Ganz sicher?

Porträt Samuel Meffire war der erste schwarze Polizist im ­Osten und Star einer Imagekampagne. Dann stürzte er ab, beging Überfälle und saß im Gefängnis. Nun schreibt er Thriller

Er hat die Haare kurz rasiert, so wie damals auf dem Foto, das ihn berühmt machte. Aber die Härte ist aus seinem Gesicht verschwunden, er lächelt oft. „Der Druck ist weg“, sagt Samuel Meffire. Er sitzt in einem schicken Café unweit des Bonner Hauptbahnhofs, trinkt grünen Tee und spricht von den Vorzügen des ruhigen Lebens: eine überschaubare Stadt, Abende mit der Freundin im Programmkino – und vor allem keine Gewalt.

Es wirkt, als habe er seine Vergangenheit hinter sich gelassen. Und doch kehrt er in Gedanken immer wieder an die Wendepunkte seiner Biografie zurück: an jene Momente, die ihn erst zum Helden machten, zum ersten schwarzen Polizisten Ostdeutschlands, zur Werbeikone für Sachsen. Und an die Zeit danach, in der er abstürzte, mehrere Raubüberfälle beging, nach Afrika flüchtete, sich schließlich stellte und zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Im August 2002 wurde er nach knapp sieben Jahren wegen guter Führung entlassen. Seit drei Jahren lebt er nun in Bonn.

Der Freitag: Herr Meffire, haben Sie eigentlich noch eine Anzeige der Imagekampagne, die Sie 1992 bekannt machte?

Samuel Meffire: Nein, das ist alles weg. Ich hatte früher in meiner Wohnung sogar ein zwei Meter großes Plakat, das ich aus einer ZDF-Sendung mitgenommen habe. Aber als ich nach den Überfällen geflüchtet bin, hatte ich nur noch einen Rucksack mit ein paar Klamotten dabei.

Fragen Sie sich manchmal, was passiert wäre, wenn Sie bei der Kampagne nicht mitgemacht hätten?

Das habe ich mich oft gefragt. Vielleicht wäre alles anders gekommen, ich hätte vielleicht nicht bei der Polizei gekündigt und wäre heute Kriminalobermeister in Dresden. Sebastian Turner von der Werbeagentur Scholz Friends stand 1992 vor einem Tisch, der bedeckt war mit unzähligen Fotos von Afro-Deutschen. Er wählte meines aus, aber er hätte genauso gut ein anderes nehmen können.

Die Kampagne warb für ein weltoffenes Sachsen. In einer Zeit, in der das bitter nötig war. Im Jahr zuvor hatten in Hoyerswerda hunderte Bürger applaudiert, als Rechtsextreme gegen Ausländer wüteten und Molotow-Cocktails warfen.

Ich lebte damals in Dresden, dort marschierten oft Neonazis zu Hunderten durch die Straßen. Ich habe mich nie sicher gefühlt.

Erinnern Sie sich an eine bestimmte Situation?

Es war Spätherbst und schon dunkel, als ich vom Sport nach Hause kam. Ich bog in meine Wohnstraße ein und sah, wie sich 100 Meter weiter Neonazis einen Punker geschnappt hatten – damals war es eine beliebte Praxis, Leute zu Boden zu prügeln. Wenn sich das Opfer nicht mehr bewegen konnte, legte man es mit dem Kopf auf den Bordstein und trat ihm die Zähne aus. Sie waren gerade dabei. Und ich bin nicht hingegangen – ich bin weggerannt und habe mich über Hinterhöfe in meine Wohnung geschlichen. Da saß ich die ganze Nacht wach. Ich schämte mich, dass ich nicht geholfen hatte. Und gleichzeitig hatte ich unglaubliche Angst.

Was machen solche Erlebnisse mit einem?

In diesem Klima lebte man als Schwarzer am Rande der Paranoia. Es gab nicht so viele Afro-Deutsche im Osten, deshalb kannten wir uns alle und trafen uns auch regel­mäßig. Wir sprachen damals über Radikalisierung, über Pläne, eine terroristische Vereinigung mit verschiedenen Zellen zu gründen, um dem braunen Terror etwas entgegenzusetzen. Einige von uns wussten, wie man Sprengsätze bastelte.

Gegen wen sollten die gerichtet werden?

Die Überlegungen gingen in verschiedene Richtungen. Von Anschlägen auf die Infrastruktur, um aufzurütteln – bis zu gezielten Attentaten auf exponierte Neonazis. Es gab bei uns auch welche, die argumentierten, weil die Allgemeinheit bei Übergriffen nicht einschreite oder sogar heimlich zustimme, könnte sie genauso ein Ziel sein. Aber die Pläne wurden nie konkret.

Stattdessen begannen Sie eine Ausbildung bei der Polizei.

Bei mir lagen Schwarz und Weiß schon immer nah beieinander. Das eine konnte schnell ins andere umschlagen. Die Polizei hatte mich aber schon früh interessiert. Vor dem Mauerfall hatte ich mich mal beworben, wurde aber nicht genommen. Anfang der Neunziger waren viele Beamte dann ‚weggegauckt‘ und es gab einen Personalmangel. Ich bekam einen Platz in einem Kriminalistik-Sonder­programm, das uns innerhalb von 18 Monaten ausbilden sollte.

Die Anzeigen mit Meffires Gesicht und der Zeile „Ein Sachse“ entwirft Scholz Friends im Auftrag der Sächsischen Zeitung. Meffire ist für die Kampagne ein Volltreffer. Er wurde am 11. Juli 1970 im sächsischen Zwenkau als Sohn eines Kameruners und einer Deutschen geboren, verbrachte sein Leben bis zum Mauerfall zwischen Leipzig und Dresden. Sein Vater, der zum Studieren in die DDR gekommen war, starb vor der Geburt des Sohns. Seine Kindheit erinnert Meffire heute als eine endlose Reihe kleiner, aber schmerzhafter Diskriminierungen. Er sei zwar in der Fußballmannschaft gewesen, habe aber dort keinen einzigen Freund gehabt, erzählt er.

Um so mehr gefällt ihm die Aufmerksamkeit, die die Kampagne mit sich bringt. Als die Anzeige im Oktober 1992 das erste Mal in Zeitungen und Magazinen erscheint, erregt sie sofort Aufsehen. Sie wird zur Anzeige des Monats, dann zur Anzeige des Jahres gewählt. Meffires Gesicht ist auf Plakatwänden in ganz Sachsen zu sehen. Durch einen Zeitungsartikel wird bekannt, dass er bereits vor Beginn der Kampagne eine Polizei-Ausbildung begonnen hatte und der erste schwarze Polizist Ostdeutschlands werden könnte. Ein Medienhype entsteht. Fernsehteams begleiten ihn beim Dienst, er sitzt in Talkshows und wird zum Duz-Freund des sächsischen Innenministers Heinz Eggert.

So eine Sonderrolle macht einen bei Kollegen nicht beliebt.

Manche waren genervt, wenn ich ein Team von Pro7 mitbrachte, das den ganzen Tag im Büro drehte und man sich deswegen nicht frei unterhalten konnte. Und manche waren neidisch. Aber ich habe auch einiges für diesen Neid getan.

Inwiefern?

Ich bin ziemlich hoch geflogen. Und ich habe praktisch nichts abgelehnt. Ich war 22 Jahre, und mir hat es geschmeichelt, auf einmal prominent zu sein. Du wirst ein­geladen und fliegst Business Class nach Bremen, wohnst im Vier-Sterne-Hotel und wirst abends in der Talkshow nach deiner Meinung zu allen möglichen innenpolitischen Themen gefragt. Dabei hatte ich in dem Alter zu vielen Themen gar keine Meinung.

Sie tourten mit Heinz Eggert durch die Fernsehsendungen.

Wir waren damals befreundet, sind abends ab und zu ein Bier trinken gegangen. Aus der heutigen Distanz würde ich sagen: Lass mal, mit dem Minister und obersten Dienstherren einfach in die Kneipe gehen, das geht nicht. Aber damals war das für mich wie ein Ritterschlag. Eggert war mein heimlicher Held. Er hat zu der Zeit unglaublich viel angeschoben. Die Gefahr von Rechts hat er sehr ernst genommen, gleichzeitig musste er die Stasiaufarbeitung in seiner Behörde machen.

Er hat sich später aber schnell von Ihnen distanziert.

Das hat mich wirklich enttäuscht. Ich hatte viele Freunde, die sagten: "Dass du diese Überfälle gemacht hast, geht gar nicht. Aber jeder macht Fehler. Wir bleiben Freunde." Bei Eggert war das anders.

Fühlen Sie sich im Rückblick benutzt?

Es gibt einige Leute, die ziemlich von mir profitiert haben. Aber ich bin nicht nur Opfer. Ich hatte es schon auch selber in der Hand.

Bei der Polizei eckt Meffire immer häufiger an. Er sagt, er habe Reformvorschläge gemacht. Seine Kollegen kritisieren, dass er als Berufsanfänger alles besser weiß, sich nicht unterordnen will. Eggert hält ihm irgendwann vor, er benutze seine Hautfarbe als Ausflucht, wenn es Kritik an ihm gebe. Seine Ausrede laute: Weil er schwarz sei, könnten ihn die anderen nicht leiden.

Im Herbst 1994 kündigt Meffire bei der Polizei. Er gründet eine eigene Sicherheitsfirma und will als Personenschützer arbeiten. Mit Türsteher-Jobs in Diskotheken hält er sich über Wasser. Seiner Firma fehlen Kapital und Aufträge. Meffire beginnt, als Geldeintreiber zu arbeiten, er knüpft Kontakte ins Dresdner Rotlichtmilieu. Im Januar und Februar 1995 überfällt er zusammen mit vier anderen Männern zwei Diskotheken und eine Postbank-Filiale. Außerdem rauben sie ein Rentnerpaar aus.

Wie ist es zu den Überfällen gekommen?

Das waren keine lang geplanten Aktionen, sondern kurzfristige Entscheidungen. Ich war vorher nie straffällig – und danach auch nie wieder.

Um so unverständlicher.

Ich habe während meiner Haftzeit eine Therapie gemacht. Da wurde mir das erste Mal richtig bewusst, dass ich nicht nur Empfänger, sondern auch erheblicher Verursacher von Gewalt war. Wegen des feindlichen Umfelds, in dem ich aufgewachsen bin, hatte ich das Gefühl, unter einem permanenten Druck zu stehen, immer auf der Hut zu sein, immer alles besser als die anderen machen zu müssen. Und dieser Druck konnte von Gut in Böse umschlagen. Seit der Therapie ist aber der Brennstab rausge­zogen, der dafür sorgte, dass ich mich immer so getrieben fühlte.

Als die Polizei nach Ihnen ­fahndete, flohen Sie nach Afrika. Warum dorthin?

Das wurde in den Medien oft als Rückkehr zu den Wurzeln meines Vaters dargestellt, aber das stimmt nicht. Ich musste einfach sehen, dass ich möglichst viel Land gewann. Ich war zunächst nach Paris geflüchtet, wusste aber, dass die deutsche Polizei das bald herausfinden würde. Weil im Kongo damals Bürgerkrieg herrschte, waren die Mitarbeiter in der Pariser Botschaft schon sechs Monate ohne Gehalt. Sie lebten davon, dass sie sich das Ausstellen eines Passes direkt bezahlen ließen. Ich kannte dort jemanden und habe mir einen neuen Pass gekauft.

Und dann sind Sie in den Kongo geflogen ...

Ja, aber ich wollte eigentlich nur durchreisen und später meine damalige Freundin in Südafrika treffen. Aber ich hatte völlig unterschätzt, was das bedeutete: Bürgerkrieg. Ich hatte dort mehr als einmal Glück, dass ich überhaupt überlebt habe. In Kinshasa habe ich in einer Wohnung gelegen und zehn Meter entfernt wurde geschossen. Am nächsten Morgen lag der Nachbar tot auf seinem Grundstück – nur weil er einen Kühlschrank hatte, den die Rebellen mitnehmen wollten.

Afrika war ein Schock?

Ich hatte vorher so eine idealisierte Vorstellung von den guten schwarzen Menschen, die nur durch Kolonialismus und das Benutzwerden von verschiedenen politischen Systemen daran gehindert werden, besser zu sein als sie sind. Dann kam ich in den Kongo und sah, was schwarze Menschen anderen schwarzen Menschen antaten. Ich werde heute in der afro-deutschen Ecke oft ausgebuht, wenn ich sage, dass wir auch selbst eine Verantwortung haben. Dass wir nicht alles mit den Leiden der Vergangenheit erklären können.

Sie haben dann in Kinshasa um Ihre Auslieferung nach Deutschland gebeten. Waren Sie seitdem noch mal in Afrika?

Nein, meine Mutter war mal im Dorf meines Vaters in Kamerun, aber sie hat mir den Besuch als sehr unangenehm beschrieben. Die Familie meines Vaters erwartete, dass sie eine große Feier für das ganze Dorf bezahlt, weil das dort so üblich ist. Als meine Mutter sagte, sie könne das nicht bezahlen, gab es wüste Drohungen.

Seit der Imagekampagne waren Sie eine Projektionsfläche für die unterschiedlichsten Vorstellungen und Interessen. Das ging nach der Verhaftung unter um­gekehrten Vorzeichen weiter.

In den Gerichtsverhandlungen saßen ganze Abordnungen von Neonazis. Die wollten damit ein Zeichen setzen: "Schaut her, ihr habt den Nigger aufgeblasen – und das ist jetzt dabei rausgekommen." Ins Gefängnis habe ich auch Körbe voller Post bekommen.

Rechte Drohungen?

Zum einen. Sogar Skinheads aus Kanada, die mir schrieben: "Wir freuen uns, wenn du rauskommst. Dann machen wir dich platt." Zum anderen gab es Briefe von Menschen, die mir schrieben, dass sie bewunderten, was ich alles durchmache. Die wollten in mir ­einen deutschen Nelson Mandela sehen, der ich definitiv nicht war. Ich saß ja nicht unschuldig im Knast.

Heute wohnen Sie weit weg von Sachsen. Sind Sie manchmal noch in Dresden?

Sehr selten. Dort wäre ich immer nur der abgestürzte Polizist.

Wie ist es mit dem Rassismus?

Ich denke, es gibt immer noch einen Unterschied zwischen Ost und West. In Westdeutschland habe ich in sieben Jahren nicht eine negative Erfahrung gemacht, aber ich würde nicht auf dem Land hinter Cottbus wohnen wollen.

Nach der Entlassung aus der Haft arbeitet Meffire mit jugendlichen Straftätern. Das Programm sieht eine Mischung aus körperlichem Drill und Therapie vor, es wird gut angenommen, bekommt aber nur befristete Finanzierungen. Nach fünf Jahren in Aachen, Düsseldorf und Hamburg gibt er die Hoffnung auf, dass es etwas Dauerhaftes werden könnte. Er zieht nach Bonn, arbeitet als Assistent für einen Künstler und schreibt Hörbuch-Thriller, deren Protagonist dem Autor ähnelt. „Ich bin ein Ex-Bulle, Ex-Held, Ex-Bürger. Und ein Ex-Mitglied einer Einheit, deren Existenz bis zum heutigen Tag dementiert wird“, heißt es da. Die Texte entwerfen eine Welt, in der Terroristen das Leben von Zehntausenden bedrohen und man niemanden vertrauen kann. Alle Menschen, die ihm etwas bedeuten, verliert der Ich-Erzähler durch Gewaltverbrechen.

Woher kommt diese Düsternis?

Ich schreibe über das, was ich kenne. Wie es ist, alles zu verlieren.

Diese Welt steht aber im krassen Gegensatz zum ruhigen Bonn.

Sicherheit hat für mich heute oberste Priorität. Ich würde nie mehr eine Entscheidung zu Lasten der Sicherheit treffen. In den Hörbüchern entwerfe ich Szenarien, in denen es keine Sicherheit gibt.

Früher waren Sie der "Sachse" und Vorzeigepolizist. Als was würden Sie sich selbst heute bezeichnen?

Einfach als Samuel Meffire.

Nach dem Gespräch steht Meffire noch einige Minuten wartend am Bahnhof. Eine ältere Frau spricht ihn an und fragt, wie sie in die Innenstadt komme. Er gibt höflich Auskunft. Es ist eine Szene völliger Normalität. Etwas, wofür Samuel Meffire lange kämpfen musste.

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