Ein Smartphone kann ein sehr einfaches Gerät sein. Ein Einschaltknopf und ein Display, über das man wischen kann. Selbst kleine Kinder können das intuitiv bedienen. Ein Smartphone kann aber auch ein verdammt kompliziertes Gerät sein. Spätestens dann, wenn man es öffnet und sich fragt, wo all die Teile herstammen, die zusammenkommen müssen, damit man eine Nachrichten-App lesen oder E-Mails checken kann. Auf der Suche nach einer Antwort erfährt man viel über die globalisierte Wirtschaft. Bas van Abel hat sich auf diese Suche gemacht.
„Kein Mensch versteht die Herstellung eines Smartphones heute in seiner ganzen Komplexität“, sagt er in einem nüchternen Besprechungsraum in Amsterdam. „Ich will das ändern.“ Der Niederländer hat sich vorgenommen, das erste möglichst fair produzierte Smartphone zu bauen. Ohne Metalle, deren Abbau den Bürgerkrieg im Kongo finanziert; ohne Arbeitsbedingungen bei der Montage in China, die Menschen in den Selbstmord treiben; und ohne dass das Gerät nach seiner Benutzung auf einer Elektroschrotthalde in Ghana landet, wo Kinder das Plastikgehäuse ins offene Feuer werfen, um die Metalle wieder herauszuschmelzen. 20.000 faire Geräte sollen bis Oktober fertig sein, über 9.000 Vorbestellungen hat van Abel bisher eingesammelt.
Eine transparente Lieferkette
Mit den Stückzahlen allein wird er den Telefonmarkt aber nicht erschüttern. Apple und Samsung produzieren in ihren Fabriken jede Woche so viel Ausschuss wie van Abels Start-up Fairphone als erste Charge plant. Der 35-Jährige zielt auf etwas anderes ab: Er will zeigen, dass es möglich ist, eine transparente und möglichst faire Lieferkette aufzubauen. „Die Konzerne sagen immer, sie können das nicht kontrollieren – zu viele Rohstoffe, zu viele Zwischenhändler, zu viele Zulieferer. Und da haben sie auch recht“, sagt er. „Aber dann muss ich doch fragen: Wie kann ich das ändern?“
Wenn man ihm ein paar Minuten zuhört, wird schnell klar: Van Abel bastelt nicht vorrangig an einem komplexen technischen Produkt herum – das auch –, aber vor allem geht es ihm um einen Debattenbeitrag. Er will eine Diskussion darüber anstoßen, wie unsere Weltwirtschaft sozialer und ökologischer organisiert werden kann. Und er will das mit einem Team aus acht Mitarbeitern stemmen, während in Großkonzernen Abteilungen mit Hunderten Leuten die Lieferketten managen. Ist das größenwahnsinnig oder einfach erfrischend unbefangen? „Strategisch naiv“ nennt er selbst es. „Wenn wir immer warten, bis es für etwas optimale Bedingungen gibt, wird sich nie etwas verändern.“
Van Abel ist ein Kind der Hackerkultur. Er trägt zerschlissene Jeans, ein buntbedrucktes T-Shirt und Acht-Tage-Bart, die langen blonden Locken hat er nach hinten gekämmt. Aufgewachsen ist er in der 170.000-Einwohnerstadt Nimwegen nahe der deutschen Grenze. Schon als Jugendlicher nahm er technische Geräte auseinander, um zu schauen, was drinsteckte. „Wenn du es nicht öffnen kannst, gehört es dir nicht wirklich“, lautet heute sein Leitsatz.
Als Anhänger der Open-Source-Bewegung träumt er von einer Welt, in der Konsumenten ihre Produkte mitgestalten können. Und er kritisiert Firmen wie Apple dafür, dass sie ihre Geräte so bauen, dass man sie nicht selbst reparieren oder verändern kann. „Öffnen“ müsse man im zweifachen Sinne verstehen, sagt er. Zum einen ganz wörtlich, indem man ein Smartphone zerlegt. Zum anderen aber auch metaphorisch: Van Abel will das Wirtschaftssystem öffnen. „Erst wenn man versteht, wie etwas funktioniert, kann man es verändern.“
Gegen die Entfremdung von den Dingen
An der Kunsthochschule hat er Design studiert, gleichzeitig an der Uni noch Ingenieurswissenschaften, um die technische Seite zu verstehen. Bevor er sein Start-up gründete, arbeitete er acht Jahre für eine gemeinnützige Organisation, die sich damit beschäftigte, wie man den digitalen Wandel für gesellschaftliche Entwicklungen nutzen kann. Er kämpfe gegen die Entfremdung von den Dingen, sagt er und wechselt für Marx’ Begriff für einen Moment vom Englischen ins Deutsche. „Ich finde es als Designer einfach nicht befriedigend, etwas nur am Computer zu entwerfen, die Pläne nach China zu schicken, und dann kommt irgendwann das fertige Produkt zurück. Ich möchte mehr über diesen Prozess wissen und daran teilhaben.“
Das Gespräch mit van Abel findet im sechsten Stock eines umgebauten Hafenspeichers statt, zwei Straßenbahnhaltestellen vom Amsterdamer Hauptbahnhof entfernt. NGOs und Medienfirmen arbeiten hier. Der Wind pfeift gegen die Panoramafenster. Der Blick geht ins Freie, Offene – kein schlechter Platz, um groß zu denken.
Auf die Idee, das Fairphone zu bauen, brachte ihn ein Freund. Der sollte für eine NGO eine Kampagne entwerfen, die auf das Problem der Blutmetalle im Kongo aufmerksam machen sollte. Diese finden sich in fast allen Elektrogeräten, mit den Gewinnen der Kobalt- und Zinnminen finanzieren Warlords aber oft ihre Kriege. Der Freund fragte van Abel, ob er ihn berate. Sie stellten sich vor, was passiere, wenn die Kampagne Erfolg hätte. „Es gab einfach keine Alternative. Was sollten Verbraucher tun, die kein Blut im Handy haben wollten?“ Van Abel entschied: Besser, als Menschen ein schlechtes Gewissen zu machen, ist es, eine Alternative zu schaffen.
Er überzeugte ein paar Freunde und gründete eine Projektgruppe. Zusammen mit Mitarbeitern einer NGO, die schon länger daran arbeitete, konfliktfreie Metalle aus dem Kongo zu zertifizieren, reisten sie nach Afrika. „In den meisten Minen wussten die Menschen nicht, was wir meinten, als wir von ‚konfliktfrei‘ und ‚nachhaltig‘ sprachen.“ Dank der NGO-Kontakte hörten sich aber alle, sogar der Bergbauminister, ihre Pläne an. Das war vor drei Jahren. Mittlerweile gibt es eine „Initiative für konfliktfreies Zinn und Tantal“, über die Fairphone die Metalle bezieht – auch Intel, Nokia und Blackberry decken Teile ihres Bedarfs so.
Dafür nimmt Fairphone in Kauf, dass ihre Telefone nicht frei von Kinderarbeit sein werden. Die Rohstoffe mögen aus konfliktfreien Minen stammen, wegen ihrer Armut sind aber auch Kinder gezwungen, dort zu arbeiten. Das NGO-Bündnis makeITfair spricht von 50.000 Kindern, die in der Demokratischen Republik Kongo im Bergbau arbeiten. „Wir hätten das Tantal für unsere Chips auch aus Australien holen können. Das wäre ethisch vollkommen korrekt gewesen“, sagt van Abel. Sie haben sich bewusst anders entschieden.
Schlecht oder noch schlechter?
Um das zu verstehen, muss man die Vorgeschichte kennen: Im Juli 2010 trat in den USA ein Gesetz in Kraft, der Dodd-Frank Act. Dieser verlangt von börsennotierten Unternehmen einen Nachweis, dass sie den Konflikt in der Demokratischen Republik Kongo nicht verschärfen, wenn ihre Produkte Metalle aus der Region enthalten. Ein Gesetz mit den besten Absichten, das sich aber wie ein Embargo auswirkt. Weil die Firmen die Zertifizierung als zu aufwändig scheuen und sie nicht das Risiko empfindlicher Geldstrafen eingehen wollen, weichen sie auf Metalle aus anderen Ländern – meist Australien oder Brasilien – aus. Im Kongo verloren deswegen viele Menschen ihre Arbeit. Es gibt Berichte, nach denen sich Minenarbeiter nun aus ihrer Not heraus den Milizen anschließen. Das exakte Gegenteil des Beabsichtigten.
Er befürworte den Dodd-Frank Act trotzdem, weil das Gesetz langfristig etwas verändern werde, sagt van Abel. „Der Kongo wird darauf reagieren müssen.“ Kurzfristig stürze die Regelung aber Menschen, die sehr arm sind, noch weiter ins Elend. „Wir haben daher entschieden: Es ist wichtiger, dort wirtschaftliche Aktivität anzustoßen, als dass unser Telefon hundertprozentig frei von Kinderarbeit ist.“ Eine Erfahrung van Abels auf seiner Suche lautet: Es gibt in der globalisierten Wirtschaft eigentlich nie die Wahl zwischen richtig und falsch. Man kann sich nur zwischen schlecht und noch schlechter entscheiden.
Vielleicht kann das Vorhaben, die Globalisierung transparenter zu machen, überhaupt nur jemand wie Bas van Abel umsetzen. Er nähert sich den Problemen von der Seite des Machers, nicht jener des Theoretikers. Und er scheut sich nicht davor, Kompromisse zu machen. „Die machen wir in unserem Alltag ja auch ständig.“ Sein Lebenswandel sei nicht nachhaltiger oder korrekter als der jedes anderen Durchschnittseuropäers, erzählt er. „Ich kaufe mir auch billiges Zeug und fliege mal mit Easy Jet.“ Er habe aber auch noch nie den Anspruch verstanden, dass man etwas hundertprozentig korrekt machen müsse – oder es gleich ganz bleiben lassen solle.
"Ich dachte, mir platzt der Kopf"
Der Kongo war für Fairphone nur der Anfang. Danach mussten sie fair gehandeltes Gold für die Leiterplatte besorgen. Das gibt es aus Peru und Chile, verwendet wurde es bisher aber nur für Schmuck. Je weiter van Abel mit seinem Team die Bauteile eines Smartphones zurückverfolgte, um so größer wurden die Organigramme, auf denen sie die Lieferketten und mögliche Nebeneffekte ihrer Entscheidungen einzeichneten. „Manchmal dachte ich, mir platzt der Kopf.“ Irgendwann beschloss van Abel, das Telefon einfach zu bauen – und dann nach und nach die restlichen Probleme zu lösen.
Er überlegte, die Geräte in Europa zusammenbauen zu lassen, aber das war aussichtslos. Die Produktionsstätten befinden sich mittlerweile alle in Asien. Also reiste van Abel mit seinem Team nach Shenzhen. Dort erlebten sie Produktionsmanager, die vereinbarte Treffen platzen ließen, weil der Auftrag zu klein war. Andere spulten Powerpoint-Präsentationen ab, in denen sie steil nach oben steigende Wachstumskurven präsentierten und nur davon redeten, wie viel mehr Dinge ihre Fabriken nächstes Jahr produzieren würden. Die Fairphone-Gruppe war kurz davor abzureisen, als der Vertreter einer staatlichen Fabrik sie mit den Worten begrüßte: „Wir finden das interessant, was ihr macht.“
Natürlich könne man viel versprechen, gibt van Abel zu, aber er hatte da ein gutes Bauchgefühl. „China ist ganz anders als der Kongo. Die Arbeiterrechte werden nicht so sichtbar verletzt. Die Dinge spielen sich unter der Oberfläche ab.“ Die Firma gestand zu, die Produktion überprüfen zu lassen. Sie zahlt ihren Arbeitern aber nicht plötzlich einen höheren Lohn, nur weil sie für drei, vier Tage ein faireres Telefon zusammenbauen werden. Die Differenz zu dem Lohn, den Fairphone als angemessen betrachtet, will van Abel nun in einem Fonds anlegen, mit dem die Arbeitsbedingungen schrittweise verbessert werden sollen. Ein weiterer Kompromiss.
Und was ist mit der Kritik, dass strategischer Konsum die Welt nicht wirklich verändert, weil er die Ungerechtigkeiten auf eine private Kaufentscheidung herunterbricht, statt die Politik zum Handeln zu zwingen? „Ich verstehe die Unterscheidung zwischen privat und politisch nicht“, sagt van Abel. „Konsumieren ist auch ein politischer Akt.“ Aber strategische Konsumenten allein würden natürlich nicht ausreichen, es brauche auch „strategische Unternehmen“.
Wenn nichts mehr dazwischenkommt, werden im Oktober die ersten Geräte ausgeliefert. Und dann? „Die größte Gefahr ist, dass das Fairphone zu sehr ein normales Produkt wird. Die Idee wäre gescheitert, wenn die Leute glauben, weil sie nun dieses Telefon haben, ist alles in Ordnung und sie können wieder ruhig schlafen.“ Van Abel will eine Community aufbauen und im Netz berichten, wie sie Lieferketten und Produktion weiter verbessern. Er selbst, sagt er noch, habe aber gar kein Smartphone. „Nicht aus ethischen Bedenken, sondern weil ich sie immer verliere.“
720 Millionen Smartphones wurden vergangenes Jahr weltweit verkauft. Die wenigsten Konsumenten dürften dabei aber darüber nachgedacht haben, unter welchen Bedingungen der Rohstoffabbau und die Montage ihres Geräts stattfinden. Das Fairphone, das Bas van Abel mit seinem gleichnamigen Start-up entwickelt hat, soll dies ändern. Dafür hat van Abel mit seinen acht Mitarbeitern fünf Punkte erarbeitet, bei denen sie nachhaltiger sein wollen als konventionelle Handy-Produzenten.
Erstens sollen die verwendeten Rohstoffe garantiert konfliktfrei und weitgehend fair abgebaut und gehandelt werden. Zweitens sollen die Arbeitsbedingungen bei der Produktion fair und transparent sein. Drittens soll das Fairphone so gebaut werden, dass es möglichst langlebig ist und nicht nach zwei, drei Jahren kaputtgeht. Drei Euro des Kaufpreises gehen zudem an eine NGO, die daran arbeitet, dass Elektroschrott in Entwicklungsländern unter menschenwürdigen Bedingungen recycelt wird. Viertens ist das Fairphone der Idee des Open Design verpflichtet. Das heißt, man kann es aufschrauben und alle möglichen Teile verändern oder austauschen. Und fünftens soll es völlige Transparenz bei Lieferketten und allen unternehmerischen Entscheidungen geben.
Das Fairphone ist von seinen technischen Daten ein Mittelklasse-Telefon. Es wird mit dem Google-Betriebssystem Android ausgeliefert werden, soll aber auch mit anderen Betriebssystemen laufen. Es kostet 325 Euro und kann unter fairphone.com vorbestellt werden. jap
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.