Einfallstor der Segregation

Armentür Immobilienblocks mit zwei Eingängen – einer für Reiche und einer für Ärmere: Die „Poor Door“ erhitzt die Gemüter in London und New York
Ausgabe 39/2014

Die "gebaute Haut" der Gesellschaft nannte der Soziologe Georg Simmel die Häuser, in denen wir leben und arbeiten. In der Architektur einer Stadt werden soziale und kulturelle Unterschiede zu Stein. Zugleich wird mit der Gestaltung des öffentlichen Raums aber auch eine Idee formuliert, wie ein Zusammenleben von Fremden funktionieren könnte.

Es ist nützlich, sich dies kurz in Erinnerung zu rufen, um zu verstehen, warum ein architektonisches Detail sowohl in New York als auch in London größere Gesellschaftsdebatten auslöst. In beiden Städten gibt es Empörung über neue Immobilienblocks, die zwei Eingänge haben – einen für Reiche und einen für Ärmere. Die Poor Door, die Armentür, erhitzt die Gemüter.

Hintergrund ist, dass Immobilienentwickler Genehmigungen und knappen Baugrund in den Metropolen oft nur noch bekommen, wenn sie neben Luxusapartments eine bestimmte Zahl preisgebundener, günstiger Mietwohnungen mitbauen. Eine eigentlich gute Idee, der Entmischung der sozialen Milieus mittels Auflagen entgegenzuwirken, sorgt so für eine neue Form der Segregation.

Nicht wie Normalsterbliche

Denn Menschen, die mehrere Millionen für eine Wohnung ausgeben – die teuerste im One-Riverside-Park-Gebäude auf der Upper West Side gibt es für 25 Millionen Dollar –, möchten offenbar nicht durch dieselbe Tür ihr Zuhause betreten wie Normalsterbliche. Die Immobilienfirmen argumentieren, für den Luxuseingang mit Lounge, Ledersesseln und Concierge am Empfang würden laufende Kosten anfallen, die man Menschen mit geringerem Einkommen nicht zumuten möchte.

Der Guardian befragte in London Mieter von preisgebundenen Wohnungen mit Extraeingang und fand für ihre Erfahrungen einen neuen Begriff: die „Seitentür-Scham“. Was den Betroffenen zu schaffen macht, sind nicht die paar Meter, die sie extra um die Ecke laufen müssen, sondern das Gefühl, nicht dazuzugehören, Angehöriger einer niedrigeren Klasse zu sein.

Umgekehrt ist es genau das Gefühl, jemand Besseres zu sein, das sich die Luxusapartment-Besitzer kaufen. Warum sonst sollten sie so viel Geld ausgeben, um in einer Metropole zu wohnen, sich dann aber bestimmten Eigenheiten des Großstadtlebens wie dem zufälligen Zusammentreffen mit Fremden anderer Milieus konsequent entziehen? Der New Yorker Bürgermeister Bill de Blasio will nun mit Auflagen weitere Poor Doors verhindern. Er kann sich schon mal auf eine Antragsschwemme für Hubschauberlandegenehmigungen auf neuen Gebäuden einstellen.

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