"Engagement muss einfach sein"

Bewegungsaufbau Der Journalist Daniel Boese hat die weltweite Klimaschutzbewegung und ihre Akteure analysiert. Was lässt sich aus den Kampagnen lernen?

Der Freitag: Herr Boese, Sie haben für Ihr Buch die relativ junge Bewegung der Klimaschützer beobachtet. Was unterscheidet sie von der 30 Jahre älteren Umweltschutzbewegung?

Daniel Boese: Ein wichtiger Unterschied ist, dass das Klimaproblem eine klare Deadline hat. Man muss es schnell angehen, sonst ist es definitiv zu spät. Die alte Umweltbewegung hat sich dagegen einem Problem nach dem anderen gewidmet: Waldsterben, Schadstoff-Belastung in Flüssen, Artenschutz ...

Und was folgt daraus?

Die Klimabewegung ist sehr pragmatisch. Es fehlt der große moralische Zeigefinger, der viele Menschen an der alten Umweltbewegung gestört hat. Dafür ist Umweltbewusstsein heute zu sehr gesamtgesellschaftlicher Konsens, als dass man die Forderungen so stark absichern müsste. Die Klima-Aktivisten wissen zudem, dass sie das Problem nicht ohne große Investitionen von Unternehmen lösen können. Deshalb fehlt auch der ganz harte Anti-Kapitalismus.

Man schließt Kompromisse ...

Ja, man sieht, dass der globalisierte Kapitalismus die Krise verursacht, aber man arbeitet auch mit Unternehmen zusammen, die zum Beispiel ihre Produktionsweise umstellen wollen.

Woher kommt dieser große Pragmatismus?

Viele Aktivisten sind wahnsinnig gut informiert. Durchs Internet ist es heute leicht möglich, sehr aktuell und detailliert über die Themen informiert zu sein – und damit auch über die damit verknüpften Schwierigkeiten. Die Fakten der Wissenschaftler sind ja eindeutig. Als ich das eingehender recherchiert habe, drängte sich mir zunächst vor allem eine Frage auf: Warum rennen die Wissenschaftler nicht schreiend auf die Straße?

Und, warum machen sie’s nicht?

Es ist einfach nicht ihr Job. Sie sind keine Aktivisten. Für Wissenschaftler ist es wegen ihrer Glaubwürdigkeit wichtig, neutral zu bleiben. Wenn sie sich engagieren, handeln sie sich damit viel Ärger ein.

In Ihrem Buch porträtieren Sie viele Aktivisten der neuen Klima­bewegung – alle relativ jung. Ist das eine Jugendbewegung?

Das Klimaproblem ist ganz klar auch ein Generationenkonflikt. Die Entscheidungen, die man heute trifft, beschränken die Handlungsfreiheit der Menschen unter 25 und jene der ungeborenen Generationen. Die Entscheidungen treffen in Unternehmen und Politik aber immer noch hauptsächlich Männer über 50. Da ist die Perspektive eine andere. Hinzu kommt bei der Bewegung, dass die Jüngeren sehr fit darin sind, den Schwung aus den Sozialen Medien zu nutzen, um breite Kampagnen für alle Altersschichten zu initiieren. 350.org ist ein gutes Beispiel.

Eine internationale Kampagne, die sich zum Ziel gesetzt hat, dass CO2 in der Atmosphäre wieder auf 350 Teilchen per Millionen Gasmoleküle zu senken. Momentan liegt der Wert bei 390.

Die große Leistung von 350.org ist es, zunächst in den USA und dann weltweit der Klimabewegung ein Gesicht gegeben zu haben. Das haben die alten Umweltorganisationen verschlafen. Sie haben Lobbyismus gemacht – und der war nicht sichtbar. 350.org hat auf breit angelegte Aktionen gesetzt. 2007 haben sie in 40 US-Bundesstaaten gleichzeitig Aktionen organisiert, das alles im Internet dokumentiert – und so Barack Obama und Hillary Clinton im Wahlkampf zu Veränderungen in ihrer Klimapolitik gebracht. Wenn man sich dagegen in Deutschland die Klimaallianz anschaut, ist das ein Zusammenschluss, in dem jede Organisation ihren kleinen Acker bestellt. Sie kriegen es aber nicht auf die Reihe, gemeinsam größere Sachen auf die Beine zu stellen. Da fehlt noch dieser Innovationsschub.

Sie haben selbst mit "Bewegungsaufbau" experimentiert – etwa mit einiger Resonanz dazu aufgerufen, an Angela Merkel Grillkohle-Pakete zu schicken. Anderes verpuffte aber. Was lernt man da?

Es gibt nicht eine starre Liste, die man abarbeiten kann, und dann funktioniert

Oft flackert der Protest schnell auf, verschwindet aber bald wieder. Wie kriegt man es hin, einen andauernden Druck aufzubauen, um etwas zu verändern?

Die Aufgabe von Aktivisten ist es, Engagement einfach zu machen. Es ist ja nicht so, dass die Menschen das Klimaproblem nicht kapieren würden. Sie stecken nur in ihrem Alltag drin und haben ihre aktuellen Probleme. Ein alter Fehler der Umweltbewegung ist es, den Menschen da noch ein Problem aufzudrücken: „Mach’ dir Sorgen um das Klima!“ Gute Kampagnen machen es möglichst vielen leicht, zu einer bestimmten Aktion zusammenzukommen. Die Aktivisten planen dann genau, wie man eine Kampagne so aufbaut, dass punktuelles Engagement von sehr vielen und langfristiges Engagement von wenigen in tatsächliche Veränderungen mündet.

Die Klimaaktivisten versuchen auch, von erfolgreichen sozialen Bewegungen zu lernen.

Ja, in den USA nutzt man unter anderem die Erfahrungen der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung für den Klima-Kampf, etwa die Methode des zivilen Ungehorsams. Im August haben sich zwei Wochen lang jeden Tag 100 bis 200 Leute vor dem Weißen Haus verhaften lassen, um zu verhindern, dass Obama eine unglaublich umweltverdreckende Teersand-Pipeline von Kanada nach Texas genehmigt. Am 6. November soll nun das Weiße Haus umzingelt werden, um Obama an sein Versprechen zu erinnern: „Wir beenden die Tyrannei des Öls.“

Finanzkrise und Occupy-Bewegung verdrängen das Klimaproblem in der öffentlichen Wahrnehmung aber gerade völlig.

Die öffentliche Wahrnehmung ist ein launisches Biest. Sie kann sehr hohen Druck erzeugen, der etwas bewegt. Ohne sie hätte es sicher nicht den zweiten Atomausstieg in Deutschland gegeben. Nur: Im Moment interessiert das Klimaproblem tatsächlich kaum jemanden. Damit müssen Bewegungen aber umgehen. Sie müssen in bestimmten Momenten bereit sein, groß zu werden – und in den Zeiten dazwischen Fundamente einziehen und ihre Stärken ausbauen. Das geht einfach in Wellen.

Daniel Boese arbeitet als Online-Redakteur beim Kunstmagazin art. Für sein Buch Wir sind jung und brauchen die Welt (Oekom Verlag) recherchierte er mehrere Jahre über Akteure, Strukturen und Entwicklung der Klimaschutzbewegung. Er bloggt dazu auch unter: danielboese.de

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