Gekaufte Freunde

Twitter Eine amerikanische Internetfirma bietet an, ihren Kunden bis zu hunderttausend neue Follower bei Twitter zu organisieren. Wie manipulierbar ist die Twitter-Community?

Über den Schwarmgeist im Netz, über die Weisheit der Massen, ist viel geschrieben worden. Aber wie manipulierbar sind Online-Communities? Kann man sich Aufmerksamkeit im Internet kaufen und damit den demokratischen Gedanken unterlaufen, dass eigentlich alle im Netz die gleichen Chancen haben, für ihr Anliegen Gehör zu finden?

Diesen Fragen schießen sofort hoch, wenn man von dem neuen Geschäftsmodell einer amerikanischen Internet-Firma hört. Bei uSocial soll man für seinen Twitter-Account Follower kaufen können. Unterschiedliche Pakete werden angeboten. Einsteigen kann man mit 1.000 neuen Followern innerhalb der nächsten siebe Tage. Das kostet 87 US-Dollar. Das größte Paket bietet 100.000 neue Follower innerhalb eines Jahres zum Preis von 3.479 US-Dollar (echtes Schnäppchen, da bereits 30 Prozent ermäßigt!).

Das Angebot richtet sich an Unternehmen und Organisationen, die den Microblogging-Dienst Twitter für Marketingzwecke nutzen wollen. Unter den Nutzern dieses Angebotes sollen bisher unter anderem die US-Marine und die mormonische Religionsgemeinschaft sein. Die Logik dahinter ist einfach: Wer mehr Follower hat, taucht in Twitter-Rankings (hier das deutsche Twitter-Ranking) weiter oben auf, bekommt also mehr Aufmerksamkeit im Internet. Und je größer das eigene Netzwerk, desto besser kann man eigene Botschaften im Netz verteilen. Der Freitag weist in seinem Twitter-Account unter anderem auf neue Texte auf eigenen Webseite hin. Aber mit den Kurzbotschaften können Firmen natürlich genauso für Marketingevents oder Produkte werben.

Karteileichen oder wild hinzugefügte Follower?

uSocial erklärt nicht, wie genau sie die versprochenen Follower organisieren wollen. Prinzipiell sind zwei Wege denkbar. Mit einem kleinen Software-Programm könnte man automatisch Twitter-Accounts generieren und diese dann als neue Follower registrieren lassen. Hinter diesen Accounts würden sich keine echten Menschen verbergen, sonderen es wären digitale Karteileichen, einzig dazu da, die Zahl der Follower für einen bestimmten Account hochzutreiben.

Die zweite Möglichkeit ist ein Trick, der jedem vertraut ist, der sich mit Twitter ein wenig auskennt. Um die Zahl der Follower hochzutreiben, trägt man sich selbst wild bei anderen Accounts als Follower ein. Das muss man nicht selber machen, auch dafür kann man ein kleines Programm, einen sogenannten Add-Bot oder Follower Bot, benutzen. Dann spekuliert man darauf, dass die Nutzer dieser Accounts reflexartig darauf antworten, indem sie die Kontaktaufnahme damit beantworten, dass sie sich im Gegenzug auch als Follower eintragen. Experten schätzen, dass die Quote der blind beantworten Kontaktanfragen bei Twitter bei maximal 50 Prozent. Um einen Kunden also 1.000 Follower zu organisieren, müsste man also mindestens 2.000, besser 4.000 bis 5.000 fremde Twitter-Accounts adden, wie es in der Netzsprache heißt.

K0mmerzielle Interessen sickern immer weiter ein

Dass es diese kommerzielle Angebot gibt, die Follower-Zahlen hochzutreiben, verweist aber darauf, dass das neue Medium Twitter langsam seine Unschuld verliert. Geschäftsinteressen sickern immer weiter in den Dienst ein, den zunächst vor allem Privatpersonen nutzten und der sich der freien, unverzerrten Kommunikation verschrieben hat.

Allerdings, die Idee vom Schwarmgeist und der Weisheit der Vielen wird durch gekaufte Twitter-Follower nicht wirklich in Frage gestellt. Der große Vorzug von Twitter, dass man eine Nachricht über das eigene Netzwerk schnell verteilen kann, weil ein interessanter Eintrag von den Followern auf ihren Accounts erneut gepostet wird und so ins Vielfache multipliziert wird – um diesen Vorzug sind die Kunden von uSocial betrogen. Denn egal ob hinter den neuen Followern Geisteraccounts stehen oder blind beantwortete Kontaktaufnahmen – in beiden Fällen fallen die ausgesendeten Botschaften auf trockenen Boden. Es gibt keine Follower, die wirklich an den Nachrichten interessiert sind und diese in ihrem eigenen Twitter-Netzwerk weiter verteilen würden.

Was interessant ist und was nicht, darüber entscheiden gerade auch bei Twitter immer noch die Menschen, die hinter den Accounts stecken.



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Mitarbeit: Jan Jasper Kosok, Dagny Riegel
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