Hinter der chinesischen Mauer

Netzgeschichte Google will sich in China nicht länger der staatlichen Zensur beugen. Aber wie sieht die eigentlich genau aus? Ein kleines Zusatzprogramm für den Firefox-Browser zeigt es

Es sind nur drei, vier Klicks und man befindet sich virtuell in China. Mit einer kleinen Zusatzfunktion für den Firefox-Browser, einem Add-on, kann man vom heimischen Schreibtisch aus testen, wie Chinesen das Internet erleben. Nachrichtenseiten von der BBC oder Spiegel Online sind zeitweise nicht erreichbar, Google findet auf einmal bei Begriffen wie "Tibet" und "Tiananmen" viele Texte und Bilder nicht mehr und der Browser verhält sich, als ob die Seite von Amnesty International nicht existiert. Das Internet-Projekt China Channel will auf Online-Zensur aufmerksam machen, in dem es sie erlebbar macht.

Hinter China Channel stecken die Medienkünstler Aram Bartholl aus Berlin und Evan Roth aus New York. Der Stuttgarter Informatikstudent Tobias Leingruber hat die Software geschrieben. Ist das Add-on am Browser aktiviert, nimmt der Rechner zum Schein eine chinesische Identität an. Der User kann dann nur noch über chinesische Server auf das Internet zugreifen. Die Umleitung braucht allerdings ihre Zeit. Das Add-on sorgt deshalb nicht nur für zahlreiche blinde Flecken im Netz, sondern macht das Surfen sehr langsam. Dafür erhält man einen Eindruck der chinesischen Zensur in Echtzeit. Damit lässt sich auch nachvollziehen, wie sich die Zensur der Behörden verfeinert hat.

Verfeinerte Zensur

Nach Schätzungen sind in China 30.000 Zensoren jeden Tag damit beschäftigt, Webseiten, Chatrooms und Internetforen nach unliebsamen Einträgen zu durchsuchen. Zu Beginn setzte man auf das Rasenmäher-Prinzip: Seiten, die im Verdacht standen, kritisch über bestimmte Reizthemen zu berichten, wurden einfach komplett blockiert. Seit einigen Jahren sind aber auch Online-Angebote wie die englische Wikipedia meist problemlos aufrufbar. Stattdessen werden nur einzelne Inhalte blockiert. Durchsucht man Wikipedia nach dem Begriff "Tiananmen", erhält man daher auch einen Eintrag über den Platz des Himmlischen Friedens. Nur der Link zu dem Beitrag über die Niederschlagung der Proteste von 1989 ist tot. Er führt in China auf eine weiße Seite.

Diese verfeinerte Zensur zeigt "China Channel" sehr anschaulich. Das Kunstprojekt wurde bereits im Oktober 2008 online gestellt, damals auch als Protest gegen die Selbstzensur, der sich Google bisher unterwarf, um auf dem chinesischen Markt mit seinen 340 Millionen Nutzern dabei zu sein. Im Oktober 2008 konnten die Medienkünstler ihr Projekt in Hongkong vorstellen. Sie stellten als Installation zwei Computer auf. Einer der Rechner hatte eine freie Internet-Verbindung, der andere eine chinesische Verbindung. Die Resonanz auf die Installation war groß. Die Aufmerksamkeit für das Online-Projekt brachte dann allerdings auch neue Probleme mit sich – in einigen Regionen Chinas wurde die Seite "China Channel" umgehend zensiert.

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