Der Freitag: Herr Heusinger, die Werbung bei der Fußball-WM hat stark auf die Superstars gesetzt. Die waren aber verletzt oder enttäuschten auf dem Spielfeld. War diese Fokussierung ein Fehler?
Bernd Heusinger: Der Verlauf der WM hat das diesmal so ergeben. Rooney und Ronaldo sind früh rausgeflogen, Messi auch. Bis zu dem Punkt des Ausscheidens hat die Werbung aber gut funktioniert. Es geht vor allem darum, vor der WM die Euphorie aufzubauen. Nike und Adidas verkaufen vorher die meisten Produkte. Natürlich wäre es noch besser gewesen, wenn Rooney und Ronaldo sich im Finale gegenübergestanden hätten – aber es geht auch ohne sie.
In den Halbzeitpausen lief der Nike-Spot mit Ronaldinho im Brasilien-Trikot. Der war nicht mal für die WM nominier
eitpausen lief der Nike-Spot mit Ronaldinho im Brasilien-Trikot. Der war nicht mal für die WM nominiert.Er ist aber trotzdem ein Sympathieträger, von dem man weiß, dass er fantastisch spielen kann. Ich kenne niemanden, der gefragt hat: Was macht der Loser Ronaldinho eigentlich in dem Spot? Es kommt auf das Gesamtgefühl an, das so ein Spot hinterlässt. Und dieser sagte: Die Superstars spielen in Nike-Schuhen, das ist angekommen.Die Nike-Werbung war auch bemerkenswert, weil darin das Scheitern von Rooney schon vor der WM durchgespielt wurde.Ja, diese Bilder von Rooney im Unterhemd und mit Bart, wie er heruntergekommen in einem Wohnwagen lebt. Als Selbstironie kam das zunächst rüber, wurde dann aber Realität. Bei dem Deutschland-England-Spiel hatte ich tatsächlich den Eindruck: Rooney ist 50 Jahre alt, wie er da traurig über das Feld dackelt. Meine Wahrnehmung war durch die Bilder der Werbung vorgeprägt. Das zeigt, wie erfolgreich dieser Spot ist: Er bleibt einem wirklich im Kopf.Nach der England-Niederlage haben die Zeitungen die Bilder des alten Rooney gern gedruckt. Ist das bei aller Selbstironie nicht blöd, wenn der Werbeträger als Loser dasteht?Nein, Rooney gilt ja durch die Ironie als sympathischer Loser. Und das ist besser als ein unsympathischer Gewinner. Vor allem war dieses Vorher-Durchspielen der Niederlage aber ungewöhnlich. So etwas hatte es in der Sportwerbung noch nicht gegeben. Den Spot haben sich Hunderttausende extra auf Youtube angeschaut.Ganz anders die deutsche Werbung. Von Selbstironie und Witz war wenig zu sehen. Ballack warb für Deo und präsentierte bei einer Flughafenkontrolle seine trockenen Achseln, Podolski ging im Rewe-Supermarkt einkaufen. Das wirkte furchtbar altbacken.Absolut, gerade dieser Ballack-Spot ist total achtziger Jahre. Allerdings ist es eine Werbung für L’Oréal. Und das ist der typische französische Stil. Rewe ist ein bisschen besser, aber auch nicht viel. Da wird häufig auf Nummer sicher gegangen – nur landet man dann schnell bei den größten Klischees. Ich glaube, dass das bei jungen Zielgruppen nicht mehr ankommt. Die ganz banale Presenter-Werbung – Schweinsteiger steht da und sagt: Kauft Bifi! – ist tot. Das hat man in einer Minute wieder vergessen.Die deutsche Mannschaft hat – beginnend mit der WM 2006 – einen starken Imagewandel durchgemacht: Früher der schwerfällige Sicherheitsfußball, heute die Multi-Kulti-Partytruppe.Das hat aus Sicht der Werbewirtschaft ihren Marktwert extrem gesteigert. Natürlich wurde schon immer gern mit der Nationalmannschaft geworben, aber von dem extrem positiven Image jetzt wollen doch alle etwas abhaben. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass man etwa mit Mesut Özil türkischstämmige Zielgruppen in Deutschland besser ansprechen kann als bisher.Der meistgesagte Satz dieser WM düfte sein: ‚Die Mannschaft ist der Star.‘ Muss die Werbung nicht darauf reagieren, dass Einzelne auf dem Feld nicht mehr so im Mittelpunkt stehen?Diese WM hat tatsächlich keine neuen Superstars geboren. Es wird zwar über Özil und Schweinsteiger geredet, über Villa mit seinem fünf Toren. Aber so groß wie einst Maradona oder Zidane bei einer WM sind sie nicht geworden. Das heißt aber nicht, dass Stars nur in den Vereinen gemacht werden. Bei der nächsten WM kann das wieder ganz anders aussehen. In der Werbung würde ich weiter mit herausgegriffenen Figuren arbeiten. Stars sind nicht das Allheilmittel, aber wenn man kreativ mit ihnen umgeht, kann man doch eine größere Wirkung erzielen, als bei einem Spot ohne bekannte Gesichter.Mit der spanischen Mannschaft als überragendem Kollektiv lässt sich nicht werben?Sehr schwierig, mit einem Kollektiv zu werben. Das geht maximal bei der Mannschaft des eigenen Landes. Aber wenn Sie sich ein Plakat vorstellen, auf dem elf Gesichter sind und eines auf dem nur ein Gesicht ist, dann springt Sie das Plakat mit dem einen Gesicht direkt an und hat eine stärkere emotionale Wirkung. Die Erfahrungen machen wir im Wahlkampf immer wieder, wenn die Parteien sagen: ‚Wir haben da ein achtköpfiges Spitzenteam.‘ Dann sagen wir: ‚Schön, aber welchen Kopf können wir auf das Einzelplakat machen?‘Joachim Löw wurde bei der WM von der Modefirma Strenesse ausgestattet. Diese Werbung hat sehr gut funktioniert.Ja, alle haben über den blauen Pulli gesprochen. Aus Werbersicht optimal, keiner vergisst das so schnell.Die Zeit der wandelnden Litfaßsäulen scheint vorbei. Statt dicker Werbeaufnäher auf dem Trainingsanzug wirbt man subtiler.Stimmt, die Verbindung von Flagship-Produkt und Stars begann in Hollywood, wurde dann seit den Achtzigern bewusst im Pop eingesetzt – etwa Madonna in Gaultier-Kostümen – und taucht in den letzten Jahren verstärkt im Fußball auf. Wobei die Kooperationen immer subtiler und intelligenter werden.Das Gespräch führte Jan PfaffBernd Heusinger, geboren 1964, gründete zusammen mit Marcel Loko 1995 die Werbeagentur „Zum goldenen Hirschen“. Sie hat heute 240 Mitarbeiter. Für seine Arbeit wurde Heusinger mit dem Cannes Löwen ausgezeichnet.