Der Abend beginnt mit einem Missverständnis. Ein Security-Mann erklärt dem Grüppchen auf dem Bürgersteig in Berlin-Mitte, dass es noch ein paar Minuten dauere, bis das Publikum für Gottschalk Live eingelassen werde. Ein Anzugträger stürmt auf ihn zu. Er sei Vertreter, kurzfristig in der Stadt, ein Kollege habe ihm Karten besorgt. Wer denn heute die Gäste seien? Der Security-Mann zeigt ihm den Ablaufplan. "Maske? Henry Maske! Super, den habe ich schon mal getroffen." Der Gästebetreuer schüttelt den Kopf. "Damit ist die Maske für Gottschalk gemeint."
Wenn zurzeit über die Vorabendsendung Gottschalk Live gesprochen wird, ist ziemlich oft von Missverständnissen die Rede. Es gibt viele – innerhalb und außerhalb der ARD &
und außerhalb der ARD –, die den Plan, mit Gottschalk den schwierigen Sendeplatz vor der Tagesschau zu bestücken, für einen großen Fehler halten. Vor zwei Monaten startete er mit 4,3 Millionen Zuschauern. Seitdem ist die Quote abgestürzt auf 1,2 bis 1,4 Millionen Zuschauer. Die Kritiken waren vernichtend. Gottschalk redete zu viel über sich selbst, wirkte in Gesprächen mit Gästen unvorbereitet und sprach Anke Engelke mit Annette an. Vergangene Woche berichtete die Welt, in einer Telefon-Konferenz der ARD-Intendanten hätten sich mehrere für ein schnelles Ende ausgesprochen.Erstmal ein neues StudioGottschalk reagierte. Er inszenierte sich als öffentlicher Schmerzensmann, der es gewohnt sei, "auf die Fresse zu kriegen". Und er holte mit Ex-Tempo-Chef Markus Peichl einen neuen Redaktionsleiter, der für die Sendung ein bisher vermisstes Konzept entwickeln soll. Der fing mit einem Studio-Umbau an. Eine Woche stand eine Leiter hinter dem Moderator, die Schreibtische der Redaktion wurden aus dem Studio geräumt, dafür Publikum reingesetzt.An diesem Montagabend wird erstmals das umgebaute Studio präsentiert. Statt Wohnzimmerflair gibt es nun eine neutrale Talk-Show-Kulisse. Es riecht noch wie bei Ikea, nach frisch geschnittenen Spannplatten und Farbe. Etwa 80 Zuschauer verteilen sich auf die Sitzreihen, einige Mittvierziger, die meisten aber Mitte Zwanzig. Gottschalk weist in der Sendung gern darauf hin, dass die Karten schon bis Weihnachten weg seien. Ein Pärchen – er mit Hipster-Irokesen, sie mit Sonnenstudio-Bräune – erzählt, die Produktionsfirma hätte sie angerufen, weil sie schon mal bei einer Talk-Sendung Zuschauer waren. Ob sie nicht auch mal zu Gottschalk Live wollten? "Und das ist ja was Besonderes", sagt der Irokesen-Hipster. "Als Kind habe ich immer mit meinen Eltern Wetten, dass ...? angeschaut."Da ist sie wieder, die Erinnerung daran, dass Gottschalk ja nicht irgendein Vorabend-Moderator im verzweifelten Kampf um bessere Quoten ist, sondern ein Stück Fernsehgeschichte. Mehrere Generationen wuchsen mit ihm als Samstagabend-Conférencier auf. Er prägte ihre Vorstellung von Fernsehunterhaltung mit Altherren-Witzen und Großem-Jungen-Charme.Seine Spontanität im Umgang mit dem Publikum sei seine große Stärke, wurde oft geschrieben. Und das kann er noch. Plötzlich steht er in den Zuschauerreihen. Die Locken hochtoupiert, ein Zahnpastawerbelächeln im Gesicht streckt er die Arme aus, als wolle er alle zusammen umarmen. Bei seiner Sendung sei es im Moment ja wie bei einer Schlecker-Filiale. "Die Leute kommen vorbei, um zu gucken, ob noch auf ist." Das Publikum lacht dankbar. "Wir retten zusammen die Sendung."Einen jungen Mann spricht er direkt an. "Du schaust so skeptisch. Glaubst du nicht, dass noch was zu retten ist?" Die Sitznachbarin erklärt, ihr Freund spreche kein Deutsch. Gottschalk fährt auf Englisch fort, die Lage sei gerade "complicated". Er lobt eine "Damenreihe" und wundert sich, dass viele Junge gekommen sind. "Kennt ihr noch die Bee Gees?" Es sind die Standards der Gottschalk’schen Moderation. Ein paar Brachial-Komplimente für anwesende Frauen und etwas Koketterie eines 61-Jährigen mit seiner Dauer-Jugendlichkeit.Der erste Gast an diesem Abend ist Gregor Gysi. Bevor die Kamera angeht, entschuldigt sich Gottschalk noch, dass ein Politiker eingeladen wurde. Aber Gysi sei "ganz unterhaltsam". Das Gespräch streift die Saarland-Wahl, um schnell zu "Sahra und Oscar" zu wechseln. Könne das gutgehen? Ein Psychologe meldet in einem Einspielfilmchen Bedenken an. Gysi widerspricht. Auf die Frage, warum sich die Linke so oft streite, referiert er kurz die Geschichte seiner Partei, bevor schon der Sänger Tim Bendzko angekündigt wird.Ein verschobener Lanz?Gottschalk wirkt gut vorbereitet, seine Fragen sitzen, die Vornamen diesmal auch. Natürlich kann man das Gespräch mit Gysi nur im weitesten Sinne politisch nennen. Aber er erreicht mit dem Boulevard-Talk Menschen, die sonst beim Anblick eines Politikers sofort auf die Umschalttaste drücken. Das kriegt Markus Lanz allerdings genauso hin. Und so wird am Morgen nach der Sendung der Online-Mediendienst Meedia schreiben, der neue Gottschalk wirke wie ein auf den Vorabend verschobener Lanz. Ausgerechnet Lanz, der Gottschalk ja als Wetten, dass-Moderator beerben soll!Teil des überarbeiteten Sendekonzepts ist es, die Gäste stärker nach dem Kriterium Aktualität einzuladen. Gysi wird also zunächst zum Saarland befragt, Echo-Gewinner Tim Bendzko soll sich zu einem Eklat bei Deutschland sucht den Superstar am Wochenende äußern. Die Spannbreite der Themen zeigt, dass Gottschalk nicht von der Vorstellung lassen kann, die gesamte Nation vor dem Fernseher zu versammeln. Er will keine spezielle Vorabend-Zielgruppe, er will immer noch alle.Nach dem Ende der Sendung tritt die Pressefrau zu den zwei Journalisten, die im Publikum sitzen. Man müsse jetzt bitte gehen. Es werde gleich im Anschluss mit dem Publikum eine Testsendung mit weiteren Veränderungen aufgenommen, der Umbau gehe weiter. Angesprochen darauf, dass Gottschalk sich nun offenbar besser auf die Gäste vorbereite, lacht sie laut. "Ja, unser Moderator ist lernfähig."
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