Im Untergrund

Tatort: Fernsehen Die Hauptfigur des Berliner "Tatorts" war die Stadt. Zwischen vielen Panorama-Ansichten und ausgiebigen U-Bahn-Fahrten kamen die Menschen aber leider zu kurz

Oben und unten. Der Titel des Berliner Tatorts klang viel versprechend. Was hätte man daraus alles machen können? Sicher, man kann oben und unten, wie hier geschehen, vor allem topographisch verstehen. Dann gibt es lange Schwenks über die Stadt und viele dunkle Bilder aus U-Bahntunneln, die Kommissare Ritter und Stark führen wichtige Gespräche in der luftigen Höhe eines Hochhaus-Rohbaus oder stapfen durch Dreckwasser in der Kanalisation. Und der Kameramann freut sich, wenn er einmal in langen Einstellungen ungewöhnlicher Stadtansichten schwelgen kann. Nur, der Spannung dient das nicht gerade. Die vielen Ansichten fahrender U-Bahnen hatten eher etwas Meditatives. Zwischenzeitlich fühlte man sich an „Deutschlands schönste Bahnstrecken“ erinnert, mit denen die dritten Sender gern ihr Nachtprogramm füllen.

Ja, dieser Tatort versuchte auch, mit "oben und unten" die soziale Wirklichkeit der Stadt zu beschreiben. Deswegen gab es als Leiche einen fiesen Bauspekulanten, der viele Handwerksbetriebe in die Pleite gerissen hatte – und der vor dem gewaltsamen Ableben erneut an suspekten Luxus-Sanierungen arbeitete. Kein ganz unplausibles Mordopfer, denn mit Baupleiten kennt man sich in Berlin bekanntlich aus. So gut, dass der eine oder andere Bürger sicher schon Gewaltfantasien bei dem Gedanken daran hatte, wie viel öffentliche Gelder bereits sinnlos im märkischen Sand verbuddelt wurden.

Im Film wurde der Bauspekulant mit einem Stahlrohr erschlagen und anschließend in die U-Bahn gesetzt, wo die Leiche einen ganzen Tag durch Berlin fuhr – ohne jemanden aufzufallen. Ach, die Menschen in der Großstadt sind doch so gleichgültig.

Bei der Suche nach dem Täter lernte man die Frau des Toten (Muriel Baumeister, die wohl mal etwas anderes als immer nur Romantic Comedies spielen wollte) kennen. Sie stand verheult in ihrem Apartment, natürlich hoch oben über der Stadt. Die Ehe war schon lange kaputt, um das Kind kümmerte sich auch besser das Au-Pair-Mädchen. Wo die Wohnungen so schick sind, sieht es mit der menschlichen Wärme schlecht aus, sollte das wohl heißen. Die Gattin log schlecht, war mit ihrem toten Mann in einen neuen Bauskandal verwickelt – und hatte sonst die Aufgabe, die erste falsche Spur darzustellen.

Die zweite falsche Spur wohnte ebenfalls hoch oben, allerdings in einem Plattenbau. (Achtung, soziale Unterschiede!) Es war ein Elektriker, dessen Firma der Tote in den Ruin getrieben hatte und der nun in U-Bahnhöfen Hausmeisterjobs übernehmen musste. Er hatte ein gutes Motiv, aber das wäre dann doch zu einfach gewesen. Deswegen traten noch auf: ein irrer Künstler, der aussah wie Jonathan Meese, in den Tunneln unter der Stadt lebte und Gregor hieß (Achtung, Kafka-Anspielung!) sowie ein junger Typ, der wegen unbearbeiteter Kindheitsprobleme ein Helfersyndrom entwickelte hatte und sich daher um schulschwänzende Jugendliche kümmerte. Bei den Jugendlichen auf dem Bolzplatz zeigte sich aber auch mit erschreckender Deutlichkeit das Problem dieses Tatorts. Wenn die Problem-Jugendlichen in Berlin so harmlos wären wie auf diesem Bolzplatz, dann wäre alles easy.

Bei den Erkundungen in das soziale Oben-und-unten blieb der Krimi allzu oft in Klischees stecken. Und weil so viele unterschiedliche Verdächtige vorgeführt werden mussten – es tauchte auch noch eine mysteriöse Flaschensammlerin auf, die sich als Ex-Frau des Toten entpuppte –, wurden alle sozialen Milieus nur angetippt, nirgends tauchte man tiefer ein. Ritter und Stark störte das bei ihrem zwanzigsten Fall nicht. Sie überführten den jungen Typen mit dem Helfersyndrom als Täter, der seinen eigenen Vater - den fiesen Bauunternehmer - wegen dessen Gefühlskälte erschlagen hatte. Daneben durften die Kommissare aber auch so richtig menscheln. Mal tollten sie wie übermütige Schuljungen durch die U-Bahnhöfe, mal redeten sie wie ein altes Ehepaar konsequent aneinander vorbei. Auf einmal sah man da Menschen, nicht nur hohle Figuren.

Leider nur kurze Zwischenspiele, ansonsten war der Film einfach zu sehr damit beschäftigt, Stadtansichten zu zeigen. Und so ähnelte dieser Tatort am Ende selbst einem Passanten, der durch einen U-Bahnhof geht. Er trifft dort auf viele verschiedene Menschen, aber wirklich nahe kommt er keinem von ihnen.

Was wir gelernt haben: Einen Spielplatz-Streit zwischen Kindern schlichtet man am besten, indem man einen Fußball weit wegdrischt und dann sagt: "Spielt doch etwas Vernünftiges." Nachdem sich die Kleinen zuvor um eine Wippe geprügelt haben, kicken sie später friedlich zusammen.

Was wir nicht mehr hören wollen: Wie Kommissar Stark versucht, Französisch zu sprechen, um damit das Au-Pair-Mädchen aus Luxemburg anzugraben.


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