Beginnen wir mit einem alten weißen Mann, beginnen wir mit Bernie Sanders. Auf Twitter warnte er noch kurz vor der Wahl, dass zu viel auf dem Spiel stehe, um auch nur einen Moment darüber nachzudenken, aus mangelnder Begeisterung für Hillary Clinton nicht wählen zu gehen: "Wenn Ihr diese Wahl aussitzt und Trump gewinnt mit ein paar Stimmen, werden viele Menschen mit dieser Realität ihr ganzes Leben lang klar kommen müssen."
Eingebetteter MedieninhaltJetzt ist Donald Trump entgegen der Erwartung der meisten Demoskopen, entgegen der offiziellen Empfehlungen praktisch jeder Zeitungsredaktion der USA und einem Großteil des Establishments seiner eigenen Partei tatsächlich zum nächsten US-Präsidenten gewählt worden. Trump im Weißen Haus, das ist eine weltweite Erschütterung. Das schafft aber vor allem auch für die Menschen in der US-Gesellschaft eine neue Realität, die sich noch nie über den Verlust von Privilegien beschweren konnten, weil sie immer vollauf damit beschäftigt waren, gegen reale Benachteiligungen zu kämpfen.
Einen offen rassistisch argumentierenden, frauenverachtenden und Menschen mit Behinderung mobbenden Mann im Oval Office sitzen zu haben, ist ein Albtraum für jeden halbwegs aufgeklärten Menschen. Für Schwarze, Muslime, Migranten, Hispanics, LGBTQ, Menschen mit Behinderung und die meisten Frauen ist es aber ein Schlag in die Magengrube, den man körperlich zu fühlen meint.
Nach dem Brexit-Votum konnte man in Großbritannien allzu deutlich beobachten, wie der Erfolg einer fremdenfeindlich geführten Kampagne zu einem steilen Anstieg gewalttätiger Übergriffe gegenüber Migranten führte. Das sollten sich auch all jene auf der Linken vor Augen halten, die wie etwa der Apokalyptiker Slavoj Zizek argumentieren, Trump müsse das Land erst in den totalen Kollaps führen, damit aus den Trümmern des neoliberalen Konsenses irgendwann eine neue, bessere Gesellschaft geschaffen werden könnte.
Check your Privileges! Zizek selbst muss nicht damit klarkommen, dass der Erfolg Trumps das Signal sendet, es sei okay, offen rassistisch und sexistisch zu sein. Schadenfreude von links über das Scheitern der Establishment-Kampagne Clintons ist bei aller Verbandelung der demokratischen Kandidatin mit der Hochfinanz deshalb völlig fehl am Platz. Auch daran wollte Bernie Sanders mit seinem Tweet erinnern.
In den nächsten Tagen – das ist keine besonders gewagte Prognose – werden viele Texte über ältere, weiße und meist eher wenig gebildete Männer erscheinen. Wie sie die Wahl gekapert haben, wie sie für Obamas zwei Siege Rache genommen haben, wie ihre Wut die bisher gültige Arithmetik von US-Wahlkämpfen grundlegend verändert hat. Und sicher, die Mischung aus wutschnaubenden Talk-Radios, Hass-Netzwerken auf Twitter und einer Globalisierungskritik, die in reine Fremdenfeindlichkeit umgelenkt wird, hat das Spiel gesprengt, von dem Hillary Clinton dachte, dass sie es von Grund auf erlernt habe.
Die Exit Polls von CNN, also die Befragungen am Ausgang des Wahllokals, zeigen deutlich, wie stark der Einfluss entlang der Linien Race und Gender bei dieser Wahl war. Und sie zeigen, dass die soziale Spaltung den Sieg Trumps nicht erklären kann. Bei den zwei niedrigsten Gehaltsgruppen, die unterschieden wurden (unter 30.000 US-Dollar Jahreseinkommen sowie 30.000-49.000 US-Dollar) siegte Clinton, wenn auch haardünn. Ab 50.000 US-Dollar aufwärts hatte Trump die Nase vorn.
Und doch ist auch eins klar: Nur über die kulturell Abgehängten in den Fly-over-States zwischen New York und Kalifornien zu witzeln, sie Hillbillys und Rednecks zu schimpfen, reicht nicht mehr. Schon lang nicht mehr. Und ihren Mangel an Bildung zu beklagen, mag für den Psychohaushalt des kosmopolitischen Großstädters nützlich sein, verändert aber auch nichts.
Genausowenig wie das Rechenspiel mit Geburtenraten – und dass es bei deren jetzigen Entwicklung irgendwann im Jahr 2035 oder danach die Möglichkeit gebe, dass die Minderheiten die weiße Mehrheit überstimmen. So verständlich diese Revanche-Gedanken angesichts Trumps Ausfällen sind, schreiben sie doch selbst die Polarisierung fort, die den demokratischen Diskurs ab einem bestimmten Punkt kollabieren lässt.
Es wird sehr lange brauchen, das, was in dieser Nacht in den USA zerbrochen ist, wieder zu reparieren. Wie diese Gesellschaft sich in Zukunft wieder auf einen demokratischen Konsens einigen will, der ja zwingend auf ein Mindestmaß an gegenseitigem Respekt und Anerkennung angewiesen ist, ist nach dem Schock dieser Wahlnacht schwer zu sagen. Nur dass es nicht funktionieren wird, in dem sich beide Seiten aus ihren Schützengräben anbrüllen, ist klar. So lang sie sich nicht in rassistischen oder anders diskriminierenden Forderungen artikulieren, wird man deshalb auch den Trump-Anhängern und ihren Anliegen zuhören müssen.
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