmaier befindet sich auf Entdeckungsreise in einer unbekannten Welt: dem Internet. Er arbeitet an einem Pikaro-Roman für das 21. Jahrhundert

In der Literaturgeschichte kennt man aus dem 16. Jahrhundert den Schelmen- oder Pikaro-Roman. Aufgrund seiner niederen Geburt ist der Held, der Picaro, ungebildet, aber mit Bauernschläue ausgestattet. Er verlässt sein abgelegenes Dorf, um die Welt kennenzulernen, staunt und erlebt die Reise als Erweckungserlebnis. Die naiven Beschreibungen aus der Ich-Perspektive haben dabei eine groteske Komik. So weit, so literaturhistorisch.

An einem Update des Schelmenromans für das digitale Leben im 21. Jahrhundert arbeitet derzeit der CDU-Politiker Peter Altmaier. Seit 1994 sitzt er für die Union im Bundestag, unter Kohl galt er mal als "junger Wilder". Heute soll er als Parlamentarischer Geschäftsführer dafür sorgen, dass die Fraktion abstimmt, wie die CDU-Spitze das wünscht. Für die Rolle des Schelmen im Jahr 2011 prädestiniert ihn aber nicht seine Herkunft (Vater Bergmann, Mutter Krankenschwester), sondern dass ihm die gesellschaftlichen Veränderungen durch das Netz bisher "nicht einmal im Ansatz klar" waren.

So hat Altmaier in einem Aufsatz in der Frankfurter Allgemeine Zeitungaufgeschrieben, dass er eine völlig neue Welt entdeckt hat, weil er nicht nur E-Mails schreibt, sondern – man glaubt es kaum – nun auch twittert. Es ist eine Welt, schreibt Altmaier, in der "wichtige, interessante oder lustige Nachrichten manchmal wie ein Feuersturm durch das Netz rasen". Ist nicht wahr? Aber es kommt noch besser. In dieser Welt gibt es auch ein Ding, das nennt sich Schwarmintelligenz. Und das hat dafür gesorgt, dass die Dissertation eines "bedeutenden deutschen Politikers" innerhalb von zwei Wochen auf Plagiate überprüft wurde. Donnerlittchen!

Man erkennt die ausgestellte Naivität des Picaro. Völlig im Genre verortet Altmaier sich in einer dazugestellten Chronik. Da erzählt er, dass er nach dem Erfolg der Piratenpartei in Berlin bei Anne Will sitzt und drei Viertel des Publikums "begeisterungsfähige Piraten" seien. "Wo sie plötzlich herkommen, ist ein Rätsel. Ich denke an Twitter und Facebook, und habe eine Ahnung." Am 23. September reservieren seine Mitarbeiter ihm den Twitter-Account @peteraltmaier. "Noch bevor ich den ersten Tweet gelassen habe, melden sich mehr als 150 Follower. Ich bin fasziniert." Nun gibt es kein Halten mehr: "ja, twittern ist so schön wie S-Bahnfahren nach einem langen arbeitstag!" Und das in Berlin!

Der Autor eines Schelmenromans ist natürlich viel klüger als sein Held. Aber ein Schelm wäre wohl auch, wer hinter Altmaiers Netzbegeisterung nur eine Ranschmeiße an die jüngeren Wähler vermutet.

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